Im Zwei-Schicht-BetriebWie Straftäter mit Fußfesseln überwacht werden

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Ein Mann trägt eine elektronische Fußfessel an seinem Knöchel. 

Sie mag auf den ersten Blick absurd klingen, aber trifft die Realität ganz gut – die Formel, auf die eine Mitarbeiterin die Situation bringt: „Wir Überwacher sitzen im Knast, während die Überwachten draußen sind.“  Die 38-jährige Sozialarbeiterin – nennen wir sie Claudia, Namen sind verständlicherweise tabu – gehört zum etwa 20-köpfigen Team der Gül, der „Gemeinsamen Elektronischen Überwachungsstelle der Länder“. Die Behörde  ist sozusagen die Fußfessel-Zentrale für ganz Deutschland, die aufpasst, dass alles ordnungsgemäß läuft bei den etwa 140 Straftätern, die so ein Gerät am Knöchel tragen müssen.

Claudias Büro befindet sich nicht nur hinter Gefängnismauern, sondern in einem abgetrennten Hochsicherheitstrakt. Vor dem „Einschluss“ müssen Handys und Ausweise abgegeben werden, Metalldetektoren kommen bei der Leibesvisitation zum Einsatz. Sie und ihre Kollegen fühlen sich „ein bisschen wie Häftlinge, eingesperrt eben, aber es ist  ja nur zu unserem Schutz“.

In den 1990er Jahren machte die Justizvollzugsanstalt im südhessischen Weiterstadt Schlagzeilen, weil die Rote Armee Fraktion (RAF) den Neubau kurz vor dessen Eröffnung bei einem spektakulären Sprengstoffanschlag fast vollständig zerstörte. Heute gilt das Gefängnis als besonders sicher.

Anordnung für höchstens fünf Jahre

Seit 2011 können in Deutschland Straftäter, bei denen ein Rückfallrisiko besteht,  auf richterliche Anordnung nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis mit der elektronischen Fußfessel überwacht werden. Voraussetzung ist, dass sie eine mindestens dreijährige Haft verbüßt haben und nicht wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurden. Zwei Drittel der von dieser Maßnahme betroffenen 140 Männer sind Sexualstraf- oder Gewalttäter. Die Fußfessel  darf für höchstens fünf Jahre angeordnet werden. Alle zwei Jahre muss der Einsatz überprüft werden. Gerade hat das Bundesverfassungsgericht  entschieden, dass die so genannte Elektronische Aufenthaltsüberwachung grundgesetzkonform ist.

Am 1.März 2021 ist Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy wegen Korruption zu drei Jahren Gefängnis  verurteilt worden. Ein Jahr muss er eine Fußfessel im Hausarrest  tragen, zwei Jahre wurden zur Bewährung ausgesetzt. (bk)

In den ersten Jahren ihrer Existenz, die sie  einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) von 2009 verdankt, war die Gül eher provisorisch in der ehemaligen Hausmeisterwohnung des Amtsgerichts im Kurstädtchen Bad Vilbel untergebracht. Seit auch islamistische Gefährder zu den potenziellen „Kunden“ gehören, schlossen die Justizminister mögliche Bedrohungen oder terroristische Aktionen nicht aus und wollten mit dem Umzug nach Weiterstadt auf Nummer sicher gehen. Die Straßburger Richter erteilten der deutschen Praxis der nachträglich im Anschluss an die Haft angeordneten Sicherungsverwahrung eine Rüge. Diese Regelung, so die Richter, stelle einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention dar. Die Konsequenz war, dass Straftäter nach Verbüßung ihrer Haft   freigelassen werden mussten.

Wenn sie als weiterhin gefährlich oder sogar hochgefährlich galten, mussten sie rund um die Uhr von der Polizei beobachtet werden, was einen großen logistischen und personellen Aufwand bedeutete. Das war die Geburtsstunde für die Einführung der elektronischen Fußfessel  und der Gül.

„Unser Hauptjob“, sagt Gül-Chef Hans-Dieter Amthor, „ist ganz klar der Opferschutz.“ Er findet die gesetzlichen Vorgaben für die Zulässigkeit der  Überwachung trotzdem richtig. Zum Beispiel dass ein „anlassunabhängiges Echtzeit-Tracking“ nicht erlaubt ist, solange der zu Überwachende keine Auffälligkeiten zeigt.

