25 Jahre führte sie die große Kölner Produktionsfirma und spricht im Interview über gute Unterhaltung und den Fernsehstandort Köln.
Ute Biernat verlässt UFA Show & Factual„Unterhaltung muss nicht immer eine Message haben“

02.06.2025, Köln: Chefin der Ufa Show & Factual, Ute Biernat, zum Medienstandort Köln. Foto: Arton Krasniqi
Copyright: Arton Krasniqi
Frau Biernat, zum Ende des Monats geben Sie nach 25 Jahren die Geschäftsführung der Ufa Show & Factual ab. Mit welchem Gefühl?
Es ist eine Mischung aus neugieriger Aufregung und schleichender Panik.
Warum gehen Sie jetzt?
Ich habe aus meinem Alter nie einen Hehl gemacht. Ich will nicht zu denen gehören, die nicht wissen, wann Schluss ist. Ich will nie aufgefordert werden, den Platz zu verlassen.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt?
Ja, es ist gut, weil ich noch ausreichend Energie verspüre, etwas anderes zu unternehmen. Leider weiß ich im Augenblick nur, was ich nicht machen werde: Ich werde nicht kochen lernen, ich werde nicht golfen lernen. Damit kann ich wirklich gar nichts anfangen. Ansonsten habe ich zum ersten Mal in meinem Leben keinen Plan. Ich möchte auch keinen haben. Ich möchte meine „mentale“ Festplatte leer räumen und gucken, wozu mein Herz Lust verspürt.
Seit 30 Jahren sind Sie in der Firma. Wie war Köln in dieser Zeit?
Köln war zu meinen Anfängen Hotspot für Kunst und Kultur. Ende der 90er war hier in Sachen TV die Hölle los. Die MMC Studios wurden immer größer. Die Nobeo Studios gab es auch sehr bald. Wir hatten zwischendurch Visionen, Cannes nach Köln zu holen. Die Fantasie blühte. Es gab Geld am Markt, und die werbetreibende Industrie war noch sehr konzentriert auf lineares Fernsehen. Handys und E-Mails gab es ja auch noch nicht. Es war eine völlig andere Zeit der Kommunikation. Viel mehr live, viel mehr Echtes, viel mehr Erlebnis.
Heute sind alle panisch, ob sie die richtige Zielgruppe mit dem richtigen Content treffen
Und heute?
Heute sind alle panisch, ob sie die richtige Zielgruppe mit dem richtigen Content treffen. Jeder guckt dem anderen in den Garten und fragt: Was wächst denn bei dir? Vor 25 Jahren waren Köpfe und Inhalte es sehr viel geordneter auf die Sender verteilt. Eins ist aber gleich geblieben: Die Lust der Zuschauer, unterhalten zu werden. Ich glaube, dass wir heute viel zu viel am Zuschauer vorbei machen, in der puren Verzweiflung zu rechtfertigen, warum wir das gekauft und jenes hergestellt haben. Marktforschung ist mit Sicherheit interessant, aber man muss schon an die Inhalte glauben, die man verkauft und herstellt.
„Pure Unterhaltung ist für Deutsche ganz schnell Zeitverschwendung“, haben Sie mir mal in einem Interview gesagt. Ist das immer noch so?
Es hat sich dahingehend verändert, dass die Leute heute viel mehr vergleichen können. Die Grenzen sind offener geworden, man guckt auch mehr zu den Nachbarn. Heute gibt es Empfehlungsfernsehen. Ich glaube, dass Menschen sich schneller einlassen, auch durch die Zunahme der technischen Möglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass sie länger verweilen. Das Problem ist, dass alle versuchen, aus alten Zutaten Neues herzustellen. Das klappt aber nur bedingt. Nur weil ich einmal wusste, was ich brauche, um Menschen glücklich zu machen, heißt es nicht, dass es heute automatisch auch funktioniert.
Weil sich die Gesellschaft so verändert hat?
