Macht Liebe statt Krieg, fordern die Kuratoren der Ausstellung „Sex Now“ im Düsseldorfer NRW-Forum. Warum bleiben die Betten dann leer?
„Sex Now“ im NRW-ForumDas Mädchen von nebenan verkauft sich immer noch

Antigoni Tsagkaropoulous Installation „Fluffy Library“ ist in der Ausstellung „Sex Now“ im NRW-Forum Düsseldorf zu sehen.
Copyright: Panos Kokkinias
„Oversexed and underfucked“, das galt möglicherweise schon für die Steinzeitmenschen, aber bestimmt für die Höhlenbewohner unserer Gegenwart. Auf diese Einsicht schnurrt jedenfalls die Ausstellung „Sex Now“ im Düsseldorfer NRW-Forum zusammen. Deren Wände sind zwar mitunter flächendeckend mit menschlichen Geschlechtsteilen tapeziert, aber so richtig zur Sache geht es eigentlich nur bei den finnischen Ledertypen eines gewissen Tom und im Traum der Fischersfrau, die sich auf einem alten Hokusai-Stich von zwei Oktopussen beglücken lässt. Ansonsten bleibt das Lotterbett so leer wie dessen Hugh-Hefner-Gedenkausgabe im Ausstellungsfoyer.
„Sex Now“, das ist also weniger als lässige Aufforderung, denn als Bestandsaufnahme zu verstehen. Wer sich den Museumsbesuch als erotisches Vorspiel verordnen wollte, wird enttäuscht – die Sache hat mehr mit Sexualkundeunterricht als mit Lust und Liebe zu tun, und wer das NRW-Forum nicht als staatlich anerkannter Gynäkologe verlässt, hat wohl keusch den Blick gesenkt. Dabei kann selbst, wer schon mal im Internet gewesen ist, hier noch einiges lernen: über die Geschichte des Vibrators, das Mobiliar von Sex-Chaträumen oder die verhängnisvolle Liebe der Männer zu ihrem besten Stück.
„Dick-Pics“ gibt es beinahe so viele wie Abbildungen von Vulven
„Dick-Pics“ gibt es in „Sex Now“ beinahe so viele wie Abbildungen von Vulven, sie dienen allerdings nicht der Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen, sondern der (meist) unerwünschten Selbstvermarktung. Erik Kessels hat eine beachtliche Menge an genitalen Selbstporträts zusammengetragen, auf denen Männer ihre Erektion an Fernbedienungen oder Zahnpastatuben messen – die moderne Entsprechung der sprichwörtlichen Schmetterlingssammlung. Die Künstlerin Sandra Vater ermunterte Männern hingegen per Annonce, ihr eindeutige Gipsnegative zu schicken. Die anonymisierten Sendungen goss sie anschließend in Seife und montierte sie auf Trophäenschilder. Schaumiger wurde die männliche Kastrationsangst selten persifliert.
An den Anfang der Ausstellung haben die beiden Kuratoren (ein Mann und eine Frau) einen historischen Abriss der bundesrepublikanischen Sexualmoral gestellt – hier fällt die Selbstauskunft des Patriarchats noch deutlich züchtiger aus. Die CDU wirbt 1946 um die Frau als Zentrum der christlichen Familie, die „Brigitte“ gibt in den Fünfzigern gut gemeinte Ratschläge, wie man einen Mann abkriegt, doch bald darauf läutet die „Pille“ schon eine neue Zeitrechnung ein. Traute Zweisamkeit bleibt auch hier eher die Ausnahme (etwa in einer Aids-Kampagne), der Modus ist Geschlechterkampf. Der Feminismus stürmt Bastionen, um sich später in eigenen zu verschanzen. Die Satire-„Partei“ findet dazu vor Regenbogenfahne den passenden Politslogan: „Fickt euch doch alle.“

Besucher betrachten das Kunstwerk „Fleischiger Brunnen“ der Künstlerin Peaches im NRW-Forum.
