Humperdinck im Stadtmuseum SiegburgDieser Komponist hatte eine tiefe Liebe für das Rheinland

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Neue Humperdinck-Abteilung im Stadtmuseum Siegburg. Zu sehen ist die Ausstellung. An großen blauen Wänden stehen Texte und Bilder, etwa der Librettistinnen seiner Stücke. An den Wänden hängen auch einige Bildschirme mit Kopfhörern.

Neue Humperdinck-Abteilung im Stadtmuseum Siegburg

Das Stadtmuseum Siegburg gestaltete eine Abteilung zum Komponisten Engelbert Humperdinck neu. Dieser klagte zwar, dass er nirgends unbekannter sei als in seiner Heimat, aber seine Liebe für das Rheinland blieb ungebrochen.

So richtig nett war Engelbert Humperdinck zu vielen seiner Komponistenkollegen nicht. Für den ersten Satz aus Brahms‘ dritter Sinfonie „schwärmte“ er immerhin, aber Mahlers Fünfte fand er „unbedeutend“, Bruckners Achte „sehr ermüdend“ und „monströs“, Schönbergs Orchesterstücke opus 16 „tollhäuslerisch“. Die meisten dieser Urteile behielt er allerdings für sich, vertraute sie dem Tagebuch an, die kommunikative Fassade war offensichtlich in freundlicheren Tönen gehalten.

Besagte Urteile kann man indes in großen Lettern auf einer Wand im zweiten Stockwerk des Siegburger Stadtmuseums sehen, wo soeben die neugestaltete, auf zwei Räume verteilte Humperdinck-Abteilung eröffnet wurde. Ort und Zeit haben einen zwingenden Bezug zur Biografie des Spätromantikers: Im Dachgeschoss des schmucken Gebäudes in der Siegburger City wurde Humperdinck 1854 als Sohn eines Gymnasiallehrers geboren, und die Renovierung der Ausstellung erfolgte im Umfeld des 100. Todestages – 1921 war er, seit 1900 als Kompositionsprofessor an der dortigen Kunstakademie in Berlin ansässig, in Neustrelitz gestorben.

Neue Huperdinck-Abteilung im Stadtmuseum Siegburg

Sicher: Die maßgeblich durch die Unterstützung des Landschaftsverbands Rheinland und die Siegburger Humperdinck-Freunde ermöglichte und durch den Humperdinck-Experten Christian Ubber betreute Sektion ist überschaubar, der Besucher ist in einer guten halben Stunde „durch“.

Das spricht aber keineswegs gegen sie: Zum einen wird Humperdinck hier auch räumlich in die Siegburger Stadtgeschichte eingebettet – gleich nebenan wartet auf den Interessenten die Nazizeit –, vor allem aber spricht sie unmittelbar an durch ihre Lebensweg, Werk und Zeitstellung gleichermaßen entfaltende Themen-Vielfalt, klug ausgewählte Exponate, optische Attraktivität und die multimediale Ausrichtung auf dem avancierten Stand der Museumspädagogik. Das Entrée etwa markiert spektakulär genug der aus Familienbesitz stammende „Glockenflügel“ des Komponisten. Dazu kann man die 1905 verfasste und als Präludium zu Schillers „Lied von der Glocke“ fungierende „Glocke von Siegburg“ hören – und in der schier kalligrafischen Autorhandschrift mitverfolgen.

Ausstellung zum Komponisten zeigt auch Bühnenszene aus der Märchenoper „Hänsel und Gretel“

Der Musiker gilt ja bis heute in breiten Kreisen als Schöpfer eines Werkes: der Märchenoper „Hänsel und Gretel“. Klar, dass dieser mit der Weimarer Uraufführung von 1893 einsetzende Welterfolg, der Humperdinck auch, nach dürrem Karrierebeginn, zum wohlhabenden Mann machte, gebührend berücksichtigt wird – bis hin zu einer gefrorenen, auch junge Besucher womöglich fesselnden Bühnenszene.

Tatsächlich bezeichnet „Hänsel und Gretel“ auch aus heutiger Sicht einen glücklichen „Kairos“ in der Operngeschichte. Die „Flucht“ aus der (nordischen) Mythologie in die Märchen- und Kinderliedsphäre wies den Musikern der Nach-Wagner-Generation stoff- und auch formenhalber den Weg, irgendwie im Schatten von Bayreuth zu komponieren und dabei doch der Falle des Epigonentums zu entgehen. Für den Wagnerianer Humperdinck, der das große Vorbild in Italien besucht hatte, als Assistent bei der „Parsifal“-Uraufführung mitwirkte und Klavierauszüge seiner Musikdramen erstellte, war dieser Ausweg von geradezu existenzieller Bedeutung.

