„Size Matters“ im Düsseldorfer KunstpalastGröße ist auch in der Fotografie nicht alles

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Ein Mann steht in einem mit Millionen Internetfotos tapezierten Raum.

„Since you were born“ von Evan Roth bildet das Finale der Düsseldorfer Ausstellung „Size Matters“ über Größe in der Fotografie.

Der Kunstpalast in Düsseldorf widmet mit einem etwas bemühten Grundkurs dem Thema „Größe in der Fotografie“. 

Was sind das für seltsame Leute, die sich ein Bild über das Waschbecken hängen, wo eigentlich ein tropfender Wasserhahn hingehört? Denkt man sich beim ersten Bild. Beim zweiten ist man über das Denken bereits hinaus und wundert sich darüber, dass der Fuß des Badbenutzers allein die Badewanne füllen könnte. Auf dem dritten Bild scheint die Sache geklärt: Ein Mann mit aufgekrempeltem Hosenbein steht im Modellbau eines Badezimmers, das nun wie eine moderne Kulisse aus „Gullivers Reisen“ wirkt. 

Allerdings ist dies nur der Anfang von Duane Michals Bildergeschichte „The Things Are Queer“. Als nächstes begegnet uns die Gulliver-Aufnahme in einem Buch, das ein Mann, wie man wiederum auf der folgenden Fotografie erkennt, in seiner rechten Hand hält. Auf dem übernächsten Bild hängt der lesende Mann dann selbst als Bild an der Wand (wo er von uns „gelesen“ wird), und im Finale sind wir wieder am Anfang angekommen. Das erste Bild der Geschichte ist auch das letzte.

„Size Matters“ ist als fototheoretischer Grundkurs angelegt

Leider ist das erste Werk der Ausstellung „Size Matters“ im Düsseldorfer Kunstpalast auch schon das Beste. An die lange, in Sprüngen inszenierte Fahrt durch Räume und Realitätsebenen kommt danach kaum etwas heran. „The Things Are Queer“ erzählt in spielerischer Form davon, dass die Wirklichkeit der Fotografie eine gemachte ist, dass sie keinen realistischen Maßstab an die Welt setzt: Groß und Klein sind Variablen einer künstlerischen Perspektive.

Duane Michals arrangierte seine philosophische Bilderfolge im Jahr 1973, als Größe in der Fotografie noch in den damals üblichen kleinen Formaten thematisiert wurde. Sie gehört zu den wenigen Bildern der Düsseldorfer Ausstellung, zu denen man sich hinunterbeugen muss. Ansonsten dominieren die Groß- und Größerformate der neueren künstlerischen Fotografie. Sie erschließen dem Thema „Größe in der Fotografie“ ganz neue Dimensionen, aber nicht zwangsläufig neue Erkenntnisse. Einen gigantischen Apfel neben einen Baum zu setzen, als wäre er gerade vom Ast gefallen, trägt selbst als Bildwitz nicht allzu weit – auch wenn Kathrin Sonntag immerhin eine angebissene Frucht auf den Straßenasphalt drapiert. Und auch Wolfgang Tillmans Gulliver-Variation „Kunstverein“ (zwei scheinbar riesige Stiefel im Modellbau einer Ausstellung) weiß nur zu schätzen, wer Michals „seltsame Dinge“ am Eingang übersehen hat.

Neun Schwarz-Weiß-Bilder

Duane Michals' Bildergeschichte „The Things Are Queer“ ist derzeit im Düsseldorfer Kunstpalast zu sehen

Die Düsseldorfer Kuratorin Linda Conze hat „Size Matters“ als fototheoretischen Grundkurs angelegt. Sie beginnt die Ausstellung mit der Einsicht, dass die Fotografie die Welt niemals eins zu eins abbildet, sondern erst im Apparat verkleinert, um diese verkleinerte Version dann auf dem Bildträger „aufzublasen“. Gleich darauf stößt sie uns auf die Ausnahme von der Regel: das Fotogramm. Hier werden die Dinge ohne Kamera „fotografiert“, indem man sie direkt auf lichtempfindliches Papier legt. Allerdings ist das Fotogramm eher ein negativer Schattenwurf als eine Abbildung der Wirklichkeit.

