Anke Engelke und Annette Frier„Dann sollte man ins Kissen weinen“

Anke Engelke (l.) und Annette Frier
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Köln – Ein kleines Büro im Kölner Stadtgarten. Anke Engelke hat eben ihre Sendung „Anke hat Zeit“ aufgezeichnet. Jetzt hat sie sich umgezogen, die Kontaktlinsen rausgenommen und eine große Brille aufgesetzt. Sie trinkt Ingwertee. Eine ihrer Gäste an diesem Abend ist Annette Frier. Die beiden kennen sich schon lange. Im Jahr 2000 trat Frier bei der Sat.1-„Wochenshow“ die Nachfolge von Anke Engelke an.
Frau Frier, Sie haben dieses Jahr Ihre Erfolgsserie „Danni Lowinski“ beendet. War es schwierig, den Moment zum Aufhören zu finden?
Annette Frier: Es war irgendwie ein natürlicher Prozess. Alle fragen immer, ob es nicht mehr ging, oder die Lust nicht mehr da war. Tatsächlich war es genau das Gegenteil. Es war so schön, dass ich es dann irgendwann auch wieder loslassen musste. Weitergehen, denn ich wusste auch, wir können in dem Format nicht besser werden. Man sagt nicht umsonst, dass alles seine Zeit hat. Dieser Entschluss ist ein super Beispiel dafür. Mit etwas, das wunderschön ist, aufzuhören, weil man spürt, dass es fertig ist.
Wissen Sie immer, wann der richtige Moment für eine Veränderung ist, Frau Engelke?
Anke Engelke: Ich bin so eine Passieren-Lasserin. Sieht man ganz gut bei den Anfängen meiner Karriere. Warum habe ich im Kinderchor gesungen, warum bin ich dann beim Radio gelandet, warum bin ich dann zum Fernsehen gekommen? Ich bin also nicht der Typ, der Pläne macht. Was ich habe, sind Konzepte, sobald ich etwas angehe, und ich habe immer eine Haltung. Aber ich habe keinen Plan. Wenn es kommt, dann kommt es. „Jetzt reicht es aber langsam“ habe ich im Job noch nicht oft gesagt. Ich glaube, ich habe das Gespür für „Jetzt reicht’s!“ nicht. Liegt auch daran, dass ich nicht so ein Macher bin. Dazu fehlt mir der Ehrgeiz. Dass ich nicht spüre, wann es Zeit ist aufzuhören. Das könnte daran liegen, dass ich den Moment so gerne mag Ich bin ein Genussmensch beim Arbeiten. Ich bau’ mir ein Nest, in dem ich mich wohlfühle.
Das heißt, Sie haben Ihre Karriere nicht geplant?
Engelke: Nee, nix geplant. Ich wollte Lehrerin werden und habe bis zur Zwischenprüfung studiert, etwas ziellos. Man kann natürlich Input geben und wissen, mit wem man sich zusammentut. Aber einen Masterplan im Sinne von „In spätestens fünf Jahren will ich zwei Kinofilme gemacht haben und mindestens einmal Tatort-Kommissar gewesen sein“ – das funktioniert nicht.
Frier: So bin ich auch nicht. Das war ja auch eine Instinkthandlung und kein Plan, dass ich mit „Danni Lowinski“ aufgehört habe. Ich bin morgens aufgewacht und hatte das Gefühl, dass es bald vorbei sein sollte.
Frau Engelke, Ihre Sendung heißt „Anke hat Zeit“. Nehmen wir uns zu wenig Zeit?
Engelke: Naja, wie ist das gekommen, dass plötzlich überall Häppchen wichtig sind, ob bei der Zeitung, im Hörfunk oder Fernsehen. Was war zuerst da? Die Ungeduld der Menschen oder die Vereinfachung? Haben die Programmmacher gesagt, es wird noch geiler, wenn wir Wortbeiträge noch kürzer machen? Kann man ruhig mal in Frage stellen. Warum kürzen wir alles ab? Finde ich schade, dass man als Moderator Gespräche durchplant. Ich will nicht schon den nächsten oder übernächsten Gedanken denken. Natürlich haben wir auch bei „Anke hat Zeit“ nicht ewig Zeit und die Show hat sich in den vergangenen anderthalb Jahren auch entwickelt, aber wir nehmen uns Zeit für Künstler und Menschen, die sonst nicht im Fernsehen vorkommen. Wenn es hakt im Gespräch, habe ich mir eben mal keine nächste Frage überlegt, weil ich zugehört habe. Moderationsmaschinen sind unzeitgemäß, finde ich. Es sollte im Fernsehen Inseln geben, bei denen man das Gefühl hat, da meint es jemand ernst mit mir.
