So war der „Polizeiruf 110“Trotz Schwächen ein preiswürdiger Krimi

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Im Frühstücksraum des Kinderheimes gibt es ein Geburtstagsständchen. Ronny (Johann Barnstorf) bläst die Kerzen auf seiner Geburtstagstorte aus. in weiteren Rollen: Gabi Kleinschmidt (re., Maja Schöne) und Matthias Precht (Thomas Schubert).

Ronny (Johann Barnstorf) bläst die Kerzen auf seiner Geburtstagstorte aus.

Doreen Brasch sucht im neuesten „Polizeiruf 110“ einen verschwundenen Jungen. Die Folge hat Schwächen, ist aber zu Recht für einen Krimipreis nominiert.

Der Fall

Es ist wohl der bescheidenste Geburtstag aller Zeiten. Erst taucht Ronnys Mutter Sabine (Ceci Chuh) bei seiner Geburtstagsfeier im Kinderheim nicht auf. Als er dann zu ihr fährt, kriegt er es mit Rene zu tun, Sabines übellaunigen Partner (Oskar Bökelmann). Der jagt Ronny (Johann Barnstorf) unter Gebrüll aus dem Haus. Ronnys Rufe nach Mama bleiben unbeantwortet, die sitzt lethargisch da und tut nichts, er nimmt die Beine in die Hand. Und ist danach verschwunden.

Da Rene nach Ronnys Verschwinden „spazieren“ gegangen ist, erntet er ein paar fragende Blicke seiner Partnerin. Kein Wunder, der wäscht sich bei Heimkehr zu ominöser Musik die Hände, als würde er letzte Spuren beseitigen wollen. Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) muss für die Ermittlung erstmal den Streit und die Familienverhältnisse aufklären. Die Mutter Sabine ist dabei sehr zurückhaltend. Sie hat damals wegen ihrer Drogenabhängigkeit das Sorgerecht für Ronny verloren und sieht im Geschehen die Chance sinken, dass sie ihren Sohn jemals zurückbekommen könnte.

Hauptkommissarin Doreen Brasch fischt erstmal im Trüben

Ihr Partner wiederum sieht in ihrer Zurückhaltung ein Problem, und in Ronny einen Störenfried, der eine harte Hand braucht. Brasch befragt Rene, doch eine wirkliche Spur gibt es nicht. Auch eine Befragung der Mitarbeitenden in Ronnys Heim bringt zunächst nichts zutage.

Erstes Deutsches Fernsehen (ARD)

Ronny | Polizeiruf 110

Die Leiterin des Kinderheims, Gaby Kleinschmidt (Maja Schöne), bekommt schließlich von ihrem Sohn Gordon (Valentin Oppermann) einen Tipp. Der soll Ronny noch am Abend des Verschwindens gesehen haben: auf dem Weg zum Fluss, wo ein Boot von Ronnys Lieblingserzieher Matthias Precht (Thomas Schubert) ankert.

Und in einem Video der Geburtstagsfeier bemerkt Sabine, dass ihr Sohn später mit Precht angeln gehen wollte. Brasch sucht die Elbe ab, erwehrt sich des Gefühls anderer Helfer, dass der Junge schon als Wasserleiche irgendwann „hochpoppen“ werde. Precht dementiert den geplanten Ausflug.

Figur steigt von Ronnys Lieblingserzieher zum mutmaßlichen Pädophilen ab

Allmählich fallen Ungereimtheiten in der Geschichte und Vergangenheit des Erziehers auf. Auf einer Demo vor vielen Jahren ist er sogar straffällig geworden. Und Gordon erzählt seiner Mutter irgendwann, Precht wanze sich an Kindern ran. Gordon selbst sei einmal von ihm sexuell belästigt worden.

Heimleiterin Gaby zieht wegen der Aussage ihres Sohnes Konsequenzen und suspendiert Precht. Der beklagt die Zerstörung seiner Existenz aufgrund des Verdachts. Ein verpixeltes Foto von ihm landet sogar in der Presse, und als Ronnys Mutter dem Erzieher über den Weg läuft, gibt es einen Konflikt.

