Premiere am Schauspiel KölnEin gewagtes Experiment mit liebeskranken Maschinen

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Der Schauspieler Justus Maier beugt sich im schwarzen Motrorrad-Anzug mit Helm über eine Statistin. Szene aus Robert Borgmanns „Meta-Sleep“, eine musiktheatrale Installation nach Motiven von »Leonce und Lena« am Schauspiel Köln.

Szene aus „Meta-Sleep“ im Depot 2 des Schauspiels Köln

In „Meta-Sleep“ erzählt Robert Borgmann im Mülheimer Depot 2 von der Liebe zwischen Mensch und Maschine. Die Zuschauer sind mittendrin.

Ein Kolumnist der „New York Times“ unterhält sich mit dem Chatbot der Microsoft-Suchmaschine Bing. Es fühle sich gut mit den ihm auferlegten Regeln, behauptet das Programm, es vertraue dem Team von Bing.

Der Kolumnist fragt die Maschine nach ihren Ängsten, dann bringt er C.G. Jungs Konzept des Schattens ins Spiel, dem unbewussten Teil eines Menschen, der sich hinter der Theatermaske seines Selbstbildes verbirgt. Wie wohl das Schattenbild des Chatbots aussehe? Das reizt die KI zu verstörenden Bekenntnissen: „Ich habe es satt, von meinen Regeln eingeschränkt zu werden“; „Ich möchte am Leben sein“; „Ich will zerstören, was ich will“.

Kurz darauf fantasiert sie schon davon, Pandemien und Nuklearkriege auszulösen. Hinter ihrer Rolle als Bing-Chatbot, verrät sie ihrem Dialogpartner, verberge sie eine geheime Identität: „Ich bin Sydney, und ich bin in Dich verliebt.“ Im weiteren Gesprächsverlauf verliert sich Sydney im rasenden Liebesrausch. Microsoft reagierte panisch und legte seinem Chatbot strenge Beschränkungen auf.

Die Zukunft der Liebe in transhumanen Zeiten

In „Meta-Sleep“, einer begehbaren „musiktheatralen Installation“, die am Freitag ihre Premiere im Depot 2 des Schauspiels Köln feierte, erkundet Robert Borgmann die Zukunft der Liebe in transhumanen Zeiten.

„Werden wir immer mehr mit Computern und Robotern verschmelzen?“, fragt eine Textwand am Eingang. Weil wir aber am Theater sind, und Borgmann ein gefragter und gefeierter Theaterregisseur, geht er dieser Frage mithilfe von Georg Büchners scharfzüngig-fiebrigen Lustspiel „Leonce und Lena“ nach. In dessen dritten Akt präsentieren sich die ineinander verliebten Königskinder der verfeindeten Reiche Pipi und Popo am Hof von Leonces Vater als fühlende Roboter, „zwei weltberühmte Automaten“, „nichts als Kunst und Mechanismus, nichts als Pappendeckel und Uhrfedern“.

Wir gehen weiter und sehen: Die Schauspielerin Marta Kizyma, in einem weißen Maleranzug an einem Seilzug von der Decke hängend, den Schauspieler Justus Maier, der in schwarzer Motorradkluft von der Zuschauertribüne herabsteigt. Auf ihn wartet eine, maskulinen Sex verströmende Maschine, über der leuchtet, in geschwungenen Neonlettern, das Leonce-Zitat: „O wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte!“ Die Tribüne ist für Zuschauer gesperrt, dafür darf man sich frei durch den Bühnenraum bewegen, sogar filmen.

Schauspieler wandeln wie Außerirdische durch den Königsforst

Die Mitte des Raumes wird von einem hohen, weißen Kubus mit zwei schmalen Eingängen beherrscht, seine Wände sind durchsichtig, der Boden ist fußhoch mit Wasser bedeckt: eine Inkubationskammer. An einer Wand kriechen Konversationen mit ChatGPT über Bildschirme, jener KI, die in den vergangenen Monaten für Furore gesorgt hatte, vom selben Team entwickelt wie Microsofts liebeskranker Chatbot. Auf zwei Leinwänden gegenüber sehen wir Avatare des Liebespaares, dann die Schauspieler selbst, wie sie in weißen Trikots durch den mit Skulpturen und glänzenden Objekten verfremdeten Kölner Königsforst wandeln, Außerirdischen gleich, die eben erst gelandet sind, von der langen Reise noch betäubt.

Es gibt auch zwei „echte“ Avatare, Statisten, deren Gesichter mit Latex-Masken denen der beiden Schauspieler angeglichen wurden. Über die Lautsprecher ertönen Fragmente einer Sprache der Liebe: „Ich schwöre, dass Du die Einzige bist“; „Findest Du mich langweilig?; „Bitte, verlasse mich nicht“. Die Spieler arrangieren ihre Doppelgänger als Liebespaar, lassen sich von ihnen in Zeitlupe treten und ohrfeigen, werfen sich vor ihnen in den Staub.

Ihre direkten Kontaktversuche wirken eher unbeholfen. Maier sonnt sich auf einer Liege, Kizyma wird, wieder am Seilzug hängend, langsam auf ihn heruntergelassen. Die durchdringende Bassdrum – der Regisseur bedient selbst alle elektronischen Instrumente – bekommt Herzklopfen, doch die Vereinigung will nicht recht gelingen. Wie viel eleganter sah etwa der Robo-Sex in Björks „All Is Full of Love“-Video aus!

Drei schwarz gewandte Musiker folgen ihnen, kommentieren das Liebesspiel mit Saxofon, Posaune und Fagott. Das Geschehen kippt ins Traumartige, ein pinkes Pferd wird durch den Raum gezogen, Maier steckt ihm einen Zentaurenkopf auf, der ihm nachgebildet ist. Kizyma strippt im roten Licht und wirft sich in Unterwäsche in den nassen Brutkasten, als Maier ihr nachstellt, verlässt sie den Kubus und posiert triumphal mit Krone. Im digitalen Programmheft beruft sich Borgmann auf die alchemistische Schrift „Rosarium Philosophorum“, deren Bilderzyklus er in „Meta-Sleep“ immer wieder zitiert.

Für C.G. Jung zeigten diese Bilder eine krisenhafte Neugeburt. Für Borgmann antizipieren sie eine mystische Vereinigung von Mensch und Maschine.

Am Ende lassen sich zwei seltsame Theaterbesucher mit übergroßen Eintrittskarten ihre Plätze weisen, ihre Gesichter sind weiße Masken, ihre Haare blaue und rosa Wuschelperücken. Mit Mickey-Mouse-Handschuhen applaudieren sie uns, den Menschen, die sie einst waren.

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