Streaming-TippMit der Golf-Doku „Full Swing“ gelingt Netflix ein Birdie

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Golfer Rory McIlroy nach einem Abschlag.

Rory McIlroy ist eine der bedeutendsten Golfer auf der PGA-Tour und eine zentrale Figur in der Netflix-Dokumentation.

Nach der Formel-1-Dokumentation „Formel 1: Drive to Survive“, widmen sich die Produzenten jetzt dem Golfsport. „Full Swing“ muss sich hinter der großen Schwester nicht verstecken. 

Sportdokumentationen gibt es auf den Streaming-Portalen mittlerweile in großen Mengen. Fußball, Tennis, Basketball, Formel 1 und mit der neuen Netflix-Serie „Full Swing“ wird jetzt sogar Golf beleuchtet. Pionier in dieser Hinsicht ist die HBO-Serie „Hard Knocks“, die 2001 die Vorbereitungen der Baltimore Ravens auf die Saison in der amerikanischen Football-Liga NFL mit Kameras und Mikros begleitete. Die Serie hat es mittlerweile auf stolze 19 Staffeln gebracht, ein Ende ist nicht abzusehen.

Formel 1 als Vorbild für die Dokumentation

In jüngerer Vergangenheit gelang Netflix mit der Formel-1-Dokumentation „Formel 1: Drive to Survive“ ein Überraschungshit. Im Jahr 2019 lief die Dokumentation zum ersten Mal und begeisterte vor allem das jüngere Publikum. Der Serie, die soeben in ihre fünfte Staffel gestartet ist, wird sogar das neu geweckte Interesse vieler Zuschauer an den TV-Übertragungen der Rennen zugeschrieben. Nach Jahren sinkenden Einschaltquoten kann die Formel 1 vor allem im wichtigen US-Markt wieder Zuschauer dazugewinnen. Untersuchungen zufolge liegt das hauptsächlich an der Begeisterung des US-Publikums für die Serie „Drive to Survive“.

Mit ihrem neuen Projekt widmen sich die Produzenten nun dem Golfsport. Auf den ersten Blick eine wesentlich ruhigere Angelegenheit, sind die einzelnen Geschichten jedoch ähnlich spannend wie die im Automobilsport. Oder wie es der britische Golfprofi Ian Poulter in Folge drei beschreibt: Netflix hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, die PGA-Tour zu verfolgen.

Die LIV-Golf-Tour könnte alles verändern

Es ist nämlich das erste Mal, dass eine neue Golf-Tour mit saudi-arabischen Geldgebern auf dem Markt auftaucht: die sogenannte LIV-Golf-Tour. Der Profigolfer und ehemalige Weltranglistenerster Greg Norman ist der Chef dieses Unternehmens und hat gleich ein paar prominente Golfer für die Sache gewinnen können. Im Jahr 2023 treten dabei 48 Spieler an, die in zwölf Teams pro Event gegeneinander spielen. In Einzel- sowie Team-Wertungen spielen sie ohne Cut in 14 Events um Preisgelder von bis zu 30 Millionen Euro. Mit dabei sind zum Beispiel Phil Mickelson, Sergio Garcia, Bubba Watson, Lee Westwood oder der deutsche Profi Martin Kaymer, der sogar als einer der Teamkapitäne fungiert. Ein Golfwochenende dauert zudem nicht mehr vier, sondern nur noch drei Tage.

Golfer Martin Kaymer nach einem Abschlag.

Auch Martin Kaymer aus Deutschland nimmt an der millionenschweren LIV Golf-Tour teil.

Interessant ist das für die Spieler vor allem daher, weil ihnen Antrittsprämien zugesichert werden. Im Falle von Ian Poulter wird spekuliert, dass alleine diese Prämie höher ausfällt als das Preisgeld, welches er in seiner gesamten Karriere bisher eingenommen hat. Da die Tour auch deutlich kürzer ist, verdienen die Spieler also mehr Geld mit weniger Arbeit. „Wer würde das nicht machen?“, fragt Dustin Johnson einmal und ist sich sicher, dass jeder so ein Angebot annehmen würde.

Ian Poulter und Joshua Poulter in einem Flugzeug.

Ian Poulter und Sohn Joshua Poulter üben im Privatjet.

Es gibt aber auch große Kritiker, wie den einflussreichen Nordiren Rory McIlroy. Seiner Sicht der Dinge und dem Triumph beim Tour-Finale 2022 ist die komplette Abschlussfolge gewidmet. Ein sehr starkes Dokumentationsstück, ein wahres Highlight. Wie die PGA auf die aktuellen Entwicklungen im Golf reagiert und welche Auswirkungen das auf die Zukunft des Sports haben könnte, ist ein großer Bestandteil der acht rund 45-minütigen Folgen. Ein roter Faden, der die Serie zusammenhält. Auch der moralisch-sportliche Aspekt wird dabei beleuchtet. Sind Ruhm und Ehre wichtiger oder geht es darum, die eigene Familie finanziell abzusichern? Wobei gesagt werden muss, dass einige der Golfer, die sich für die Familie entschieden haben, bereits seit Jahren Millionäre sind.

Rory McIlroy sitzt auf einer Bank, mit einem Handy in der Hand.

Rory McIlroy ist glücklich, nachdem er das Tour-Finale 2022 gewonnen hat.

Es werden aber auch durchaus leisere Töne angeschlagen, die sich mit den Persönlichkeiten der Golfer befassen. So ist die Episode mit Tony Finau und Collin Morikawa eine herausragende, vor allem wegen Finau. Er ist einer der beliebtesten Charaktere auf der PGA-Tour. Finau gibt tiefe Einblicke in sein Familienleben und wie er es aus einfachen Verhältnissen stammend, zu einem Superstar der Szene schaffen konnte.

Golfer Tony Finau mit einem Teil seiner Familie in der Küche.

Golfprofi Tony Finau (links) gewährt tiefe Einblicke in sein Privatleben.

Die vielen Geschichten die „Full Swing“ erzählen will, sind die große Stärke, aber auch die Schwäche der Dokumentation. Manchmal hüpft die Erzählung zwischen den einzelnen Strängen so sehr hin und her, dass der Zuschauer gar nicht mehr weiß, um welchen Golfer es gerade geht.

Ebenso packend, wie die große Schwester aus der Formel 1

Insgesamt ist „Full Swing“ jedoch ebenso packend wie die große Schwester aus der Formel 1. Die Serie ist auf jeden Fall besser als der Durchschnitt der zahllosen Dokumentationen auf den Streaming-Portalen. Oder, um im Golfjargon zu bleiben, Netflix gelingt hier ein Birdie.

Ob diese Serie auf den Sport einen ebenfalls so großen Einfluss haben wird, bleibt abzuwarten, ist aber bei der interessanten sportpolitischen Konstellation im aktuellen Golfsport nicht ausgeschlossen.

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