Kommentar zum ParteitagDie Grünen im Schraubstock der Ampelkoalition

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Ricarda Lang (2.v.l.), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Omid Nouripour (M), Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, stehen mit Terry Reintke (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Europäischen Parlaments und Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024, und weiteren Kandi

Ricarda Lang (2.v.l.), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Omid Nouripour (M), Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, stehen mit Terry Reintke (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Europäischen Parlaments und Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024, und weiteren Kandidaten beim Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen auf dem Podium.

Die bisweilen arg konformistische Bundesdelegiertenkonferenz wurde durch den Aufstand der Grünen Jugend interessant. Im Streit über Asylpolitik offenbart sich das Dilemma der Partei.

Am Ende wurde es so heftig wie erwartet. Zwar hatte die Führung der Grünen die Debatte über die Flüchtlingspolitik beim Parteitag in Karlsruhe auf den späten Samstagabend verlegt. Dann, so lautete wohl die Hoffnung, schaut im Rest der Republik niemand mehr hin. Politik ist immer auch Timing. Dennoch mussten die versammelten Vorsitzenden sowie Ministerinnen und Minister alles geben, um den Aufstand der Grünen Jugend im Streit über die Asylrechtsverschärfungen einzudämmen. So wurde die bisweilen arg konformistische Bundesdelegiertenkonferenz doch noch interessant.

Tatsächlich haben sich die Grünen ja sehr verändert. Das zeigte sich im Badischen einmal mehr. Gewiss loderten hier und da kleine Feuerchen. Die Grüne Jugend schlug antikapitalistische Töne an. Eine Handvoll parteibekannte Rebellen reichte fleißig Änderungsanträge ein. Über 1000 Parteimitglieder unterschrieben einen Brief, in dem steht: „Manchmal erscheint es uns, als ob die Grünen von einer Partei für echte Veränderung zu einer Werbeagentur für schlechte Kompromisse geworden sind.“

Die Grünen sind durch und durch pragmatisch geworden

Das alles spiegelt die grünen Verhältnisse aber nicht wirklich wider. Eine führende Vertreterin der Partei, die bereits während der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 dabei war, stellte dieser Tage vielmehr fest, dass es reihenweise Sonderparteitage gegeben hätte, wenn die Grünen seinerzeit so viele schmerzhafte Kompromisse hätten machen müssen wie in den laufenden Wochen und Monaten. Dass das heute nicht geschieht, hat gute und schlechte Gründe.

Einerseits sind die Grünen durch und durch pragmatisch geworden. Es gibt bei ihnen nicht nur keine Sonderparteitage mehr. Abweichende Meinungen werden öffentlich bestenfalls noch von der besagten Grünen Jugend geäußert oder von Mandatsträgern wie Erik Marquardt, Filiz Polat oder Julian Pahlke, denen es in der Flüchtlingspolitik tatsächlich „um die Sache“ geht.

43 Jahre nach der Gründung soll vornehmlich die Partei selbst wachsen

Und Sache ist leider, dass einzelne Grüne mittlerweile sogar Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union nicht mehr ausschließen, obwohl die Partei lange als diejenige gelten wollte, die „Haltung“ zeigt. Sache ist ebenso, dass die Grünen in ihrem Europawahlprogramm den „Wohlstand schützen“ wollen. Das ist vor allem sehr traurig. Immerhin wurde die Partei einst gegründet in der Überzeugung, dass es „Grenzen des Wachstums“ gebe. 43 Jahre später soll vornehmlich die Partei selbst wachsen. Da sie lediglich in der Mitte des politischen Spektrums wachsen kann, werden Ecken und Kanten abgeschliffen.

Andererseits stecken die Grünen im Schraubstock der Ampelkoalition fest – und das in Zeiten eines wahnsinnigen nationalen und internationalen Problemdrucks. Selbst wenn sie in der Klimaschutz-, der Flüchtlings- oder der Außenpolitik noch etwas ganz anderes wollten: Sie könnten es nicht durchsetzen. Schließlich sieht die Welt derzeit morgens meistens anders aus als abends vor dem Einschlafen. Wie sollen Politikerinnen und Politiker da noch Herr des Verfahrens sein? Nichts könnte jedenfalls falscher sein als Behauptungen inner- und außerhalb der Grünen, sie stünden „auf der Bremse“. Eben deshalb brauchen sie Friedrich Merz ja als Punchingball.

Flüchtlingsdebatte von beiden Seiten mit unfairen Mitteln geführt

Dabei wurde die Flüchtlingsdebatte von Karlsruhe von beiden Seiten mit unfairen Mitteln geführt. Die Grüne Jugend tat so, als finde sie in einem luftleeren Raum statt und als gäbe es die Probleme mit fehlendem Geld, fehlendem Wohnraum und fehlenden Plätzen in Kindertagesstätten und Schulen nicht. Die Spitzen in Partei und Regierung schlugen zurück, in dem sie die Sachfrage recht unverhohlen zur Machtfrage deklarierten. Die Macht gab typischerweise den Ausschlag.

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