Steven Spielberg wird 75Was man aus seinen schlechtesten Filmen lernen kann

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Steven Spielberg 2016 in Cannes 

Los Angeles – Steven Spielberg, der am Samstag seinen 75. Geburtstag feiert, gilt als Synonym für den Beruf des Filmregisseurs. Und doch soll es noch Leute geben, die seine handwerkliche Exzellenz für Manipulation und seinen Humanismus für Sentimentalität halten. Diesen Zweiflern möchten wir empfehlen, sich gerade diejenigen seiner Filme anzuschauen, die bei der Kritik oder an der Kasse durchgefallen sind.

Oder wenigstens deren besten Momente: Die Hand des Riesen, die sich in „BFG – Big Friendly Giant“ durch das bodentiefe Fenster in den Schlafsaal der Waisen streckt; der Ex-Mossad-Agent, der am Ende von „Munich“ auf einem verwahrlosten Spielplatz in Brooklyn von seinem ehemaligen Kontaktmann stehen gelassen wird, im Hintergrund das zukünftige Anschlagsziel Manhattan; auch die Selbstparodie, mit der Spielberg seine Komödie „1941“ eröffnet: Die schöne Badende, wird hier nicht vom Weißen Hai gebissen, sondern vom Teleskoprohr eines japanischen U-Boots aufgespießt. Und der Offizier, der ihr unbekleidetes Hinterteil erblickt ruft verzückt aus: „Hollywood!“

Allein das Diktat des Erfolgs rechtfertigt die „Jurassic Park“-Fortsetzung „Vergessene Welt“, doch der Film ist auch eine Meisterklasse in ökonomischen Drehen: Die Dialoge handelt Spielberg in langen, eleganten Einstellungen ab, die Saurier-Attacken dagegen als wortloses, direkt zum Rückenmark sprechendes Kino der Attraktionen.

Hommage an Stanley Kubrick

Auch das Computerspiel-Abenteuer „Ready Player One“ gehört sicherlich zu seinen weniger bemerkenswerten Arbeiten, und doch findet man inmitten des eher hektischen als mitreißenden Geschehens eine atemberaubend getrickste Jagd durch das virtuelle Overlook-Hotel aus „The Shining“. Die ist ebenso lustig wie furchteinflößend und funktioniert zugleich als Kubrick-Proseminar.

Stanley Kubrick bewunderte, ebenso wie Ingmar Bergmann und Jean Renoir, seinen jungen Kollegen bereits, als viele amerikanische Kritiker noch die Nase rümpften. Selbst als Spielberg Kubricks unvollendetes „A.I.“-Projekt nach dessen Tod verfilmte, handelte er sich noch Vorwürfe ein, das Werk des unterkühlten Meisters mit Schmalz besudelt zu haben. Tatsächlich hatte Kubrick zu seinen Lebzeiten Spielberg mehrfach die Regie von „A.I.“ angeboten.

Der wiederum hielt sich mit seinem Drehbuch denkbar eng an Kubricks ursprüngliche Vision. Das angeblich versöhnliche Ende – der Roboterjunge David darf einen perfekten Tag mit der Mutter erleben, die ihn wie einen Hund in der Wildnis ausgesetzt hat – ist an Bitterkeit kaum zu übertreffen: Die Menschheit existiert nicht mehr, außer in den Träumen einer Maschine.

Fast vergessene Meisterwerke

Genau das ist es, was Steven Spielberg nicht nur zum prominentesten, sondern auch zu einem der interessantesten Regisseure der letzten 60 Jahre macht: Selbst seine Fehlgriffe beweisen seine Brillanz. Und neben etlichen unumstrittenen Meisterwerken wie „Der weiße Hai“, „E.T.“, „Jäger des verlorenen Schatzes“, „Jurassic Park“ und „Der Soldat James Ryan“ (und einigen umstrittenen wie „Schindlers Liste“ oder „Krieg der Welten“) harren noch einige Filme, der Wiedervorlage. Nicht ausgeschlossen, dass spätere Generationen „Bridge of Spies“, „Catch Me if You Can“, die Neuverfilmung der „West Side Story“ oder eben „A.I.“ aufs Siegertreppchen der absoluten Spielberg-Klassiker heben werden.

Vor zehn Jahren veröffentlichte der Filmkritiker Kevin B. Lee seinen Videoessay „The Spielberg Face“. Darin identifiziert er die Kamerafahrt auf das Gesicht seiner Protagonisten als das immer wiederkehrende Bild im Herzen des Spielberg’schen Filmschaffens. Ihr Blick ist von dem, was sie sehen – einen Außerirdischen, einen Stegosaurus, die Bundeslade mit den Gesetzestafeln Gottes – gebannt, ihr Mund im Staunen leicht geöffnet.

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„Ein kindliches Sich-Ergeben in den Akt des Schauens“, so Lee, zeigten diese Großaufnahmen. Wir beobachten, wie sich jemand dem, was er sieht, völlig unterwirft und selbstredend spiegelt das den kleinen Unterwerfungsakt des Kinobesuchs: Man setzt sich untätig ins Dunkle um keiner anderen Tätigkeit nachzugehen, als dem Schauen.  

Nach 9/11, argumentiert Lee, ändert sich das „Spielberg-Face“. Aus dem Wunder wird ein Schock, ein an die Oberfläche gekommenes Trauma, eine dunkle Vorahnung. Zu sehen etwa in den angsterfüllten Blicken von Dakota Fanning  in „Krieg der Welten“, oder Samantha Morton in „Minority Report“.

Wie zum ersten Mal

Der Spielberg-Film mit der größten Anzahl solcher Close-Ups ist wohl „Unheimliche Begegnungen der Dritten Art“, weniger ein Ufo-Geschichte, als eine Meditation über die Möglichkeit, die Dinge noch einmal betrachten zu können, als sähe man sie zum ersten Mal.

Im Moment, heißt es, arbeitet Steven Spielberg an einem Film über seine Kindheit in Arizona. Darüber, wie er selbst das Staunen gelernt hat, bevor er es mit dem Rest der Welt teilte.

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