Olivia RodrigoWarum dieser Disney-Star die Stimme der Generation Corona ist

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Olivia Rodrigo

Los Angeles – Olivia Rodrigo hatte dieses Jahr bereits zwei Nummer-Eins-Hits in den USA. Jetzt ist auch ihr Debütalbum „Sour“ direkt an der Spitze der Billboard-Charts eingestiegen. Die 18-jährige Sängerin und Schauspielerin ist nur die jüngste in einer langen, langen Reihe von Disney-Stars – und könnte doch die wichtigste Stimme der Generation Corona werden. Warum das so ist, dazu muss man etwas ausholen.

Mitte der 1950er Jahre wählte Walt Disney persönlich die zwölfjährige Annette Funicello als „Mouseketeer“ für den „Mickey Mouse Club“ aus, seiner neuen TV-Show für Kinder. Der Patriarch hatte den richtigen Riecher: Funicello wurde zum Teenie-Idol. 

Seitdem gelten Nachwuchsstars neben Filmen und Vergnügungsparks als lukratives Produkt des Maus-Konzerns. Anfang der 1990er starteten etwa Britney Spears, Justin Timberlake, Christina Aguilera und Ryan Gosling ihre Karrieren als Mouseketeers. Auch aktuelle Stars wie Miley Cyrus, Zendaya oder Ariana Grande sind echte Disney-Gewächse.

Kunstprodukt fürs Kinderzimmer

Zu diesen Erfolgsgeschichten gehört eine geglückte Emanzipation der Künstlerinnen und Künstler von ihren Anfängen als stromlinienförmiges  Kunstprodukt fürs Kinderzimmer. Dass dies nicht einfach ist –  im Rampenlicht aufzuwachsen und sich aus Knebelverträgen und Erwartungen zu befreien – zeigen die Beispiele ins Straucheln geratener Ex-Disney-Stars, von Lindsay Lohan bis Demi Lovato.  

Entschuldigen Sie die lange Vorrede, jetzt kommen wir endlich zur neuesten Disney-Prinzessin. Die heißt Olivia Rodrigo und hat gerade  mit „Good 4 U“ ihren zweiten Nummer-Eins-Hit in den USA gelandet. Bekannt geworden ist die heute 18-Jährige vor fünf Jahren mit der Disney-Channel-Serie „Bizaardvark“,  seit 20189 spielt sie in „High School Musical: Das Musical: Die Serie“, zu sehen auf Disney+.

Verliebt im „High School Musical“

Der bizarre Titel erklärt sich folgendermaßen: Die Serie „dokumentiert“ den Versuch einer Schule, die Musical-Version des Disney-Films „High School Musical“ auf die Bühne zu bringen – und auch all die kleinen Dramen, die sich hinter den Kulissen und in den Klassen abspielen. Rodrigo ist als diejenige Schülerin zu sehen, welche die Hauptrolle im Musical übernimmt.

Naturgemäß verliebt sie sich in ihren männlichen Gegenpart in Schulmusical wie TV-Serie, gespielt von Joshua Bassett. Jetzt wird es aber noch komplizierter: Angeblich waren die beiden Akteure auch im echten Leben – wenn es das noch gibt – ein Paar. Jedenfalls bis Basset Rodrigo verließ und diese ihren Liebeskummer anschließend in jenes Album namens „Sour“ („Sauer“) kanalisierte, dank dessen sie nun als kommender Superstar am Entertainment-Himmel gilt. Wohlgemerkt außerhalb der Disney-Blase, was man schon am großzügigen F-Wort-Einsatz merkt.

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Hier jedoch unterscheidet sich Rodrigo von ihren vielen Vorgängerinnen: Sie arbeitet weiterhin für Disney, tritt auch in der zweiten Staffel von „HSM:DM:DS“  neben ihrem (angeblichen) Ex auf.  Hat sich hier eine 75 Jahre alte Vermarktungsstrategie plötzlich geändert? Oder gibt es kein Entkommen mehr aus den Vier-Finger-Klausen der Maus?

Ich glaube, Olivia Rodrigo verkörpert schlicht das Rollenverständnis ihrer Generation, demzufolge „ich“ je nach Plattform – Arbeit, Instagram, Freundeskreis, TikTok – ein anderer ist, im fluidem Wechsel. Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich Liebeskummer und Rachegelüste zwar durch jeden Song ziehen (bis auf den letzten), Rodrigo musikalisch aber wild durch die Genres switcht, von der Powerballade „Driver’s Licence“, mit der sie acht Wochen lang an der Spitze der US-Charts stand, über Pop-Punk bis hin zu Indie-Rock. 

Ich werde ausgebeutet, also bin ich

Sollte nicht funktionieren, doch das Ergebnis ist herausragend, weil Rodrigos Konzept und multiple Persönlichkeiten hier in eins, beziehungsweise viele fallen.

Ein authentischeres Dokument der Generation Corona als „Sour“ wird man kaum zu hören bekommen, vor allem da es jeder Authentizität abschwört. „Wer bin ich, wenn nicht ausgebeutet“, singt Rodrigo im Eröffnungsstück „Brutal“, das ist wohl in der Tat die brutalstmögliche Abwandlung von Descartes’ Cogito: Ich werde ausgebeutet, also bin ich. Kurz darauf heißt es: „Wenn mir noch einmal jemand rät: »Genieße deine Jugend«, werde ich weinen.“ 

Ja, sie ist noch ein Disney-Starlet, aber gleichzeitig auch eine der wichtigsten Stimmen ihrer Zeit. 

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