Wie meinen Sie das?
Engelke: Na, freiwilliges Fernsehen, nicht automatisiert. Wenn die Leuten nicht klatschen wollen, klatschen sie nicht. Vielleicht wollen sie auch den Moment genießen. Für mich ist jede Ausgabe von „Anke hat Zeit“ ein Experiment. Natürlich bin ich astrein vorbereitet, habe mit der Redaktion umfangreich recherchiert, aber ich muss im Gespräch in der Sendung bei Null anfangen, weil ich nicht davon ausgehen kann, dass die Zuschauer auch vorbereitet sind.
Frau Frier, Sie wurden in der Öffentlichkeit lange Zeit vor allem als Komikerin gesehen. Erst in den vergangenen Jahren nimmt eine breitere Öffentlichkeit Sie in erster Linie als Schauspielerin wahr.
Frier: Das stimmt und dafür musste ich auch wirklich was tun. Vielleicht gab es also doch so etwas wie einen Plan. Ich habe irgendwann gemerkt, dass dieses Korsett immer enger wurde. Das Aberwitzige daran ist, dass ich mich nie als Komikerin gesehen habe. Ich bin Schauspielerin. Das hat mit Ausbildung und mit einem Selbstverständnis des Berufs zu tun. Bei mir gab es jahrelang eine große Irritation, weil ich das Gefühl hatte, ich musste etwas erfüllen, das ich gar nicht bin. Dabei kann ich nur da hundertprozentig meine Kraft entwickeln, wo ich mich Zuhause fühle. Bei Anke ist es durch die unfassbare Vielseitigkeit viel schwerer, sie in eine Schublade zu stecken. Aber ich bin mit Leidenschaft Schauspielerin.
Sie sind beide erfolgreich mit dem, was Sie tun. Steigt da der Druck, Erwartungen des Publikums erfüllen zu müssen?
Engelke: Och, ich empfinde nicht, dass es eine Erwartungshaltung gibt. Wir haben den Leuten so viel hingeknallt in den letzten Jahren, da sollen die mal gucken. Ich habe immer das Gefühl, ich fange bei Null an. Die Zuschauer haben vielleicht eine Meinung über uns, aber das ist eine Geschmackssache und subjektiv.
Frier: Ich habe das Gefühl, dass der Druck weniger wird. Vor fünf oder zehn Jahren hab ich mir viel mehr Stress gemacht. Doch je mehr ich arbeite und je mehr ich meinem Instinkt folge, desto weniger spüre ich diesen Druck noch. Natürlich kann man jetzt sagen: „Ja, wenn man gerade oben im Sattel sitzt, dann hat man leicht reden.“ Aber es ist trotzdem wahr.
Engelke: Man hat früher etwas gesagt und war hinterher oft nicht sicher, ob man das wirklich so gemeint hat. Total anstrengend. Wenn man sich selbst glauben kann, dann stellt sich eine Sicherheit ein, die aber nix zu tun hat mit Überheblichkeit oder Eitelkeit. Es ist schön, wenn man sich selbst glaubt, weil man dann den Leuten keinen Bullshit vor die Füße wirft. Das ist für alle entspannter. Es geht auch um Vertrauen. Dann bin ich bei mir selbst und hab mich gerne und dann fällt es anderen leichter, mit mir umzugehen.
Frier: Wenn man sich selbst vertraut, ist man schon auf halber Strecke dabei, Angst loszulassen. Das ist ja sowieso das große Thema unserer Zeit. Alle haben Angst, etwas Falsches zu tun, etwas Falsches zu sagen. Viele Menschen sind permanent mit ihren Ängsten beschäftigt und das blockiert sie völlig. Ich glaube, man muss sich darauf konzentrieren, einfach der Angst ins Gesicht zu schauen. Irgendwann gibt es einen Punkt, dann merkst du: krass, die Angst vor der Angst ist viel größer als alles, was passieren kann. Und wenn man das auf einen künstlerischen Prozess überträgt, dann ist alles plötzlich angstfrei.
