Landtag in ThüringenEin Blumenstrauß als Zeichen kalter Verachtung

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  • Susanne Hennig-Wellsow ließ im Thüringischen Landtag Thomas Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße fallen.
  • Die Linke schien mit ihrer Geste den Rücktritt des FDP-Mannes vom Ministerpräsidentenamt vorwegzunehmen.
  • Stilkritik einer machtvollen politischen Geste.
Susanne Hennig-Wellsow (r.) nach ihrem Blumenabwurf

Susanne Hennig-Wellsow (r.) nach ihrem Blumenabwurf

Erfurt – Ein kahler Mann im dunkelblauen Anzug steht am linken Bildrand. Er wringt seine Hände. Zu seinen Füßen liegt ein bunter Blumenstrauß auf grauem Teppichboden. Der Mann wirkt in sich versunken. Den Blumenstrauß beachtet er nicht. Wenn überhaupt, so weist sein Blick in Richtung der Frau, Kurzhaarschnitt, Brille, die ihm den Rücken zugekehrt hat und in Richtung des rechten Bildrands davoneilt, vorbei an stehenden Abgeordneten und sitzenden Abgeordnetinnen.

Letztere betrachten die Frau wie versteinert, offenkundig erstaunt. Auch die Abgängerin trägt einen dunkelblauen Anzug, dazu allerdings unkonventionelle, hellblaue Motivsocken und braune Halbschuhe. Unkonventionell war auch die Geste, mit der Susanne Hennig-Wellsow, Fraktionsvorsitzende der Linken im Thüringer Landtag, wenige Sekunden zuvor den erwähnten Blumenstrauß vor den Füßen ihres Kollegen Thomas Kemmerich von der FDP fallen gelassen hat.

Im Bewegtbild ging die Szene sofort viral. Gab man am Donnerstag nur das Wort „Blumenstrauß“ in die Google-Suchmaske ein, war das Video aus dem Landtag, unter eine Anzeige von Fleurop, der erste Treffer.

Kemmerich, dessen Partei nur äußerst knapp in den Landtag gewählt worden war, war gerade mit den Stimmen der AfD-Fraktion zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden. Jetzt nahm er die Gratulationen der Fraktionsvorsitzenden der anderen Parteien entgegen. Auch die des AfD-Politikers Björn Höcke, dem selbst der eigene Bundesvorstand einst „eine übergroße Nähe zum Nationalsozialismus“ bescheinigt hatte.

Die Geste, mit der Susanne Hennig-Wellsow vom Protokoll abwich, hätte kaum präziser ausfallen können. Laute Beschimpfungen hätten hilflos gewirkt, ein wütend geschleuderter Strauß dagegen eher an die betrogene Verlobte in einer Seifenoper erinnert.

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Aber als politisches Äquivalent zum „Mic Drop“ – dem achtlos der Schwerkraft überantworteten Mikrofon, mit dem Rapper ein Ausrufezeichen hinter ihre besten Verse setzen – verwandelt sich der gefallene Gratulationsstrauß in ein Zeichen kalter Verachtung. Manche verglichen Hennig-Wellsow mit Nancy Pelosi, der demokratischen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. Die hatte tags zuvor nach Präsident Trumps Rede zur Lage der Nation ihre Kopie seiner Ansprache demonstrativ zerrissen.

Tatsächlich jedoch war der Linken ein viel eindrücklicheres Bild gelungen. Schauen wir erneut auf den Mann am linken Bildrand: Wie isoliert er durch die Blumen zu seinen Füßen wirkt, wie sehr diese an Grabdekoration erinnern. Am Donnerstag ist der FDP-Mann nach nur einem Tag im Amt zurückgetreten. Die Beerdigung seiner politischen Karriere hatte Susanne Hennig-Wellsow klug vorausschauend inszeniert.

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