Die Ruhrtriennale eröffnet mit dem Musiktheater „I did it my way“ - trotz Lars Eidinger in der Hauptrolle leider ein matter Auftakt.
RuhrtriennaleZurück bleibt der weinerliche Mann

Lars Eidinger und Larissa Sirah Herden in „I did it my way“, dem Auftakt der diesjährigen Ruhrtriennale.
Copyright: Jan Versweyveld/Ruhrtriennale 2025/dpa
Es geht los damit, dass es erstmal nicht losgeht. Das Publikum steht herum vor der Bochumer Jahrhunderthalle und im Foyer, das den kühlen Charme eines Flughafenterminals verströmt. Der schleppende Einlass beginnt mit viertelstündiger Verspätung, die Vorstellung schließlich erst um 20.30 Uhr. Naja.
Schleppend geht es weiter. Bühnenbildner Jan Versweyveld hat in die Jahrhunderthalle ein großes weißes, einstöckiges Haus gewuchtet, am Boden davor sind spiegelnde Pfützen aufgeklebt, rechts steht eine riesige, kalt leuchtende Straßenlaterne. Man denkt sofort an Edward Hopper und seine Bilder der amerikanischen Tristesse und Leere, bevölkert von einsamen Menschen. Auf dem Dach sitzt halb versteckt die kammermusikalisch geschrumpfte Version einer Bigband.
Dann entert Lars Eidinger die Bühne, brav gekleidet in Hemd und Bundfaltenhose und singt „Old Watertown, nothing much happenin'”, die ersten Zeilen des Songs „Watertown“, der Titelsong von Frank Sinatras gleichnamigem Konzeptalbum, dessen Pop-Songs von einem einfachen Mann erzählen, dessen Frau ihn und die Kleinstadt Watertown verlassen hat. Eidinger singt in tiefer Lage und versucht glücklicherweise gar nicht erst, wie Frank Sinatra zu klingen. Der Schauspielstar, der mit seiner faszinierenden Präsenz sonst so mühelos jede Bühne und die Kinoleinwand füllt, wirkt im ersten Song ein bisschen so, als hätte auch er noch gar nicht richtig angefangen. Sein Englisch klingt sehr deutsch, er bewegt sich zögernd, als wüsste er nicht so recht, wie man das macht, auf der Bühne stehen und singen, und das Gesungene mit wahrhaftiger Körpersprache zu beglaubigen.
Nicht gerade eine Traumrolle für den flamboyanten Eidinger
Dieser verhaltene Beginn folgt natürlich einem Plan: Regisseur und Ruhrtriennale-Intendant Ivo van Hove, dem das Festival in der Vergangenheit große Regiearbeiten verdankte – man denke nur an seine bohrend intensive Bühnenversion von Luchino Viscontis Film „Rocco und seine Brüder“ von 2008 oder seine Trilogie nach Romanen von Louis Couperus in den Jahren 2015 bis 2017 – will mit Popsongs von Sinatra und Nina Simone die Geschichte eines weißen Mannes erzählen, der von seiner schwarzen Frau verlassen wird, die hinausgeht in die Welt, sich emanzipiert und sich ihrer Identität als schwarze Frau stellt. Zurück bleibt der weinerliche Mann.
Nicht gerade eine Traumrolle für den flamboyanten Eidinger, als Trauerkloß herumzulungern. Dann kommt die in Gelsenkirchen geborene Sängerin und Songwriterin Larissa Sirah Herden dazu, sie spielt und singt sein Gegenüber, die Frau, die ihn verlässt. „Everything must change“ singt sie, ungleich sicherer im Gesang als Eidinger, aber das passt ja wieder zum Plan des Regisseurs, den weißen Mann alt aussehen zu lassen neben der sich empowernden Frau. Aber auch Herden bewegt sich erstmal kaum, sie geht auf und ab, sie wendet sich zu ihm, sie geht ins Haus, kommt wieder heraus, schaut aus dem Fenster, wirft Kleider auf die Straße, zieht ein Rollo hoch, dann wieder runter. Ist der Song zu Ende, tritt sie ab. Und dann kommt wieder Eidinger und singt. So geht das eine Weile, wie in einem dekorierten Konzert oder einer etwas traurigen Revue.
