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Gedenken bei OlympiaCharles Aznavour zum 100. – diese 11 Lieder bleiben unsterblich

Lesezeit 7 Minuten
Charles Aznavour im Jahr 2010.

Der große Chansonnier Charles Aznavour im Jahr 2010. (Archivbild)

Charles Aznavour ist unvergessen. Wir erinnern an einen der größten Chansonniers Frankreichs mit 11 seiner schönsten Lieder.

Charles Aznavour, der legendäre französische Chansonnier, wurde bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele 2024 in Paris posthum geehrt. Sein zeitloser Klassiker „Emmenez-moi“ hallte durch das Stadion, ein symbolischer Moment, der die Herzen der Zuschauer berührte und die Unvergänglichkeit seiner Musik unterstrich. Es war eine bewegende Hommage an einen Künstler, dessen Werk die französische Kultur entscheidend geprägt hat.

Mit weltweit über 100 Millionen verkauften Tonträgern, mehr als 1.200 Chansons und über 50 Studioalben, die er in mehreren Sprachen aufnahm, gehörte Charles Aznavour zu den produktivsten und erfolgreichsten französischen Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine Musik, geprägt von tiefgründigen Texten und emotionaler Ausdruckskraft, hat Generationen berührt und ihm weit über seinen Tod im Jahr 2018 hinaus einen festen Platz in der Musikgeschichte gesichert.

1998 kürten der US-Nachrichtensender CNN und das „Time Magazine“ Charles Aznavour zum „Entertainer des Jahrhunderts“ – und sie übertrieben nicht: In seiner acht Jahrzehnte währenden Karriere hat er viele bemerkenswerte Lieder veröffentlicht. Zu seinem 100. Geburtstag 2024 haben wir elf Lieder ausgewählt.

„La bohème“ (1965)

Bob Dylan soll nach einem Auftritt Aznavours in der Carnegie Hall über ihn gesagt haben: „Er hat mich umgehauen: Er hat mir einfach das Hirn weggeblasen.“ Zu den Höhepunkten dieser Show Mitte der 1960er Jahre gehörte „La Bohème“, eine melancholische Hommage an den Pariser Stadtteil Montmartre – ein Aznavour-Signaturstück, das bei keiner seiner Live-Shows fehlte.

Auch bei seinen letzten Auftritten hat er das Stück mit einem einzigen Requisit, einem weißen Tuch, das er wegwarf, verstärkt. In diesem Moment war es viel mehr als nur ein wehmütiger Abschied von einer Epoche, die nur noch als ferne Erinnerung existiert und nie mehr zurückkehren wird.


„Désormais“ (1969)

Wie kaum ein anderes seiner Lieder drückt dieses hochdramatische Chanson das Ende einer Liebesbeziehung und den Schmerz des Abschieds aus: „Ich werde der Schatten meiner selbst sein, meine Hand von deiner Hand getrennt“. Waren viele seiner Liebeslieder leise und intim, wurden hier mit einem gewaltigen Streicherarrangement schwere Geschütze aufgefahren.

Ende der 70er Jahre nahm er das Stück noch einmal auf – diesmal ganz zeitgemäß im schillernden Disco-Gewand. 1978 entstand daraus für Deutschland „Ab sofort“, für das Daliah Lavis langjährige Textdichterin Miriam Frances den Text geschrieben hatte. Das dazugehörige Album „Vor dem Winter“ gehört zu Aznavours wenigen Studiowerken, die noch nicht den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft haben.


„Du lässt dich gehn“ („Tu t'laisses aller“) (1962)

In einer Zeit, in der in Deutschland Rex Gildo oder Gerhard Wendland die Hitparaden anführten, Nana Mouskouri die weißen Wolken betrachtete oder Mina vom heißen Sand sang, muss dieses sarkastische Chanson mit Textzeilen wie „Mit deiner schlampigen Figur, gehst du mir gegen die Natur“ für manche Zuhörer wie ein Schock gewesen sein.

Humorvoll und bissig besingt Aznavour eine Beziehung, die in die Jahre gekommen ist. Am Schluss dreht sich das Lied ins Versöhnliche. Trotz des eher anspruchsvollen Textes und seines schrulligen Akzents wurde das Lied zu seinem größten Erfolg und öffnete ihm den deutschen Markt für einige exklusive Alben und zahlreiche Konzerte.


„Hier encore“ (1964)

Aznavour reflektiert in diesem Klassiker über verpasste Chancen und unerfüllte Träume seiner Jugend. Es wurde eines seiner bekanntesten und erfolgreichsten Lieder und erlangte weltweite Anerkennung in der englischen Fassung „Yesterday When I Was Young“, die von zahllosen Stars wie Dusty Springfield oder Glen Campbell aufgenommen wurde.

Am bekanntesten dürfte aber die Version des Country-Sängers Roy Clark sein, der damit sogar in die Country-Charts zog und seinen einzigen großen Pop-Hit feierte.


„She“ (1974)

Mit diesem Lied feierte Aznavour einen überraschenden Nummer-eins-Hit in Großbritannien, was vor allen Dingen daran lag, dass das Lied für die damals im Königreich populäre Fernsehserie „Seven Faces of Woman“ verwendet wurde. Viele Jahre später fand „She“ neue Fans im Kinofilm „Notting Hill“. Es war jedoch nicht sein einziger Hit in Großbritannien. Bereits ein Jahr zuvor hatte Aznavour mit dem Sinatra-haften „The Old Fashioned Way“ einen Hit gelandet.

