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Zu Thomas Manns 150. GeburtstagGlänzender Literat und traurige Existenz

Lesezeit 6 Minuten
Thomas Mann mit seiner Tochter Elisabeth etwa 1946.

Thomas Mann mit seiner Tochter Elisabeth etwa 1946.

Seine „Buddenbrooks“ haben bis heute nichts von ihrer Faszination verloren - genauso wie ihr Autor.

Etliche seiner (vor allem deutschen) Kollegen, und darunter nicht die schlechtesten, mochten ihn nicht - und daran änderte sich auch wenig, als man während der Nazijahre gemeinsam im französischen und amerikanischen Exil notgedrungen zusammenfand. Dass Bert Brecht und Ernst Bloch heftige Abneigung zeigten, mochte mit ideologischen Gegensätzen zusammenhängen – die indes bei Robert Musil und Alfred Döblin keine Rolle spielten. Von Musil stammt das hämische Wort vom „Großschriftsteller“. Da schwang wohl auch neidgeschwängertes Ressentiment mit gegen einen Erfolgreicheren, der es vor und nach 1933 schaffte, einflussreich und wirkmächtig auf der „richtigen“ Seite zu stehen: auf der der Weimarer Republik und dann eben auf der des deutschen Exils. Er sehe sich selbst als „Repräsentanten“, nicht als „Märtyrer“, ließ er in seinem bitteren Antwortbrief auf die Aberkennung der Ehrendoktorwürde seitens der Bonner Universität 1936 verlauten. Eine großartige Selbstdefinition, die im Exil eine nahezu christologische Dimension annahm: „Wo ich bin, da ist die deutsche Kultur.“ Klar, mit „Repräsentativität“ meinte Mann nicht diejenige der Braunen.

Die Feindschaft reichte indes bis in die engste eigene Familie hinein: Die Autobiografie des Sohnes Golo ist auf Strecken eine einzige Abrechnung mit dem Vater, der dort als „TM“ figuriert. Da waren selbstredend psychodynamische Abläufe in einer Echokammer am Werk: Wen Thomas Mann liebte, den liebte er nahezu abgöttisch. Zu den Bevorzugten gehörten die jüngste Tochter Elisabeth und sein Enkel Frido, das Vorbild für den kleinen Nepomuk Schneidewein im „Doktor Faustus“. Wer nicht geliebt wurde wie – das spricht allein aus Fotodokumenten – Fridos Bruder Toni, den ließ er mit verletzender Kälte und Gleichgültigkeit links liegen.

Es erscheint auf Anhieb merkwürdig, dass eine derart problematische Natur wie Thomas Mann überhaupt jener Repräsentant werden konnte, der er auch heute noch ist – die literarische Welt begeht an diesem Freitag seinen 150. Geburtstag. Wer wäre ihm, im Sinne einer durch den Zeitenwandel unangefochtenen Klassizität, in der deutschen Literaturgeschichte noch an die Seite zu stellen? Schiller, vielleicht Hölderlin, Heine und Brecht – und auf jeden Fall Goethe, mit dem er sich seiner gehobenen Selbsteinschätzung entsprechend gerne verglich (der Roman „Lotte in Weimar“ bezeugt es nachdrücklich).

Zeitlose Größe

An dieser Repräsentanz bereits zu Lebzeiten hat Mann hart arbeiten müssen, an dieser Würde und Bürde sozusagen als Verkörperung einer allgemeinen Idee von Humanität, die sich freilich nicht durch Selbstanmaßung herstellt, sondern zwingend einer breiten öffentlichen Akklamation bedarf. Einer bohèmehaften Basisveranlagung setzte er ein bürgerliches Leistungsethos mit geregelten Tagesabläufen und Arbeitszeiten entgegen, er gab sich selbst, wie er es formulierte, „eine Verfassung“. Dazu gehörten – in München-Bogenhausen wie dann in Sanary sur-Mer, in Beverly Hills und noch, zuletzt, in Kilchberg am Zürichsee – ein großes Haus mit Ehefrau und vielen Kindern, ein aufwändiger Lebensstil und dinstinguierte gesellschaftliche Umgangsusancen.

Das alles musste erkämpft werden – gegen immer wieder durchbrechende, aber eben auch nur begrenzt zugelassene homoerotische Neigungen, gegen Verzagtheiten, Hypochondrien und Depressionen. Die Tagebücher zeigen einen anderen Mann: keinen Repräsentanten, sondern eine traurige Existenz, deren ambitionierte Weinerlichkeit dem Leser schon mal auf den Zeiger gehen kann und die sich mit als „Heiterlein“ apostrophierten Psychopharmaka in Form bringen musste.

Irgendwie aber gelang die in breite Anerkennung mündende Verwandlung – wofür naheliegend die Literatur die Grundlage legte. Manns Kairos in diesem Sinne war das Erscheinen seines ersten Romans, der „Buddenbrocks“ im Jahr 1901 – da war er 26 Jahre alt. Nicht nur bekam er für sie 1929 den Literaturnobelpreis; vielmehr schrieb er sich mit ihnen sogleich und weithin approbiert dem internationalen Höhenkamm des realistischen Gesellschaftsromans ein. Mit diesem Werk – Erbe von Fontane genauso wie von Flaubert und Tolstoj – erreichte die deutsche Literatur endlich wieder gesamteuropäisches Spitzenniveau.

