„Rico & Oskar“-Autor Andreas Steinhöfel„Ich tue mich schwer mit Abschieden“

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Andreas Steinhöfel

  • Autor Andreas Steinhöfel spricht im Interview über den Abschluss seiner „Rico und Oskar“-Romane, verkopfte Literatur und überbehütete Kinder.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Steinhöfel, ein würdigeres Ende Ihrer Kinderbuchreihe hätte es nicht geben können! Mit „Rico, Oskar und das Mistverständnis“, dem fünften und letzten Band, bescheren Sie nicht nur jungen Leserinnen und Lesern große Gefühle.

Das hat viel damit zu tun, dass ich gerne dramaturgisch arbeite. Es gibt bei Buchreihen das „Fünf Freunde“-Prinzip mit ewiger Freundschaft, ewigem Sommer und ewigen Ferien. Das ist für Kinder großartig, und kein lesendes Kind fragt, warum die Personen nicht älter werden. Oder schlauer. Das andere Prinzip ist, dass sich die Figuren entwickeln, was bei „Rico & Oskar“ vor allem dem tiefbegabten Rico vorbehalten war. Das hat mir von Beginn an großen Spaß gemacht.

Wobei Rico inzwischen eine bemerkenswerte Reife und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein entwickelt hat.

Ja, das geht so weit, dass er jetzt die Rico-Kästen, in denen er sich die Welt erklärt, viel bewusster nutzt. Wenn er das Wort „Rumkugeln“ erklärt und sich fragt, wie oft man es als Hauptwort benutzen muss, um es später als Tuwort benutzen zu können, dann ist das schon ziemlich komplex. Schwieriger war es mit der Entwicklung zwischen den beiden Jungs. Sie hat über die ersten drei Bände getragen, dann kamen neue Freunde hinzu, doch den fünften Roman hätte ich wohl nicht geschrieben, wenn sich mir nicht eine neue Frage gestellt hätte: Was passiert mit ihrer Freundschaft, wenn eine neue Form von Emotionalität hinzukommt? Rico verliebt sich, und das ist eine ganz andere Art von Gefühl als das, was er für Oskar hegt.

Dafür greifen Sie auf die alte Platon-Fabel von den Kugelmenschen zurück, die Zeus mit seinem Blitz halbiert, sodass sich die Menschen stets nach ihrer passenden Hälfte sehnen.

Das war wie als Knalleffekt gleich wichtig, weil jeder kleine Mensch, der das liest, denkt, dass es um Rico und Oskar geht. Dann aber, rumms, geht es um Rico und Sarah. Bei so etwas macht es sich dann doch bezahlt, dass man gerne und viel liest, auch klassische Sachen. Wobei der Nährboden von Geschichten, die wir uns erzählen, ja nie wirklich neu ist. Man erfindet neue Figuren, aber die Grundgeschichten sind immer dieselben. So könnte man „Anna Karenina“ auch als Roman von Hedwig Courths-Mahler erzählen. Es steckt dann halt nicht die psychologische Tiefe dahinter, aber was die Figuren bei Tolstoi durchmachen, das hat man auch in einem Courths-Mahler-Roman. Umberto Eco hat mal geschrieben, dass jeder Trivialroman genauso viel Tiefe besitzt wie Beethovens Missa Solemnis, weil er dasselbe erzählt, aber nicht so anstrengend ist.

„Rico, Oskar und das Mistverständnis“ ist durchaus anspruchsvoll, vor allem lebt er von einer gewissen Rücksichtslosigkeit des Erzählens. Da geht es mit unverstellter Schwärmerei um die erste große Liebe, wenn Rico seiner Sarah ein winziges Stück Himmel schenkt, ebenso aber beschimpft der eifersüchtige Oskar seinen Freund als Arschloch und Sonderschüler. Da könnte mancher mehr „sprachliche Korrektheit“ einfordern.

Es sind ja immer nur einige wenige, die schreien, von denen darf man sich nicht abschrecken lassen. Es gibt so eine Internet-Blase, in der man sich ständig echauffiert. Dabei ist doch unser Umgang miteinander nicht anders geworden, es fallen genau dieselben Worte wie früher, und Literatur bildet das dann eben ab.

Um Rico muss man sich offensichtlich keine Sorgen machen, er hat seine Schwächen erkannt und daraus Stärken gemacht. Eher schon muss man sich um Oskar sorgen …

Auf jeden Fall! Oskar ist ein überbehütetes Kind, und das ist gar nicht gut. So sehr ich verstehe, wenn ein erwachsener Mensch versucht, sein Kind zu schützen, so wichtig ist es zuzulassen, dass Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen. Und die machen sie nicht, wenn ich sie nur mit einem Sturzhelm in den Wald lasse oder am besten gar nicht. Rico und der Checker gehen durch den Wald, und Rico weiß, dass Raubvögel, Wildschweine, Füchse und Zecken lauern, aber er macht es trotzdem. Oskar wäre am Waldrand zusammengebrochen und hätte sich vor lauter Angst eingegraben. Das kann geschehen, wenn Kindern zu wenig zugetraut wird.

Auch die Eltern von Sarah beschreibt Rico genau. Das ist sehr amüsant, aber für manchen Erwachsenen womöglich schon wieder ein Anlass, sich aufzuregen.

Aber es gibt solche Eltern, die immer der beste Freund ihres Kindes sein wollen, um eine Gleichberechtigung mit dem ihnen anvertrauten Wesen herzustellen, wo eigentlich keine Gleichberechtigung sein kann. Ein Kind ist auf elterlichen Schutz angewiesen, da kann ich nicht täglich mit ihm diskutieren, ob es heute von mir geschützt werden will oder nicht. Und Rico sagt zu Recht, dass Kinder doch beste Freunde haben, dafür brauchen sie nicht auch noch ihre Eltern.

