„Wetten, dass..?“-KritikIst das schon betreutes Moderieren?

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (9)

Streicheleinheiten für Thomas Gottschalk 

Nürnberg – „Ist das nicht der Typ aus der Hörgeräte-Werbung?“, fragt die 14-jährige Tochter, während Thomas Gottschalk minutenlang im Applausdonner des Nürnberger Publikums badet.

Hier, in der Messehalle 3, in seiner fränkischen Heimat, im ZDF, im linearen Fernsehen, da gilt Gottschalk noch etwas. Da ist er der alte Löwenkönig der großen Samstagsabendshow. Der Letzte, der noch komplette Familien vor den Bildschirm bannen konnte. Eigentlich wollte ihm sein alter Haussender zum 70. Geburtstag eine letzte „Wetten, dass..?“-Ausgabe schenken, doch der fiel auf den Mai 2020, als Menschen aus verschiedenen Haushalten nicht zusammen auf einem Sofa Platz nehmen konnten.

Jetzt feiert man stattdessen den 40. Geburtstag des von Frank Elstner erfundenen Formats. Auch gut. Hauptsache, „Wetten, dass..?“ und die dreieinhalbstündige Illusion, dass alles noch so ist, wie es einmal war. Tierwette, Kinderwette, Außenwette, Baggerwette. Gottschalk im zum Sakko umgearbeiteten Sofabezug. Dazu Heino Ferch, Udo Lindenberg und Benny und Björn von Abba. Tatsächlich waren die Schweden nie zuvor in „Wetten, dass..?“ zu Besuch, ihre lange Auszeit fiel mit der Hochzeit der Show zusammen — der erste und letzte Live-Auftritt von Abba fand 1982 im „Show-Express“ mit Michael Schanze statt. Aber wer erinnert sich schon noch an den „Show-Express“?

Abba auf Schalensitzen

Jetzt sitzen also endlich Benny Andersson und Björn Ulvaeus auf dem berühmten Sofa, der Saal tobt, selbst Gottschalk ist ein bisschen aufgeregt, was man daran erkennt, dass er ausnahmsweise versucht, ernsthafte Fragen zu stellen.

Das hält nicht allzu lange an. Björn, der Texter, freut sich über das deutsche Adjektiv „unternehmungslustig“ und Benny präzisiert den trudelnden Showmaster, der in analoger Ahnungslosigkeit von „Downloads“ und „Providern“ faselt, um die digitale Umwälzung in der Musikindustrie zu fassen: „80.000 neue Songs werden jeden Tag in Spotify hochgeladen.“

Das hätte um ein Haar spannend werden können, aber dass es hier nicht um Information oder Bildung geht, erkennt der gewiefte ZDF-Zuschauer ja schon daran, dass regelmäßig der ZDF-Unterhaltungschef eingeblendet wird, der in Nürnberg natürlich in der ersten Reihe sitzt. Stattdessen lässt man die beiden Pop-Legenden auf Hartschalensitzen Platz nehmen, wo sie stumm einem Menschen im Animal-Print-T-Shirt dabei zuschauen, wie er Dartpfeile auf eine weiße Tafel wirft und dabei mit der eigenen Leistung hadert.

Schlagfertige Wettkandidaten

Aber das ist eben die Absurdität von „Wetten, dass…?“, von der dann entgeisterte US-Stars in Late-Night-Talkshows anekdotisch berichten. Und die man hierzulande für das Urmeter der Unterhaltung hält. Neu ist nur, dass die Normalbürger inzwischen locker mit dem flapsigen Moderator mithalten können. „Da werden die Kasachen lachen“, kommentiert Gottschalk den Versuch des Wettkandidat mit seinem Pfeil Kasachstan zu treffen (die Weltkarte wird am Ende der Wette auf die weiße Tafel projiziert). „Ich auch, bei Deinen Witzen“, schießt der Kandidat zurück.

Zuvor hatte sich bereits ein Achtjähriger, der sich kopfüber mit den Füßen durch die Schlaufen eines U-Bahn-Zuges fortbewegte, maximal unbeeindruckt vom Show-Giganten gezeigt. Sein Medienheld ist ein trampolinspringender Instagrammer aus Rostock, der prompt auf die Bühne geholt wird. „Das ist dein Geschenk, dieser Mann“, kommentiert Gottschalk, nur um mal klarzustellen, wer hier die Verfügungsgewalt besitzt.

Baby-Fragen für Helene Fischer

Ansonsten ist er aber ganz in seinem Element. Fragt Helene Fischer, die offensichtlich zuvor darum gebeten hatte, keine Fragen zu ihrer Schwangerschaft zu stellen, umso offensiver nach dem pränatalen Befinden. Fragt die in Hamburg geborene, schwarze Sängerin Zoe Wees „Wo kommst du eigentlich her?“. Vergisst den Namen der Schauspielerin Svenja Jung und bekennt, die Namen der lustigen Schwestern, die anhand von Klobürsten-Geräuschen Musiktiteln erkennen, nie gewusst zu haben. Und befindet, anlässlich eines Müll trennenden Parson Russel Terriers, gegenüber seiner italienischen Co-Moderatorin Michelle Hunziker: „Die Italiener schmeißen ja alles aus dem Fenster.“ 

Dabei kann er froh sein, dass er sie hat. Genau genommen ist es Hunziker, die den 70-Jährigen durch seine reanimierte Sendung führt wie einen angetrunkenen Onkel durch eine Hochzeitsfeier, die peinlichsten Kalauer weglacht, gelangweilte Gäste umschmeichelt, oder an übersprungene Programmpunkte erinnert. Ist das schon betreutes Moderieren?

Das könnte Sie auch interessieren:

Jedenfalls ist der gottschalk‘sche Aktionsradius, wie das eben im Alter so ist, geschrumpft. Benny und Björn haben sich längst in den berüchtigten Flieger verzogen, der bei „Wetten, dass..?“ ja immer bereit steht, um irritierte A-Promis vom Sofa zu retten. In der Messehalle verbleiben am Ende nur noch Menschen, die zufällig eine eigene ZDF-Sendung zu vermarkten haben: Helene Fischer bekommt anlässlich des neuen Album die Art Video-Special, die man auf den Streamingdiensten von Billie Eilish oder Taylor Swift sehen kann, Heino Ferch und Svenja Jung spielen die Hauptrollen in einem Mehrteiler, der dem Trailer nach zu urteilen, „Das doppelte Lottchen“  mit piefigen DDR-Showtanz kombiniert, Außenwetten-Moderator Giovanni Zarrella darf demnächst durch eine eigene Schlagerparade führen.

Nur Joko Winterscheidt, Klaas Heufer-Umlauf und Frank Elstner sind gekommen, um Gottschalk in einem huldvollen Tableau aus Vergangenheit und Gegenwart der Live-Show zu rahmen. Ob „Wetten, dass..?“ demnächst wenigstens wieder einmal jährlich ausgestrahlt werden soll, wie Elstner wirbt? Eher fühlt man mit Heufer-Umlauf, der den treffendsten Satz dieses nicht enden wollenden Samstagabends sagt: „Es fühlt sich an wie ein Fiebertraum.“

KStA abonnieren