Verliert man die Angst nicht auch, wenn man sich von dem Anspruch löst, in allem perfekt sein zu müssen?
Frier: Die Gesellschaft zielt auf Perfektion. Doch darum geht es nicht, das Leben kann nicht perfekt sein. Aber alles, was wir sehen, gaukelt uns das vor. Deshalb ist es auch so schwierig, bei sich zu bleiben, weil man immer damit konfrontiert wird, wie ein perfektes Leben angeblich auszusehen hat. Für mich ist das einzig hilfreiche, sich auf den Moment zu konzentrieren. Denn der Moment ist immer Jetzt, dazu gibt es keine Alternative. Das klingt banal, aber darin steckt auch eine unglaubliche Wahrheit.
Engelke: Oft spüre ich bei Menschen Angst. Viele sind immer darauf bedacht, es allen recht zu machen und gut rüberzukommen. Das blockiert so sehr. Und macht schlechte Laune. Mir ist bei „Anke hat Zeit“ wichtig, dass sich alle Künstler wohl und sicher fühlen und darüber freuen die sich. Ich selbst habe nie Angst, es ist doch, wie es ist. Bald sind wir sowieso alle tot. Ich kann Zweifel haben, aber Druck und Angst und Stress sind nicht gut. Davon muss man sich lösen.
Hilft eine solche Einstellung auch, mit Kritik umzugehen? Gerade in sozialen Netzwerken sind ja viele Menschen sehr direkt und zum Teil verletzend. Frau Frier, Sie haben mit anderen Kollegen beim Comedypreis böse Tweets laut vorgelesen.
Frier: Ja, mit großem Vergnügen. Die Menschen, die das schreiben, entlarven sich doch selbst. Kommentare von Leuten, die etwas schreiben und nicht mal ihren Namen drunter setzten, sollte man gar nicht lesen. Punkt. Man muss lernen, damit umzugeben.
Engelke: Mir tun die leid. Wo sind die denn? Warum kommen die nicht zu dir und sprechen mit dir? Verstehe ich nicht. Und Kommentare von Menschen, die anonym bleiben wollen, die nicht den Mut haben, sich der Sache zu stellen, interessieren mich nicht. Lieber mit offenem Visier Kritik üben. Ich würde niemals über jemanden zum Beispiel solche Tweets schreiben, da stellt man sich ja über den anderen.
Wenn man wie Sie in der Öffentlichkeit steht, ist die Gefahr, so angefeindet zu werden, allerdings viel größer.
Engelke: Da muss man vorher schön seine Hausaufgaben machen und wissen, wenn ich das jetzt mache, dann mach ich mich verletzlich. Man muss daran glauben, dass man klar kommt. Ich habe diesen Beruf gewählt, mich hat niemand gezwungen, das zu machen. Es war keine vorgehaltene Waffe im Spiel: Ich habe eine Haltung dazu entwickelt. Und wenn ich nach vorne gehe, dann muss ich damit rechnen, dass es windig wird.
Frier: Wenn man sich in die erste Reihe setzt, dann wird man auch drangenommen. Das muss man wissen. Und das heißt nicht, dass man nicht manchmal in Selbstmitleid versinken darf. Aber dann sollte man eben ins Kissen weinen und nicht die Leute damit belasten. Das hat dann aber wieder mit der Angst zu tun, generell nicht zu genügen. Es gibt Gedanken, mit denen kannst du nichts verhandeln. Die kannst du drei Tage wälzen, und die bleiben trotzdem so bescheuert wie bei der ersten Betrachtung. Am besten räumt man die schnell aus dem Weg.
Engelke: Es gibt dieses Missverständnis, dass Leute die prominent sind, genau darauf scharf sind. Dass wir sind, wo wir sind, ist schön, aber ich habe bei Berufswunsch nicht „berühmt“ geschrieben. Es gibt Leute, die finden das aufregend und denken, berühmt sein sei so toll. Das ist nicht so. Es ist interessant, auf welche Stigmata man da trifft. Die Leute sagen dann: Beschwer’ dich doch nicht, du hast das doch gewollt. Doch, ich beschwere mich, wenn ich schlecht behandelt werde.
Das Gespräch führte Anne Burgmer