Viel geht es ums Abschiednehmen, auch wir Leser müssen loslassen. Rico schreibt: „Und plötzlich hatte ich ein Gefühl, als würde mehr zu Ende gehen als bloß die Ferien. Aber so war das eben, Dinge verändern sich, und wenn etwas zu Ende geht, entsteht damit ja auch Platz für Neues.“

Und das schreibe ich als ausgewiesener Melancholiker vor dem Herrn! Eigentlich erzählt Rico das auch mir, und sicher habe ich mich selbst damit ein Stück getröstet. Ich tue mich schwer mit Abschieden und dem Loslassen, auch wenn ich weiß, dass es das Gesündeste ist, sich neuen Erfahrungen zu überlassen. Im Prinzip erzähle ich das immer wieder neu, damit ich es auch selbst ein bisschen beherzige.

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Rico und Oskar zerstreiten sich und gehen getrennte Wege. Auf beiden Wegen tauchen viele literarische Bezüge auf, im Hessischen stößt Rico sogar auf andere Andreas-Steinhöfel-Figuren.

Rico trifft auf Anders aus dem gleichnamigen Roman, Anders zitiert „Paul Vier“, auch „Die Mitte der Welt“ taucht auf, und ein paar Sachen habe ich so versteckt, dass in hundert Jahren niemand draufkommt. Es ist schön zu wissen, dass ich Figuren habe, die alle irgendwie miteinander verwandt sind und Dinge ausdrücken, die mich selbst ausmachen. Das macht ja jeder Autor so, bei mir geschieht es aber mehr auf emotionaler Ebene. William Faulkner lässt seine Romanfiguren im Yoknapatawpha County spielen, diesem amerikanischen Landstrich, den es gar nicht gibt. Ich liebe so etwas sehr, es ist auch ein kleines Geschenk an die Leser, die sich darüber freuen.

Oskars Erlebnisse werden von Rico erzählt, als historische Detektivgeschichte aus dem Jahr 1907, im Stil von Hedwig Courths-Mahler. Rico wird also selbst zum Schriftsteller.

So ist das tatsächlich gedacht. Die Ausflüge, die er unternimmt, sind seine Versuche im Trivialroman. Irgendwann sagt er: Vielleicht werde ich ja mal Altenpfleger, weil ich ständig mit Alten zu tun habe, aber eigentlich er ist ein Erzähler, und das schon seit Band eins.

Er schreibt: „Pfff… Mir schwirrte jetzt schon der Kopf. Trotzdem hatte ich Lust darauf, so ein kurzgemalertes Buch zu probieren.“ Wie das auf junge Leser wirkt, weiß ich nicht … … ich auch nicht! (lacht)

… aber dem aufmerksamen Erwachsenen bietet es viel Lesefreude, vor allem auch, weil die Balance aus Wahrscheinlichkeit und Wahrheit stets so elegant glückt.

Ich muss da immer mal wieder an Marcel Reich-Ranicki denken, wenn er in die Kamera fragte: Aber ist diese Geschichte auch wahrscheinlich? Dabei ist es doch uninteressant, ob eine Geschichte wahrscheinlich ist, sie muss wahrhaftig sein. Das ist so ein typisch deutsches Ding, ähnlich wie man sich nicht traut, ins Gefühl zu gehen. Vieles in der deutschen Literatur liest sich toll, ist toll geschrieben, oft aber akademisch und verkopft. Das ist inzwischen weit besser geworden, für mich aber immer noch oft schlicht langweilig. Dies ist so ein kulturelles Missverständnis, das nach dem Zweiten Weltkrieg Einzug gehalten hat. Alles, was ans Gefühl appellierte, war schlimm, und das aus der schlechten Erfahrung heraus, dass man damit unglaubliche Dinge mobilisieren kann.

Dann aber gibt es jemanden wie Erich Kästner mit all seiner Empathie, dem Sie sogar einen kleinen Auftritt als Kind widmen.

Das hat viel Spaß gemacht und sich aus einem Zufall entwickelt, nachdem ich kurz zuvor ein Zitat aus „Emil und die Detektive“ eingestreut hatte. Aber das mit der Emotionalität gilt beispielsweise auch für Wolfgang Borchert, den ich leider erst so spät entdeckt habe. Es zeigt, dass wir durchaus Dichter und Schriftsteller hatten, die übers Gefühl gegangen sind.

Zur Person

Andreas Steinhöfel wurde 1962 im nordhessischen Battenberg geboren, wo er nach Jahren in Berlin heute wieder lebt. Er schrieb Kinderbücher wie „Dirk und ich“ oder „Paul Vier und die Schröders“ sowie den Jugendroman „Die Mitte der Welt“, ist ebenso als Übersetzer, Drehbuchautor und Produzent tätig. Berühmt wurde er durch seine Romanreihe um Rico und Oskar. Soeben erschien der fünfte und abschließende Band „Rico und Oskar und das Mistverständnis“.

Das Ende des Romans ist knallhart prosaisch. Wie Charlie Chaplin und Paulette Godard gehen die Freunde in den Sonnenuntergang. Und fertig. Wie reagieren wohl die jungen Leserinnen und Leser darauf?

Ja, da sagt jemand ganz unsentimental, so, jetzt gehen wir mal. Hier ist das Ende, keine Tricks mehr. Ich finde das ein poetisches und auch ehrliches Ende. Das fühlt sich für einen Moment schrecklich kann, aber auch kleine Leser werden damit leben können, weil sie merken, dass die Geschichte auserzählt ist. Und dass die Welt ihnen irgendwann wieder neue Geschichten schenkt.

Das Gespräch führte Horst Peter Koll

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