Man muss sich einmal mehr fragen, wie bunt diese Gesellschaft ist. Wir haben schon lange eine Mischung unterschiedlicher Herkünfte, unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlicher Religionen. Diese Mixtur, die wir auch in Köln sehen. Die Stadt macht es Fremden unglaublich leicht, hier einzutauchen. Das müssten wir in der Unterhaltung mehr spiegeln, viel mehr eintauchen.
Hinkt das Fernsehen der Wirklichkeit hinterher?
Absolut, aber das war immer so. Das hätte ich auch vor 20 Jahren schon sagen können, weil das ein logischer Prozess ist, da die Medien die Realität immer nur abbilden können. Aber wir müssen schneller und aufmerksamer reagieren, nicht so verzweifelt hinterherhinken wie jetzt.
Muss Unterhaltung denn politisch sein in diesen Zeiten? Oder darf man auch nur unterhalten?
Ich glaube, es gibt nicht entweder oder, es gibt beides. Unterhaltung muss nicht immer auch noch eine Message, einen Mehrwert haben. Es darf auch einfach manchmal nur Unterhaltung sein. Das ist schon schwer genug. Aber es gibt durchaus Themen, bei denen die Unterhaltung eine Krücke wäre, schwere Kost leichter zu verdauen, sich dem besser anzunähern.
Hatten Sie manchmal Angst, den Anschluss zu verlieren, gerade auch an junge Zielgruppen, die man vielleicht gar nicht mehr erreicht.
Ich behaupte nicht, dass ich alles und jeden kenne und weiß, welche Untertrends es gibt. Aber ich kann mich auf meinen Instinkt verlassen. Ich glaube, dass es Menschen nach echten Charakteren dürstet, nach Leuten, die eine bestimmte Art haben, andere zu faszinieren. Wir versuchen, uns zu hyperperfektionieren bis gar nichts mehr übrig bleibt, außer einem glatten, spaßlosen, glänzenden Bild. Das empfindet der Zuschauer als Fake. Wenn etwas funktioniert, haben wir zudem in Deutschland den Trend, so viele Stunden von einem Format zu machen, wie nur geht. Aber das funktioniert heute einfach nicht mehr.
Verlassen Sie den Fernseh- und Medienstandort Köln also in einem schwierigen Zustand?
Ich bleibe Köln ja erhalten! Köln ist immer noch DAS deutsche Home of Entertainment. Köln macht damit aber einfach nicht genug. Jede dritte TV-Minute wird in NRW produziert. Es ist ein Milliardengeschäft, immer noch. Wir müssen alle miteinander in den Spiegel gucken und uns fragen, ob wir etwas ändern müssen. Es geht noch ganz viel, aber es geht nicht mehr so, wie wir das gewohnt waren - mit großen Teams, mit langen Vorlaufzeiten. Was fehlt, ist eine gewisse Neugier, nicht mal Mut, sondern einfach Lust, etwas auszuprobieren, einen Testballon zu starten. Ob es funktioniert, wissen wir nicht, aber wenn wir es nicht probieren, können wir uns auch nicht verbessern. Einfach zu warten, dass irgendwer etwas herstellt, das funktioniert, und jeder kopiert es, geht heute nicht mehr.
Aber der immer wieder zitierte Satz „Das Fernsehen ist tot“ trifft nicht zu?
Den Satz gibt es so lange, wie ich Fernsehen mache. Aber wahr ist er deshalb nicht. Ich bin Babyboomer. Wir wurden mit drei Fernsehprogrammen sozialisiert. Wir haben heute alle Netflix, Amazon, Disney etc. Trotzdem wollen Menschen sonntagabends immer noch Tatort gucken. Das Fernsehen wird es auch in zehn Jahren noch geben. Wir brauchen bloß eine neue Offenheit für andere Formen.
Was droht dem Fernsehen, wenn das nicht gelingt?
