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„Romeo und Julia“ im Bauturm-TheaterEin Musterbeispiel zweier Narzissten?

Lesezeit 3 Minuten
Romeo und Julia. Ich fühl's nicht im Theater im Bauturm

„Romeo und Julia. Ich fühl's nicht“ im Theater im Bauturm

Das größte romantische Drama der Theatergeschichte wird für Regisseur Kieran Joel zur Blaupause für den ultimativen Liebes-Check.

Wahre Liebe oder Ware Liebe? Ausgerechnet das größte romantische Drama der Theatergeschichte wird für Regisseur Kieran Joel im Theater im Bauturm zur Blaupause für den ultimativen Liebes-Check. „Romeo und Julia. Ich fühl´s nicht“ heißt es vielsagend in seiner Inszenierung und mit dem Titel-Anhang zum Shakespeare-Stück wird dem Publikum auch schon der Weg gewiesen, mitten rein in die Meta-Welt des Theaters.

Gerade einmal zehn Bühnenminuten sind vergangen, da wird mitten in der dramatischen Sterbeszene - die hier gleich zu Anfang kommt – der Reset-Knopf gedrückt. Nils Kretschmers Handy bimmelt, und der Darsteller, eben noch als Romeo vom Gifttrunk niedergestreckt, schaut gemeinsam mit Leonie Houber als Julia, gerade suizidal im Liebesschmerz aus dem Leben geschieden, wie die Kritik im Netz ihren tragischen Bühnenbalztanz bewertet. Die Einschätzung ist ernüchternd und führt prompt dazu, dass das berühmteste Liebespaar des Theaters in künstlerische Klausur geht.

Keine weiteren zehn Minuten später sind die beiden im Schnelldurchgang sämtliche Schlüsselszenen des Shakespeare-Stückes durchgegangen, ohne dass sich auch nur einmal der berühmte Funke entzündet hätte. Prompt nimmt der Theater-Abend seine zweite, entscheidende Wendung und aus dem klassischen Blick auf die Bühne wird ein ungemein unterhaltsames Impro-Spektakel.

Mit Charme und Beharrlichkeit

Mit der Erfahrung versierter Improvisations-Künstler geht es für das Schauspiel-Duo in den Zuschauerraum, um hier dem Publikum mit Charme und Beharrlichkeit Persönliches in Sachen Liebe und Partnerschaft abzuringen. Wie sich die Vorstellung entwickelt, dürfte deshalb immer auch davon abhängen, inwieweit die Geschichten und Erlebnisse des Publikums die Darsteller befeuern. Gleichzeitig verwebt die Regie hier typische Elemente des Impro-Theaters mit Versatzstücken aus dem Shakespeare-Drama, während das Schauspiel-Duo und später auch die Regie sich im Voice-over auf unterschiedlichste Art und Weise dem unerschöpflichen Thema der Liebe annähern.

Das gelingt dank der beiden großartigen, vor Spiellaune geradezu berstenden Darsteller virtuos, und die Regie findet eine feine Balance, die Freiräume zulässt und sie dennoch klug in eine Inszenierungsdramaturgie einzubinden versteht. Mal wird es dabei anarchisch und albern, wenn Romeo und Julia mit akrobatischem Slapstick die Balkonszene variieren, dann wieder wird Shakespeare auf toxische Beziehungsmuster abgeklopft. Ist nicht Romeo ein klassischer Mansplainer und das Paar nicht ohnehin ein Musterbeispiel zweier Narzissten?

Gibt es in einer kapitalistischen, auf (Selbst)-Optimierung ausgerichteten Welt überhaupt noch Platz für freischwingende, romantische Gefühle? Kieran Joel macht in seiner Inszenierung das Theater als eine solche Oase emotionaler Unberechenbarkeit aus. In dem hier das Überraschende gefeiert wird, das sich der Normierung und Perfektion entzieht und den wahrhaftigen Moment beschwört, der ausgerechnet aus der Illusionsvereinbarung des Theaters erwächst. Das Publikum jedenfalls feiert diesen Ausflug in die wunderbare Welt der Gefühle mit tosendem Applaus und Standing Ovation.


Nächste Termine: Theater im Bauturm, 19. und 20.6., 4. und 5.7., jeweils 20 Uhr