Tatsächlich hat diese Abstiegssage einer Lübecker Kaufmannsfamilie über vier Generationen hinweg – es war Manns eigene Familie, in der verschlüsselten Personnage wäre er selbst der Hanno, der im Buch an Typhus stirbt – bis heute nichts von ihrer Faszination verloren, der lange, die Stoffmassen souverän beherrschende Atem genauso wenig wie die unnachahmliche Kunst der Milieu- und Charakterschilderung. Vielen gelten auch heute noch die „Buddenbrocks“, die sogar in zahlreichen deutschen Bücherschränken während der NS-Zeit überwinterten, vielleicht nicht zu Unrecht als das beste Buch des Autors.

Die Familie Buddenbrook in einer Verfilmung aus dem Jahr 2008. Thomas Mann erhielt für seinen ersten Roman über den Aufstieg und Fall einer großbürgerlichen Handelsfamilie 1929 den Nobelpreis für Literatur.

Die Familie Buddenbrook in einer Verfilmung aus dem Jahr 2008. Thomas Mann erhielt für seinen ersten Roman über den Aufstieg und Fall einer großbürgerlichen Handelsfamilie 1929 den Nobelpreis für Literatur.

Hier bereits ist viel Philosophie am Werk – Schopenhauer, wenige Jahre später, im „Tonio Kröger“, ist Nietzsche die Referenzfigur. Und die typisch Mann´schen Oppositionen von Künstler und Bürger, Geist und Leben, Eros und Thanatos sind auch schon, und sei es keimhaft, da. Später wird die hochgesteigerte Symbolik das Erzählen zuweilen preziös-manieristisch überformen, der späte „Doktor Faustus“ ächzt – trotz großartiger Strecken wie etwa der erzählerisch aufgelösten Interpretation von Beethovens letzter Klaviersonate – vernehmlich unter der ihm aufgebürdeten Gedankenlast. Dabei vermag etwa die angestrengte Parallelisierung von Musikgeschichte (Zwölftonmusik) und politischer Geschichte (Ende der liberalen Gesellschaft im Faschismus) sogar nicht einmal sonderlich zu überzeugen.

Diese Schwächen zeigt zum Teil noch stärker das ausgedehnte essayistische und zeitdiagnostische Werk. Die Wende vom wilhelminischen Nationalismus („Betrachtungen eines Unpolitischen“) zum sozialen demokratischen Verfassungsstaat („Von deutscher Republik“) in allen Ehren, ihretwegen musste Mann schließlich 1933 verlassen. Aber immer wieder macht dem Leser eine ausgeprägte Begriffsdialektik – man könnte auch sagen: -rabulistik – zu schaffen, in der auf virtuose Weise die Termini – Demokratie, Sozialismus, Bürgerlichkeit etc. – gegeneinander austauschbar werden und eine Nacht erzeugen, in der dann alle Katzen grau sind.

Da gedeihen mitunter Schreibtischspielereien, die sich an der unbestreitbaren eigenen Sprachmacht berauschen und mit der politischen Wirklichkeit wenig zu tun haben. Joachim Fest sprach mit Blick auf das politische Urteilsvermögen Thomas und Heinrich Manns, des literarisch deutlich schwächerem Bruders, einmal von „unwissenden Magiern“. Zu Recht. Im Exil hatte Mann, auf Hitler fixiert, gegen Stalin wenig einzuwenden – was zu erbitterten Diskussionen mit dem vom Marxisten zum militanten Antikommunisten gewandelten Max Horkheimer führte. Und während er in den bundesrepublikanischen Anfängen unter Adenauer den „Faschismus“ wieder aufleben sah, billigte er die Pressezensur in der DDR: Dann erblicke wenigstens nicht all der schriftliche Unflat und Unrat das Licht der Welt.

Es waren dies Irrtümer eines Großen. Und groß ist er bis heute geblieben. Man lese nur einmal hintereinander den streng klassizistisch gebändigten „Tod in Venedig“ und den köstlich-humoristischen, leider unvollendet gebliebenen „Felix Krull“. Klar, man erkennt auf zwei Meilen Entfernung den Mann´schen Personalstil. Aber was für eine Fülle divergenter sprachlicher Valeurs, Ausdrucksformen, narrativer Details. Da konnte jemand aus einem Füllhorn der Fantasie wie einer skrupulösen Kunstbewusstheit schöpfen. Andere Autoren mögen, in ihren Themen zeitgebunden und in ihren Darstellungsmöglichkeiten begrenzt, überholt werden und sein. Thomas Mann gehört definitiv nicht zu ihnen.


Das Buddenbrookhaus in Lübeck widmet Thomas Mann zum Jubiläum ab dem 5. Juni die Ausstellung „Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie“.

Ein Kurs an der Melanchthon-Akademie des
Evangelischen Kirchenverbandes Köln ab Mittwoch, 18. Juni, von 19 bis 21 Uhr widmet sich Thomas Mann und seinem Umfeld. Am ersten von sechs Abenden geht es um Heinrich, Klaus und Golo Mann. Eine Woche später stehen dann die „Mann-Frauen“ im Zentrum. Pro Veranstaltung 10 Euro, Anmeldung über die Webseite der Melanchthon-Akademie.

Kerstin Holzer kommt mit ihrem Roman „Thomas Mann macht Ferien“ (Kiepenheuer & Witsch) für zwei Veranstaltungen nach Köln. Am Sonntag, 22. Juni, zum Salonfestival und am 25. Juni in die Rather Bücherstube. Im DuMont-Verlag ist „Heimweh im Paradies: Thomas Mann in Kalifornien“ von Martin Mittelmeier erschienen.

Die zentrale Plattform Mann2025.de bündelt Veranstaltungen und Publikationen im und zum Jubiläumsjahr.