Eins seiner Werke schaffte es sogar zum New Yorker Broadway

Aber die Ausstellung erschließt eben auch dezidiert den Humperdinck jenseits von „Hänsel und Gretel“: die „Königskinder“ etwa, den seinerzeit zweiten großen Opernerfolg, seine Bemühungen um die Gattung des Melodrams oder die Schauspielmusik zu der Mysterienpantomime „Das Wunder“, die in den 20er Jahren sogar als „The Miracle“ den Weg an den New Yorker Broadway fand.

Zu sehen ist Humperdincks braunes Klavier. Rechts davon ist eine graue Wand mit Texten zu Humperdinck, links davon ein großes Bild des Komponisten.

Neue Humperdinck-Abteilung im Stadtmuseum Siegburg

Einiges zu sehen ist auch aus Humperdincks Familien- und Lebensumfeld. Die Rolle von Frauen (auch seiner Schwestern) als Librettistinnen kommt gebührend in den Blick, zu sehen sind eine Kamera des passionierten Fotografen (und Freund des Stummfilm-Kinos) sowie eine Kippdampfdruckkanne des Kaffee-Genießers. Schließlich fällt in Schrift und Bild ein Blick auf Humperdinck als einen Meister der Selbstvermarktung – was Mutmaßungen darüber in Gang setzen mag, wie er sich wohl behaupten würde, lebte er in der heutigen Medienwelt.

Überall bekannter als in seiner Heimat

Nicht ohne nachdenklich zu werden, wirft man einen Blick auf Humperdincks Schüler, zu denen Wagners Sohn Siegfried genauso gehörte wie Kurt Weill, Friedrich Hollaender, Robert Stolz und Leo Blech. Da scheint – künstlerisch sowieso – wenig zusammenzupassen: Während etwa Weill, Hollaender und Blech als Juden 1933 oder in den Jahren danach Deutschland verlassen mussten, bewegte sich Siegfried Wagner bis zu seinem Tod 1930 im seit den 20er Jahren massiv braun gefärbten Bayreuther Fahrwasser. Von Blech wird übrigens ein eindrucksvolles Zeugnis zu Humperdinck überliefert: „Warum ich bei IHM nochmal von vorne anfing? Weil ich bei den Anderen nichts gelernt hatte.“

„Ich bin überall bekannter als in meiner Heimat“, pflegte sich Humperdinck zu beklagen. Was indes an seiner „tiefen Liebe zum Rheinland“, wie es in der Ausstellung heißt, nichts ändern konnte. Sollte das Wort über den Propheten im eigenen Lande auf ihn zugetroffen haben – das Siegburger Stadtmuseum leistet jetzt nachdrücklich aktive Wiedergutmachung.

Die Frauen in der Familie werden auch gewürdigt

Seit der Gründung des Hauses war die Ausstellung über den großen Komponisten die Gleiche geblieben, jetzt ist sie überarbeitet und komplett neu gestaltet worden. „Aus neuen Blickwinkeln“ würde nun auf Humperdincks Leben geschaut so Haase-Mühlbauer. Etwa, was die bisher vernachlässigten Librettistinnen Hedwig Humperdinck, Elisabeth Ebeling, Elsa Bernstein und Adelheid Wette anbelange. Letztgenannte ist Humperdincks Schwester und schuf einst das Hänsel-und-Gretel-Libretto. Ihre Urenkelin Irmi Wette („Die Feier packt mich emotional unglaublich an“) zählte wie Humperdincks Urenkel Holger Witte-Humperdinck zu den Gästen und hatte eine von ihr geschaffene Gipsbüste ihrer Urgroßmutter als Geschenk im Gepäck.

Es gibt etwa eine Kamera des passionierten Fotografen zu sehen oder ein Bild, das zeigt, wie der Kaffeegenießer heute in Social Media vielleicht seine geliebte Kippdampfdruckkanne präsentieren würde.

Der von Caspary als „der Humperdinck-Kenner schlechthin“ bezeichnete Musikwissenschaftler Dr. Christian Ubber war sichtlich stolz auf den Umstand, dass 95 Prozent der Ausstellung aus dem eigenen Fundus gestellt werden konnten. Die neue Ausstellung hätte den Spätromantiker, der 2023 seinen 169. Geburtstag gefeiert hätte, nicht besser in den Blick stellen können, so Ubber.

Zur Ausstellung

Stadtmuseum Siegburg, Markt 46. Öffnungszeiten: Di-Sa 10-17, So 10-18 Uhr. www.stadtmuseum-siegburg.de

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