Trotzdem betritt man nun so verwirrt wie nötig den nächsten Raum. Hier zeigt Andreas Gurskys Konzertbild „Madonna“, wie man den fotografischen Realismus kunstvoll ins Surreale kippen lässt, etwa indem man die Größenverhältnisse wie auf einem mittelalterlichen Altarbild manipuliert. Die angebetete „Göttin“ des Pop thront übergroß über dem Publikum; dass man jeden einzelnen Gläubigen in der Masse zu erkennen glaubt, betont die religiöse Dimension des wandfüllenden Großformats.

Die Düsseldorfer Becher-Schule half, die fotografischen Großformate durchzusetzen

Andreas Gursky und die anderen Künstler der Düsseldorfer Becher-Schule halfen in den 1990er Jahren maßgeblich dabei, die fotografischen Großformate durchzusetzen und die Fotografie in den Kunstmuseen zu etablieren. Die Logik dahinter ist so banal, dass es wehtut: Wenn Fotografien so groß sind wie Gemälde, können selbst Kunsthistoriker ihre Qualitäten nicht mehr übersehen. Als direkte Vorläufer des fotografischen Großformats inszeniert Conze allerdings nicht das Historiengemälde, sondern die Reklamewand. Die Schnittmenge zwischen beiden bildete Katharina Sieverding mit einem „Grossfoto“, das chinesische Rotarmisten auf dem Weg in eine bessere Zukunft zeigt.

Am Beispiel eines anderen Becher-Schülers, Thomas Ruff, führt Conze vor, wie aus Größe ein ästhetischer Wert an sich wird. Ruff blies seine berühmte „Porträt“-Serie mit Bildern wie aus dem Passbildautomaten im Laufe der Jahre zu Goliathköpfen auf; die sichtbar gemachte Materialität des digitalen Fotoabzugs verdeckt die Persönlichkeit des Abgebildeten wie zu dick aufgetragene Schminke. Bei Ruff ist die Fotografie selbstreferenziell geworden. Die Vergrößerungen der analogen Naturfotografie folgten hingegen noch einem äußeren Zweck: den unsichtbaren Teil der Welt sichtbar zu machen.

So arbeitet Conze das Größenthema akademisch durch: auf Mikroskopie folgt der Blick in die Unendlichkeit des Weltalls und auf diesen die inszenierte Unschärfe, wenn die Kamera ihrem Gegenstand „zu nah“ gekommen oder in den Bereich der kleinsten Teilchen geraten ist. Alles schön und gut. Aber warum lassen einen die Werke, mit denen sie das Thema durchdekliniert, dann trotz prominenter Namen erstaunlich kalt?

Vielleicht liegt es daran, dass man vor den Bildern ständig zu sehen glaubt, wie Conze die Liste ihrer Lehrinhalte abhakt. Es macht Fotografien jedenfalls nicht besser, wenn sie vor allem die kuratorischen Wandtexte illustrieren sollen. Und davon abgesehen gilt ohnehin: Größe ist nicht alles. Sie ersetzt insbesondere keine Originalität. 

Am Ende hat Evan Roth einen Raum mit Internetbildern aus seinem Browserspeicher tapeziert, als begehbares Sinnbild dafür, dass die globale Bildermasse zu groß geworden ist, um sie zu erfassen. Als letztes Wort der Ausstellung ist das erstaunlich banal – überhaupt hängen im Düsseldorfer Kunstpalast etliche Bild gewordene Binsenweisheiten an der Wand. Dass Größe in der Fotografie etwas „bedeutet“, wird in „Size Matters“ immerhin überdeutlich. Man hätte sich nur eine etwas ansprechendere Beweisführung gewünscht.


„Size Matters – Größe in der Fotografie“, Kunstpalast, Düsseldorf, bis 20. Mai 2024.

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