Leserbriefe„Ist Abrüstung plötzlich kein Wert mehr?“

Während der Kölner Friedensdemonstration am Rosenmontag hält ein Kind das traditionelle Symbol der Friedensbewegung.
Copyright: Uwe Weiser
Nur gegen den Krieg zu demonstrieren ist zu wenig
Frau Lehnen weist in ihrem bemerkenswerten Essay darauf hin, dass die Generation Frieden auch in der aktuellen Zeitenwende ihren Idealen treu bleibt und ihre Grundwerte niemals preisgeben wird. Doch damit ist es nicht getan. Die Naivität bestand und besteht darin, dass die Nachkriegsgenerationen dem Trugschluss unterliegen, man könne Frieden empfangen, ohne etwas dafür zu geben. In einer in Teilen wohlstandsgesättigten Gesellschaft verwundert dies nicht. Aber nur zu demonstrieren ist zu wenig.
Vor gut 40 Jahren bedrohte uns die Sowjetunion mit Mittelstreckenraketen. Dies führte zum Nato-Doppelbeschluss. Gegen diese Nachrüstung gab es heftigen Widerstand. Ob wir auch in die längste Friedensphase unserer Geschichte eingetreten wären, wenn die politische Führung nicht standhaft geblieben wäre, kann ich nicht beantworten. Als einer, der den letzten Krieg noch erlebt hat, weiß ich jedoch: Der Frieden muss gesichert werden. Nicht nur mit Worten. Gesinnungen und Worte fangen keine Raketen ab! Gefordert sind Taten. Da wir es nun einmal mit Menschen zu tun haben, sind wir gezwungen, den Frieden auch zu sichern durch: Aufrüstung.Manfred Schinner Brühl
Es ist nicht naiv, Frieden für besser zu halten als Krieg
Seit dem 24. Februar durchzieht das Wort „naiv“ den „Kölner Stadt-Anzeiger“. Ich bin es leid, und ich lasse mir das nicht mehr erzählen. Es ist nicht naiv, Frieden für besser zu halten als Krieg. Es ist nicht naiv, sich dafür bis zum Schluss diplomatisch einzusetzen, auch wenn die Panzerkolonnen schon an den Grenzen stehen. Es ist nicht naiv, auf allen Ebenen – Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Wissenschaft – mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten, auch mit ehemaligen Feindstaaten. Wir selbst haben nach 1945 davon profitiert.
Es ist nicht naiv, sich nicht weiter bis an die Zähne zu bewaffnen, wenn schon seit drei Generationen Frieden herrscht. Des weiteren ist es nicht naiv, dem Gegenpart zu unterstellen, er lasse sich durch Vernunft leiten. Was Putin derzeit macht, ist das Gegenteil von Vernunft; es ist nicht vernünftig für Russland, nicht für ihn selbst und vor allem nicht für die Welt. Niemand kann im Augenblick die Motivation Putins schlüssig erklären – außer dem Vernunftriesen Trump. Wenn Vernunft zu unterstellen naiv ist, kann man die komplette Diplomatie und die Politik an den Nagel hängen. So weit bin ich noch längst nicht. Wolfgang Jahn Köln
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Wie belastbar ist unsere Solidarität für die Ukraine?
Plötzlich ist Krieg ein Ereignis, das alle wie ich nach 1945 in Deutschland Geborenen nicht mehr nur aus der Ferne beobachten, sondern er ist uns auf die sprichwörtliche Pelle gerückt. Unsere alte Welt ist aus den Angeln gehoben, alte Gewissheiten sind über Bord gegangen. Meine pazifistische Grundhaltung rutscht mir geradezu weg und plötzlich denke ich: Waffen für die Ukraine, ja! Habe ich vorher nicht gedacht, überhaupt nicht.
Es ist ein Schock, der mir unter die Haut geht, und er ist bei allen zu spüren, mit denen ich am Sonntag auf der Demonstration des Blau-Gelben Kreuzes am Kölner Dom beisammen stehe. Solidarität mit der Ukraine! Frieden, Selbstbestimmungsrecht! Stoppt Putin! Ein Hoch auf den bewundernswert mutigen und dabei so besonnenen Präsidenten Selenskyj! Applaus für die mutigen Anti-Kriegs-Demonstranten in Minsk und Moskau. Lukaschenko ist nicht Belarus! Putin ist nicht Russland! Russland raus aus Swift! Waffen für die Ukraine! Alles richtig, finde ich.
Eine Botschaft habe ich auf der Demonstration vermisst oder ist sie mir nur entgangen? Das Bekenntnis, dass auch wir, die mit der Ukraine Solidarischen, bereit sind, einen Preis zu zahlen. Ein Preis, den wir heute nicht kennen können, umso weniger als niemand weiß, wie Putins Gegensanktionen ausfallen. Es könnte wehtun. Was ist mir die Verteidigung unserer Demokratie, unserer Freiheit wert? Wie belastbar ist meine, ist unsere Solidarität? Wie hoch kann mein Preis, unser Preis, wie hoch darf er sein? Gibt es da nicht noch einiges zu klären, für jeden einzelnen, und für uns als Gesellschaft?Dr. Wiegand Jahn Köln
Ist Abrüstung plötzlich kein Wert mehr?