Bis endlich Bewegung in die Sache kommt, als sich vier Tänzerinnen und Tänzer des Faso Danse Théâtre hinzugesellen, zwei Tänzerinnen (Ida Faho, Sylvie Sanou) als Begleiterin von Herden und zwei Tänzer (Marco Labellarte, Samuel Planas) für Eidinger. Serge Aimé Coulybaly hat die Choreografie besorgt, die zunehmend auch die beiden Singenden mit einbindet. So wälzen sich die beiden Tänzer zu Eidingers „A man alone“ zunächst in konvulsivischen Zuckungen am Boden, während das Frauen-Duo zupackend-kraftvoll Musical-Laune verströmt.
Der Titelsong klingt wie ein Dementi von Sinatras Original
Allmählich wächst das Ganze zusammen, es gibt Szenen, wenn alle sechs tanzen - Eidinger und Herden immer in artistisch abgespeckter Version – und dazu gesungen wird, die an die Jets- und Sharks-Formationen aus der „West Side Story“ erinnern. Die dramaturgische Funktion der getanzten Doubles bleibt aber dürftig, denn sie verdoppeln und illustrieren nur, was von den beiden Hauptpersonen gesungen und gespielt wird. Ohne sie freilich wäre immer noch herzlich wenig los auf der Bühne.
Immerhin gewinnt der Abend an Tempo. Das weiße Haus wird zwischendurch zur Projektionsfläche für Videos, man blickt zuerst in die Zimmer hinein, später sieht man historische Aufnahmen von Rassenunruhen in den USA, Reden von Martin Luther King werden eingeblendet, seine Beisetzung. Eidinger singt den Titelsong des Abends, das ikonische „I did it my way“ in einer instrumental abgespeckten und tiefer gelegten Version, es klingt wie ein Dementi des trotzigen Pathos von Sinatras Original.
Larissa Sirah Herden macht mit Nina Simones „Why? (The King of Love is dead)“ einen Ausflug ins Publikum, die brave Frisur und das weiße Gattinnen-Kleidchen vom Beginn hat sie längst gegen ein sexy Minikleid und eine krause Afro-Frisur getauscht. Den letzten Teil des Abends beginnt sie mit Nina Simones „A single woman“, es folgt eine Wiederannäherung des getrennten Paares, aber nach der finalen Wiederholung von „I did it my way“, diesmal höher gelegt und im Arrangement (Henry Hay) deutlich näher am Original, gehen beide in verschiedene Richtungen ab. Es folgt freundlicher, aber enden wollender Applaus, nur ein paar Buhs für die Regie.
Die Ruhrtriennale ist seit ihrer Gründung ein Festival, das nach neuen Formaten sucht und vor allem die Industrieräume integral ins Konzept einbinden wollte; „Kreation“ war das Label für die formalen und inhaltlichen Experimente, die Gründungsintendant Gerard Mortier dem Festival verschrieben hatte. Der amtierende Intendant Ivo van Hove hat schon bei seinem Antritt erklärt, dass er keine Grenze ziehen wolle zwischen Pop und Hochkultur. Bereits im letzten Jahr, dem ersten seiner Intendanz, startete er mit einem Song-Abend mit Sandra Hüller, die Songs von PJ Harvey zum Besten gab und dazu tanzte. Diese Hybrid-Form, die Tanz mit einer Popsong-Erzählung verbindet, soll also sein Triennale-Markenzeichen werden. Ob das ein Format mit Zukunft ist, darf man bezweifeln.
Innerhalb der nächsten vier Wochen werden an elf Spielorten in Bochum, Essen, Duisburg und Gladbeck 35 Produktionen gezeigt. Das Motto dieser Spielzeit „Longing For Tomorrow – Sehnsucht nach Morgen“ wird hoffentlich besser erfüllt mit Produktionen wie der „Rave-L Party“, bei der Maurice Ravels „Boléro“ in Techno-Tracks umgewandelt wird, zu denen das Publikum tanzen soll. Klingt nach mehr Bewegung.