Copyright: Federico Gambarini/dpa
„Macht Liebe statt Krieg“ soll die Botschaft ihrer Ausstellung sein, schreiben die Kuratorinnen, doch vor die Liebe haben sie den Diskurs gesetzt. Selbst die plüschige Couchlandschaft von Antigoni Tsagkaropoulou mit rosafarbenen Muttertieren und Vulvakissen dient als Leselandschaft für eine queere Bibliothek mit genrefluiden Standardwerken. Auch das Überangebot an fotografierten Geschlechtsteilen dient nicht dazu, schockieren oder beschämen zu wollen; es soll helfen, den Sex und seine Organe von kulturellen Überhöhungen und Klischees zu befreien. Eine Vulva ist eine Vulva ist ein Penis, ließe sich die Botschaft des Künstlerkollektivs Glitterclit zusammenfassen, deren anatomischen Stoffmodelle zum praktischen Erforschen einladen – und nicht zum Fantasieren.
So hübsch diese Sachen zu betrachten sind, einen künstlerischen Mehrwert findet man eher in klassischen Formaten. Etwa in den Vulven, zu denen Silke Remmert ihre Putzschwämme quetscht, oder in den erotisch aufgeladenen Blumenbildern einer Georgia O‘Keeffe, die allerdings (wie manches Andere) nur als lieblose Repliken zu sehen sind. Im „#MeToo“-Kapitel der Ausstellung wirkt eine Collage, die Kresiah Mukwazhi aus gebrauchten BH-Trägern nähen ließ, ein wenig deplatziert – selbst, wenn man das Korsett der Mode als Gewalt am weiblichen Körper definiert. Poulomi Basu verarbeitet in ihrer Bilderserie „Fireflies“ hingegen konkrete Missbrauchs- und Gewalterfahrungen; das Esoterische ihrer Porträts wirkt wie ein Abwehrzauber gegen Traumata.
Mit Moral kommt man der Allgegenwart der Sexualität nicht bei
Die Sexualität ist ein weites Feld, auf dem auch die lustvolle Gewalt ihren Platz findet. Im NRW-Forum öffnet sich hinter Kettenvorhängen eine teilweise an Sex-Shops erinnernde Sado-Maso-Welt, die wie selbstverständlich in Nachbarschaft der schwulen Subkultur gezeigt wird. Vom gigantischen „Butt-Plug“ Paul McCarthys führt in „Sex Now“ ein direkter Weg zu Fesseln und Ledermasken – kann man machen, hat aber die Anmutung eines Kurzschlusses. An dieser Stelle schlägt die Entmythisierung der Sexualität tendenziell in ihr Gegenteil um.
Mit Moral kommt man der Allgegenwart der Sexualität längst nicht mehr bei – die Kuratoren versuchen es mit Humor. Sie präsentieren Pasta in Penisform gemeinsam mit einer „Reise-Vulva“ und der prähistorischen Venus von Willendorf (als Replik), sie feiern die Erfindung des Sexspielzeugs als Befreiung zur Selbstbefriedigung und mischen eine Playstation-Konsole unter die Sexponate. Bei der Zukunft des Sexuellen (junge Männer machen Liebe mit Farnen) rätselt man, ob es satirisch gemeint sein soll. Aber auch hier gilt: Jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Was der Ausstellung fehlt, ist der Theweleit‘sche Strang der Kulturgeschichte: Männerfantasien, Vergewaltigung als Kriegswaffe. Da halten es die Kuratorinnen eher mit der Sexpositivität. Unschuldig verlässt trotzdem niemand „Sex Now“. An der Ausbeutung und Monetarisierung der Sexualität kommt man hier so wenig vorbei wie in der Wirklichkeit. Am deutlichsten zeigt es Ansgar van Treeck, der die Arbeitsplätze von Online-Sexarbeiterinnen fotografierte. Man sieht Betten, Dildos und viele Plüschtiere. Die Mädchen-von-nebenan-Fantasie verkauft sich nicht nur auf Papier.
„Sex Now“, NRW-Forum, Ehrenhof 2, Düsseldorf, Di.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-21 Uhr, ab 18 Jahren, bis 3. Mai 2026