Ölstudien in DüsseldorfEine vergessene Kunstform wird entdeckt

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Carl Maria Nicolaus Hummels Studie eines Baumes im Park der Villa Carlotta zeigt einen Baum vor hellblauem Himmel.

Carl Maria Nicolaus Hummels Studie eines Baumes im Park der Villa Carlotta,

Die Ausstellung „Mehr Licht“ in Düsseldorf widmet sich den Ölstudien der Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts. Kuratiert wurde sie von Bestsellerautor Florian Illies.

Im April 1336 hatte der italienische Dichter und Humanist Francesco Petrarca (1304-1374) gemeinsam mit seinem Bruder und zwei Freunden den Mont Ventoux in den provenzalischen Voralpen bestiegen. Die Freunde waren „lediglich aus Verlangen“, also nur zum eigenen Vergnügen auf den „windigen Berg“ bis zum Gipfel geklettert und Petrarca hatte in einem Brief über alle Aspekte dieser Wanderung Zeugnis abgelegt: Er berichtete detailliert über die Betrachtung der Natur, über Blickachsen und neue Perspektiven, die eigene Bewusstseinserweiterung und die körperliche Anstrengung.

Petrarcas subjektiver Bericht seiner Besteigung des Mont Ventoux gilt als die erste überlieferte Darstellung einer freiwilligen Bergbesteigung und war der Auftakt zu etwas Neuem: Fortan nämlich durften allein Neugier und „interesseloses Wohlgefallen“ (wie Kant dies in Bezug auf den Begriff des Schönen später nennen sollte) das Naturerleben leiten. Die betrachtende Zuwendung hat aus der Natur die Landschaft gemacht. Und die haben die Maler seither in zahllosen Variationen in Bildern festgehalten.

Ölskizzen wurden lange vernachlässigt, sagt Florian Illies

Aber, nicht allein die großartig komponierten und sorgfältig ausgeführten Landschaftsgemälde, die in den folgenden Jahrhunderten entstehen, künden von einem neuen Verständnis von Natur. Besonders die in Öl gemalten Studien und malerischen Experimente auf dem Weg dorthin, die lange vernachlässigt wurden, lohnen, etwas genauer betrachtet zu werden. Das jedenfalls findet der Kunsthistoriker und Autor Florian Illies, der für den Kunstpalast die Ausstellung „Mehr Licht. Die Befreiung der Natur“ gemeinsam mit Anna-Christina Schütz kuratiert hat.

Die Düsseldorfer Schau, die auf einen umfangreichen eigenen Bestand vor allem der Düsseldorfer Malerschule zurückgreifen kann, versammelt rund 170 Studien in Öl von 75 Künstlern - und ist überhaupt die erste Ausstellung in Deutschland, die sich den Ölstudien der Landschaftsmaler in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts widmet und diese als Kunst angemessen ernst nimmt.

Kleinformatig und scheinbar unfertig, spontan und rasch hingeworfen, gemalt meist auf Papier oder Karton oder auch auf Leinwandresten, voll Energie und Frische und spontaner Einfälle – ab etwa 1820 entstanden diese Ölstudien, als Erinnerungshilfen und Fingerübungen, die flüchtigen Impressionen zu bewahren; sie wurden allenfalls den Kollegen gezeigt, selten als Detailstudien für eigene Bilder verwendet. Ausgestellt und verkauft nämlich wurden damals lediglich die fertigen Ölgemälde.

Johann Wilhelm Schirmers Ölskizze einer Bachschleuse zeigt viel grüne Natur rund um einen kleinen Bach.

„Bachschleuse“ (um 1827-28) von Johann Wilhelm Schirmer

Es ist also ein Glücksfall, dass es noch ziemlich viele dieser Studien in Öl gibt, dass sie von Kennern und Liebhabern irgendwann entdeckt, bewahrt, gesammelt wurden. Und dass sie in den Studiensammlungen der Akademien als Lehrmaterial Verwendung fanden, auch wenn sie, anders als Ölskizzen, nicht unbedingt als Vorbereitung für Gemälde dienten.

In der Düsseldorfer Ausstellung hängen Ölstudien von Künstlern wie Andreas und Oswald Achenbach, Carl Blechen, Arnold Böcklin, Jean-Baptiste Camille Corot oder Wilhelm Leibl. Ebenso wie von Francis Danby, Anders Christian Lunde, Anton Sminck van Pitloo und Giuseppe de Nittis. Sie alle, bekannte und weniger bekannte Landschaftsmaler, waren irgendwann aufgebrochen, hatten ihre Malutensilien geschultert und sind in die Natur gezogen. Zum Glück gab es seit kurzem die Ölfarbe in Tuben, die man einfacher mitnehmen konnte.

Mit dem Impressionismus hat sich das Skizzenhafte als Stil durchgesetzt

So fingen sie mit flottem Pinsel das Spiel des Lichts in den Baumwipfeln ein, die dramatischen Wolken eines aufziehenden Gewitters, die leuchtenden Farben des Sonnenuntergangs über der Flusslandschaft oder das dunkle grüne Schilf an der Bachschleuse. Der Schatten auf der Hauswand wird ihnen ebenso zum Motiv wie die an die Felsküste anbrandenden Wellen oder der neblige Dunst über einer weiten Landschaft und die satt strahlenden Zypressen im südlichen Licht. Ja, auch nach Italien zog es die Maler damals.

Wieder und wieder kehren sie zu den kleinen unscheinbaren Motiven zurück, erforschen malend die wechselnden Phänomene und vergänglichen Sensationen, halten fest, was schnell vergeht. Bald sollten die Freilichtmaler in Frankreich es ihnen gleichtun. Mit dem Impressionismus hat sich gegen Ende des Jahrhunderts dann das Skizzenhafte und Flüchtige als Stil durchgesetzt. Es war nun kein Widerspruch mehr, etwas so Flüchtiges, Zartes und Vergängliches wie Wind und Wolken, Wellen, Licht und Spiegelungen im langwierigen Medium Öl zu malen, malend zu notieren, was gleich schon wieder verschwunden war.

Gleich im ersten Raum der Ausstellung hängen die köstlichsten Wolken- und Himmelsstudien, ganz am Ende richtet sich der Blick der Maler aus dem Fenster. Und in den dazwischen ausgebreiteten neun Kapiteln der bemerkenswerten Düsseldorfer Schau geht es neben den wunderbaren Naturstudien selbst auch um die Funktion der Ölstudie, um ihre Motive und die Prozesse ihrer Entstehung, um das Licht und den Schatten, um Italien und um die Rolle des Wetters. Ja, auf jeden Fall bemerkenswert. Und im Übrigen ist Rosa Bonheur (1822-1899) die einzige Malerin, die mit einer kleinen „Landschaft im Nebel“ in der Ausstellung vertreten ist.

„Mehr Licht. Die Befreiung der Natur“, Kunstpalast Düsseldorf, Di.–So. 11-18, Do. 11-21, bis 7.5. 2023

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