Man gewinnt den Eindruck, wer sich kritisch äußert zu den Plänen der Regierung, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro zu ertüchtigen und wehrhaft zu machen oder tödliche Waffen ins Ausland zu liefern, gilt als unverbesserlicher Pazifist, aus der Zeit gefallen und schlimmstenfalls als Putin-Versteher. Und so heißt es unisono und fast feierlich: Zeitenwende der bundesdeutschen Außenpolitik, Deutschland in der Realität angekommen oder wie es der Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“ formuliert: Das Ende der Naivität der deutschen Außenpolitik.
Ist es tatsächlich so? Ich erinnere nur an den Balkan-Krieg und den Nato-Einsatz mit Unterstützung Deutschlands ohne Uno-Mandat. Der damalige Bundeskanzler und heutige Putin-Adept Gerhard Schröder zog bereits 1999 in den Krieg – mit Unterstützung der Grünen im Übrigen, womit Deutschland seine militärische Unschuld schon damals verloren hatte. Und Waffen lieferte die schwarz-rote Bundesregierung zuletzt noch Ende 2021 am Ende ihrer Amtszeit nach Ägypten, das im Jemen in Kriegshandlungen verstrickt ist.
Insofern war in der Frage von Waffenlieferungen das lange Zuwarten in der Ukraine-Krise pure Heuchelei. Doch entscheidende Fragen bleiben: Sind Entspannungspolitik, Aussöhnung, friedliche Existenz der Menschen und Völker untereinander, ist der unermüdliche Einsatz von Diplomatie zum Friedenserhalt tatsächlich und ab sofort dem Primat von militärischer Macht unterzuordnen? Ist Frieden schaffen mit immer weniger Waffen oder Abrüstung plötzlich kein Wert mehr?Peter Lessmann-Kieseyer Köln

250000 Menschen nahmen an der Kölner Demonstration gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine am Rosenmontag teil.
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Militärische Eskalation gefährdet Weltfrieden
Das Verhalten des ukrainischen Militärs im Krieg mit Russland und auch das Verhalten von Präsident Selenskyj wird oft als heroisch und heldenhaft bezeichnet. Solche Worte lassen sich natürlich in einem gut geheizten Büro in Brüssel und anderswo leichter in den Mund nehmen als in einer Kiewer U-Bahnstation inmitten eines russischen Bombardements. Es gibt keinen heroischen und heldenhaften Krieg. Kriege sind immer brutal, grausam und menschenverachtend, und zwar auf allen Seiten.
Auch die russischen Soldaten sind ja nicht freiwillig in der Ukraine, sondern weil sie von ihrem größenwahnsinnigen Präsidenten und seinen Militärs dazu gezwungen werden. Die Waffenlieferungen des Westens werden dazu führen, dass die militärische Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland unvermindert heftig fortgeführt wird und zu einer weiteren Eskalation der militärischen Auseinandersetzung beitragen.
Das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung, die zwischen den Kampfhandlungen ausharren muss, wird den moralischen Druck auf den Westen, doch noch militärisch einzugreifen, weiter deutlich erhöhen und die Gefahr einer direkten militärischen Auseinandersetzung des Westens mit Russland wahrscheinlicher machen, mit unabsehbaren Folgen für den Weltfrieden. Das Ergebnis dieses „heldenhaften“ Kampfes wird eine völlig zerstörte und für Jahrzehnte am Boden liegende Ukraine sein, von den vielen tausenden toten Soldaten auf beiden Seiten und den tausenden getöteten Zivilisten in der Ukraine ganz zu schweigen. Bernd Gläser Köln
Politische Blauäugigkeit für Krieg mit verantwortlich
Die frühere Ablehnung, der Ukraine zur Selbstverteidigung Panzer- und Flugabwehrwaffen gegen einen Angriffskrieg von Putin zu geben, hat ihm signalisiert, dass man ihm die Ukraine überlässt. Dies hat sicher mit dazu beigetragen, dass Putin glaubte, die Ukraine ohne große eigene Verluste in einem Blitzkrieg unterwerfen zu können. Nachdem ihn Deutschland nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim mit Nord Stream 2 belohnt hatte, musste er dies als Einladung für eine weitere risikolose Annexion verstehen. Das Ende der politischen Blauäugigkeit kommt hoffentlich nicht zu spät. Dank gilt dem ukrainischen Volk, dass trotz der Haltung, dass man ihm keine Waffen zur Selbstverteidigung überlassen wollte, Moral beweist.Diethelm Schroeder Bergisch Gladbach