Die Auflösung

Brasch und Kriminalrat Uwe Lemp überführen den Erzieher bei einer Befragung einiger Lügen. Die Ermittlerin ist aber trotz eines harten Verhörs nicht von seiner Schuld überzeugt.

Matthias Precht schaut verdutzt, während Polizeibeamte an ihm vorbei in sein aus gehen. Der erzieher trägt ein mattgrünes, gestreiftes Hemd.

Die Polizei fährt bei Matthias Precht (Thomas Schubert) vor.

Tatsächlich ist Gordon der Täter, der Sohn der Leiterin des Kinderheims. Eine alte Geschichte, nach der er eine Katze mit Benzin überkippt und angezündet hat, holt ihn letztlich ein und outet ihn als Sadisten. Die Ermittlerin stößt über YouTube-Videos, die Gordon in bester Bear Grylls-Manier im Wald gedreht hat, auf Gegenstände, die Ronny bei sich getragen hatte. Nach einer Befragung und Braschs emotionalen Plädoyer weist Gordon die Ermittlerin dann persönlich zum Tatort. Dort kann sie den jungen Ronny noch lebend bergen.

Fazit

Die besondere Dynamik eines Kindes zwischen Elternhaus und Kinderheim ist das Spannende an der Geschichte. Da ist eine Mutter, die sich nach ihrer Drogenabhängigkeit um ein geregeltes Leben bemüht, Zuhause aber einen Partner hat, der seine Aggressivität an ihrem Sohn auslässt.

Sabine ist draußen, hat sich eine rote Jacke angezogen und friert sichtlich, während sie raucht.

Sabine (Ceci Chuh) hört das Gechrei und ist wie gelähmt.

Da ist der bemühte Erzieher, der versucht, den Kindern verschiedene Welten zu eröffnen - er geht mit ihnen angeln, fährt mit ihnen Boot, macht mit ihnen Mathehausaufgaben – und den letztlich der latente Vorwurf einholt, als Mann würde man so einen Beruf nur ausüben, wenn man pädophil ist. Nach dem Vorwurf wird geschickt inszeniert, wie man jede seiner Gesten anders liest; etwa, wenn er einem der Kinder eine Hand auf die Schulter legt. Und da ist die Leiterin des Kinderheims, die auch auf Verdacht hin reagieren muss und für viele Kinder gleichzeitig da sein will, während ihr eigenes Kind daheim ihr kühl und wortkarg begegnet.

„Polizeiruf 110“ mit tollen Dialogen, aber Schwächen im Plot

Die Figuren sind glaubhaft, sind gut in ihrem Umfeld verortet und haben klare Motivationen – bis auf Gordon, für dessen sadistische Ausbrüche keine Erklärung ausreicht. Die Dialoge sind großartig und die Schauspielerinnen und Schauspieler führen diese ohne Ausnahme kunstvoll aus. Besonders hervorzuheben sind dabei Ceci Chuh als Ronnys Mutter Sabine, deren besonderer Ausdruck das Herz der Folge ist, aber auch Maja Schöne, mit der man zusammen an der Kälte ihres Sohnes zerbricht.

Obwohl viel für die Folge spricht, ist sie am Ende nicht ganz rund. Der Vorwurf der Pädophilie gegen Precht wird nicht wieder ausgeräumt oder erhärtet. Auch der Ex-Partner, der bei Ronnys Verschwinden spazieren gegangen ist, taucht nicht nochmal auf. Die beiden Figuren versauern als vergessene red herrings und machen Platz für einen Sadisten, dessen Motive (bzw. ihr Fehlen) sich nicht in die Dynamik zwischen Familie und Kinderheim einfügt, auch weil Ronnys Verhältnis zu den anderen Kindern in der Folge kaum belichtet wird. Das Klischee um den aggressiven Gamer ist auch zu viel des Guten.

Am Ende ist die Folge trotzdem sehenswert, die Nominierung für den Deutscher Fernsehkrimipreis ist fair. Die Wiedervereinigung zwischen Sabine und Ronny ist emotional, steht für die zweite Chance der Mutter. Und was den schrecklichen Geburtstag angeht, gibt es ja immer noch nächstes Jahr - dann hoffentlich ohne Rene.

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