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Die zweite Generation der elektronischen Fußfesseln

Die Arbeit in der Gül-Leitstelle wirkt unspektakulär und besteht überwiegend aus Routine, doch die scheinbare Ruhe in den Kontrollräumen täuscht. „Meine Leute“, sagt Amthor beim Rundgang durch die Herzkammer seiner Einrichtung „sind Superspezialisten und müssen auf tausend Kleinigkeiten achten.“  Die Hälfte seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wie er selbst Sozialarbeiter, die anderen kommen aus der Justizverwaltung und dem Strafvollzug. Sie sitzen im Zwei-Schicht-System rund um die Uhr vor ihren Monitoren, auf denen blaue Felder, orangene Kreise und gelegentlich Karten mit Detailausschnitten zu sehen sind. Orange steht für Arbeitsstelle.

 Das Symbol leuchtet aber nur auf, sollte sich der  Fußfesselträger  weiter als erlaubt von seinem Büro oder seiner Werkstatt entfernt  und sich womöglich in eine „Verbotszone“ begeben. Im Rahmen der sich an die Haft anschließenden „Führungsaufsicht“ wird genau festgelegt, wo sich der entlassene Straftäter aufhalten darf und wo nicht. Dabei kommt es auf die Prognose bei der Entlassung an. Ziel dieser „aufenthaltsbezogenen Weisungen“ in Form von Gebots- und Verbotszonen sei, so eine kriminologische Doktorarbeit an der Uni Tübingen, „dass der Überwachte sich durch eine höhere Entdeckungswahrscheinlichkeit von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lässt“. Das klingt nicht nur gut, es funktioniert auch häufig, wie Studien belegen.

Ortung per GPS oder Mobilfunkmast

 Die Fußfessel sendet mehrmals pro Minute ein GPS-Signal. Sollte kurzzeitig keine GPS-Ortung möglich sein, schaltet das Gerät sich automatisch auf Mobilfunkmasten um. Wenn Gefahr im Verzug ist oder auch bloß ein technischer Defekt besteht (etwa durch Akku-Probleme) wird in Weiterstadt automatisch ein Alarm ausgelöst, egal wo sich der Mann (es gibt nur männliche Probanden)   gerade aufhält. „Wir wissen aber nicht 24 Stunden lang, was unser Mann gerade tut oder lässt. Das müssen und wollen wir auch gar nicht wissen.“ Dafür seien die Bewährungshelfer zuständig. Die meisten Überwachten seien „ziemlich kooperationswillig, aber es gibt wie überall auch Stinkstiefel und Querulanten“.

Am Entlassungstag wird neuen Probanden noch im Gefängnis nach einem entsprechenden richterlichen Beschluss ihr neuer Begleiter angelegt – Widersetzen zwecklos. Einmal angelegt kann die Fessel vom Träger nur durch rohe Gewalt gelöst werden – das kommt selten vor und falls doch mal, schrillen in der Gül-Leitstelle die Alarmglocken. Dann würde sofort die nächstgelegene Polizeiwache verständigt und ein Streifenwagen in Marsch gesetzt. Das Überwachungsgerät, das aussieht wie ein Handy älterer Bauart, und etwa 150 Gramm wiegt, wird mit einem speziellen Kunststoffband befestigt. Der so genannte Tracker besteht aus einem Hartplastikgehäuse und enthält neben dem Akku einen GPS-Sender und eine Speichereinheit. Gesichert am Knöchel wird es mit einem speziellen Kunststoffband.

Fußfessel mit dem Grundgesetz vereinbar

„Sport treiben, ins Schwimmbad gehen, unmöglich.  Man duscht damit, man schläft damit, man macht eben alles damit“, sagt Amthor.  Obwohl die meisten Probanden reisen dürften, solange sie auf dem Radar der Gül bleiben, können sie nicht einfach in den Flieger steigen. Die Fessel schlägt in der Sicherheitsschleuse an, und die meisten Airlines lehnen die Beförderung wegen möglicher Störungen des Funkverkehrs    ab.   Aber das sind nicht die Hauptprobleme der Fußgefesselten.

In einer Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht beklagt sich ein nach Verbüßung einer längeren Gefängnisstrafe wegen Vergewaltigung in die eingeschränkte Freiheit entlassener Mann Anfang 50 aus Rostock, dass das kleine Wunderding an seinen Waden sogar im „normalen sozialen Umgang“ auffällt – und sei es nur durch überlange Hosenbeine oder dicke Wollstrümpfe im Sommer. „Das leicht ins Auge springende Gerät stempelt seinen Träger schnell als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher ab“.  Gerade hat Karlsruhe mit Blick auf diesen Fall entschieden, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung bei entlassenen Straftätern, denen ein Rückfallrisiko bescheinigt worden ist, mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Gerade hat die Nachtschicht der Überwachenden begonnen. „Die ist am härtesten. Es passiert viel weniger, aber du kannst dir keinen Sekundenschlaf leisten, sondern musst ständig auf der Lauer liegen.“ Es könnte ja sein, dass gerade heute einer der 140 „Kunden“ auf dumme Gedanken kommt.

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