Dem Fernsehen könnte dann Stillstand und Mittelmaß drohen – bis hin zur Bedeutungslosigkeit und eventuell sogar Reichweitenverlusten. Ich warte nur darauf, dass ganze Wirtschaftszweige anfangen, ihren eigenen Content herzustellen. Der kreative Teil, der früher auf der Sender- und Produzentenseite lag, liegt ja heute schon bei vielen Influencern selbst. Es geht um die Art und Weise, wie Themen gefunden und umgesetzt werden. Es geht um ein Crossover der Möglichkeiten. Da würde ich gerne hemmungsloser rangehen.
Was müsste sich in Köln tun, damit diese Aufbruchstimmung entsteht?
Es braucht ein neues Gemeinschaftsgefühl. Wir sind alle Spezialisten im „Do it yourself“. Die Selbstoptimierungsphase könnte jetzt mal abgeschlossen sein. Ein Beispiel: In Köln leben so viele Kulturen. Man könnte den längsten Tisch von der Südstadt durch die ganze Stadt ziehen. Jedes Land kriegt 100 Quadratmeter für Essen, Trinken, Unterhaltung. Von Afghanistan bis Zypern. Da müssten alle mitmachen – Sender, Stadt, andere Medien. Wir veranstalten ein gemeinsames Kulturfest, jeder trägt etwas bei, jeder hat auch was davon. Es kann auch nur ein glamouröser Event sein, der jährlich Köln erschüttert. Die Video Days sind gut, der Deutschen Entertainment Award ist großartig, der Fernsehpreis wichtig. Köln muss vom Klein-klein weg, viel größer denken. Alle müssten wieder mehr Spaß an dieser Stadt entwickeln, sonst wird sie jedem. Und das ist das Schlimmste.
Alle müssten wieder mehr Spaß an dieser Stadt entwickeln, sonst wird jedem diese Stadt egal. Und das ist das Schlimmste.
Hätte Köln diese Möglichkeiten?
Es ist alles hier: Gaming, Creatorszene, Youtuber, die alten Fernsehhasen. Diese Stadt vereint viele Szenen. Das gibt es in ganz Deutschland in der Fülle nirgends. Das Drumherum ist hier sehr viel größer und bunter als in anderen Städten. Wenn wir nicht anfangen, das zusammenzubringen, ist Köln selbst schuld. Wir brauchen einen anderen Spirit und viele Menschen, mit denen ich rede, haben den. Die meisten sehen, dass es die Zutaten gibt, wissen aber nicht, wo sie anfangen sollen. Da kann man ansetzen.
Was erhoffen Sie sich denn von einem neuen Oberbürgermeister oder einer neuen Oberbürgermeisterin?
Das Lebensmotto des Kölner „Et hätt noch immer jot jejange“ hilft nicht in jeder Situation, weil es ausbremsen kann und nicht gerade zum Anpacken auffordert. Wenn man das Ruder rumreißen will, hilft abwarten nicht. Dann muss man aktiv werden. An dem Punkt sind wir jetzt. Ich finde, diese Stadt ist es wert, sich über sie Gedanken zu machen und diese baldigst in die Tat umzusetzen.
Ute Biernat (65) begann ihre Laufbahn nach einem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte als Regisseurin und Autorin. Sie arbeitete in Neuseeland und den USA. 1996 stieg sie als Executive Producer bei Grundy TV ein. Im Mai 2000 übernahm sie die Geschäftsführung der Grundy Light Entertainment und im Juni 2010 zusätzlich die Geschäftsführung der UFA Entertainment. Im Jahr 2015 fusionierten beide Firmen unter ihrer Leitung. Biernat ist Geschäftsführerin der daraus entstandenen Ufa Show & Factual GmbH. Nun gibt sie diesen Posten ab.
UFA Show & Factual sitzt in Köln und produziert unter anderem „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) und „Wer weiß denn sowas?“ (ARD).