Vielleicht beflügelt durch den Erfolg dieser Aufnahmen, fasste Aznavour Mitte der 1980er Jahre sogar den kühnen Plan, das amerikanische Publikum zu erobern, das gerade mit Madonna oder Michael Jackson beschäftigt war. Aznavour blieb hier eine Konzertattraktion für ein anspruchsvolles Publikum. Dokumentiert wurde der misslungene Versuch im unterhaltsamen Fernsehfilm „Aznavour in Amerika“.


„Wie sie sagen“ („Comme ‚ils disent‘“) (1972)

Das Chanson „Comme ils disent“ thematisiert die Homosexualität und ihre Tabuisierung zu Beginn der 1970er Jahre. Während die wenigen Chansons dieser Zeit das Thema auf frivole oder spöttische Weise behandelten, war Aznavour einer der ersten, der die Geschichte eines Mannes, der „allein mit seiner Mutter lebt“, ohne Umschweife und mit einer gehörigen Portion Sarkasmus erzählte.

„Doch nachts erwacht erst mein Genie, denn in der Kunst der Travestie, da bin ich spitze. Bewundert ist mein Striptease-Akt, am Ende steh' ich völlig nackt“, heißt es in der dritten Strophe. Kein Wunder, dass das Lied, in der hierzulande weitaus bekannteren deutschen Version, zum Schwulenklassiker und beliebten Travestie-Chanson avancierte.


„Que c'est triste Venise“ (1964)

Auch dieses Chanson ist nichts für Optimisten, denn für Aznavour ist das besungene Venedig eine Stadt der Verzweiflung über eine verflossene Liebe. Die malerische, romantische Kulisse dient ihm hier als Kontrast zu den tiefen Gefühlen der Trauer und Melancholie.

Mit „Que c'est triste Venise“ fängt Aznavour die bittersüße Stimmung ein, die eine einst glückliche, nun aber verlorene Romanze hinterlässt. Dazu gibt es ein herrliches Arrangement, das an frühe Werke von Bert Kaempfert erinnert. Es stammt vom großen Paul Mauriat, dem französischen Pendant zu Kaempfert, der mit vielen großen Chanson-Legenden wie Mireille Mathieu, Léo Ferré oder Dalida zusammengearbeitet hat.


„Als es mir beschissen ging“ („Mes emmerdes“) (1976, 1980)

Das französische Original entstand 1976, die deutsche Version folgte 1980. Den Text mit wunderbaren Zeilen wie „Damals liebte ich so heiß wie nie, trank mit Freunden Wein bis morgens früh, damals als es mir beschissen ging“ schrieb Michael Kunze.

„Als es mir beschissen ging“ ist ein introspektives Lied, das die Höhen und Tiefen eines Lebens widerspiegelt. Aznavour beschreibt die Anstrengungen und Opfer, die der Protagonist auf dem Weg zum Erfolg erbringen musste. Obwohl er im Rampenlicht steht, denkt er oft an die Zeit zurück, in der er wenig hatte, aber wahre Freundschaft und leidenschaftliche Liebe erlebte. Das beeindruckte sogar Herbert Grönemeyer, der mit Aznavour eine Duettfassung aufnahm.


„Mourir d'aimer“ (1971)

In Deutschland weniger bekannt, war dieses Lied in Frankreich ein weiterer großer Erfolg für Aznavour. Zeilen wie „Überlassen wir die Welt ihren Problemen, die hasserfüllte Menschen mit sich selbst ausmachen, mit ihren kleinen Ideen“ haben auch mehr als 50 Jahre nach ihrer Entstehung nichts von ihrer Aktualität verloren.

In dem Lied, dessen Titel übersetzt „Aus Liebe sterben“ bedeutet, beschreibt Aznavour das Gefühl, sich an den glatten Wänden des Lebens festzuklammern und doch unaufhaltsam seinem Schicksal entgegenzustürzen. Den einzigen Ausweg sieht er darin, für die Liebe zu sterben, auch wenn die Welt ihn dafür verurteilt. Aus Liebe zu sterben ist in seinen Augen eine edle Entscheidung, die zwar gegen den Körper, nicht aber gegen den Geist sündigt. Französischer geht es nicht mehr.


„La mamma“ (1963)

Eines seiner bewegendsten Lieder ist „La mamma“, in dem Aznavour die ergreifende Szene besingt, in der sich die Familie um die sterbende Mutter versammelt. Aznavour fängt die Trauer und die Liebe der Angehörigen ein. Auch „La mamma“, ein großer Klassiker des französischen Chanson, ging in mehreren Sprachen um die Welt.

Hierzulande war die deutsche Version der niederländischen Chansonette und Eurovisionssiegerin Corry Brokken, die sich eng an das Original hält, am erfolgreichsten. Diese wurde dann von Heino (!) auf seinem legendären Album „Liebe Mutter ... ein Blumenstrauß, der nie verwelkt“ eine Spur zu volkstümlich gecovert. In den USA sangen große Stars wie Connie Francis oder Ray Charles ihre Fassung des Liedes.


„Emmenez-moi“ (1967)

„Emmenez-moi“ erzählt die Geschichte eines Mannes, der von einem besseren Leben in fernen Ländern träumt, weit weg von seinem tristen Alltag. Das Lied spiegelt Aznavours Sehnsucht nach Abenteuer und Freiheit wider.

Als eines seiner größten Lieder war es in gewisser Weise auch das Schlusslied seiner Karriere, denn es war das letzte Lied, das er bei seinem finalen Konzert im japanischen Osaka seinem Publikum präsentierte. Am Ende der nationalen Huldigung im Invalidendom im Oktober 2018 begleitete die Republikanische Garde den Abtransport des Sarges von Aznavour mit einer bewegenden Interpretation von „Emmenez-moi“.