Im Juli 2010 starben 21 Menschen bei der Loveparade-Katastrophe in Duisburg. Unsere Redakteurin hat das Unglück damals hautnah miterlebt.
15 Jahre Loveparade-Katastrophe„Die Rampe hat uns wohl das Leben gerettet“

Ein Mann steht im Tunnel in der Nähe des Unglücksortes vor Kerzen, die das Datum 24.07.2010 zeigen. Zahlreiche Menschen haben mit einer Nacht der 1.000 Lichter an die Opfer der Loveparade-Katastrophe vor 15 Jahren erinnert. (Archivbild)
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Ich war bei der Loveparade dabei. Genau, bei DER Loveparade, damals in Duisburg. Wenn ich das erzähle, blicke ich meist in ungläubige Gesichter. 21 junge Leute sind damals gestorben, mehr als 650 wurden verletzt – und ich bin einer Tragödie entkommen, von der ich während der Parade noch nicht einmal wusste, dass sie gerade um mich herum passiert.
Ich war 20, Studentin in Dortmund, und mit Freunden zum Feiern zur Loveparade gefahren. Es war voll, die Menschen schoben sich vom Bahnhof aufs Festivalgelände. Ich hatte mir eine Blase gelaufen, wollte meinen Fuß notdürftig mit einem Taschentuch verarzten. Doch die Menge war zu dicht, meine Freundin sagte: „Steh' bloß auf, sonst kommst du hier nicht mehr hoch.“
Loveparade-Katastrophe 2010: „Um uns rum hörten wir Sirenen“
Deshalb sind wir weitergegangen, immer mit dem Strom. Wir waren kurz vor dem Tunnel. Dann öffnete ein Ordner links von uns einen Seitenzugang – ein Weg, der nicht durch den tödlichen Tunnel führte, sondern über eine Rampe am Rand des Geländes. Dieser Weg hat uns wohl gerettet.
Wir haben die Parade verfolgt, hatten Spaß, haben getrunken. Irgendwann hatten meine Freundin und ich keine Lust mehr, wollten zurück zum Bahnhof. Wir sind den „Exit“-Schildern gefolgt, das Gelände war mit Absperrgittern abgeschottet. Um uns rum hörten wir Sirenen, Polizeibeamte hatten die Absperrungen an einer Stelle geöffnet – ein Notausgang, durch den so viele Menschen drängten, dass er direkt vor meiner Nase wieder dicht gemacht wurde. Ich musste heulen, wurde noch durchgelassen.
Die Verkaufsstände, wo es kurz vorher noch Brezeln gab, lagen demoliert am Rand. Da wussten wir: Hier ist etwas Schreckliches passiert.
Dann kamen die Rettungswagen, Leute mit Erste-Hilfe-Koffern, ein Hubschrauber am Himmel. Überall lagen Müll, Klamotten, irgendwelche Gegenstände. Die Verkaufsstände, wo es kurz vorher noch Brezeln gab, lagen demoliert am Rand. Da wussten wir: Hier ist etwas Schreckliches passiert.
Auf dem Gelände ging das Handynetz nicht, aber auf dem Weg zum Bahnhof haben wir die Eilmeldungen gesehen. Am Bahnhof ging nichts mehr, alles war gesperrt. Also sind wir mit der Straßenbahn nach Mülheim gefahren. Dort haben wir dann erfahren, was um uns herum passiert ist – und dass die Rampe uns wohl das Leben gerettet hat.
Ich habe direkt meine Eltern angerufen. Die hatten zum Glück noch nichts davon mitbekommen. Wir wollten unsere Freunde erreichen, die noch auf dem Gelände waren. Auch mein heutiger Mann war noch feiern.
Er kam mitten in der Nacht nach Hause, sein Vater hatte schon bei der Notfallnummer der Stadt Duisburg angerufen. Vier von uns sind heute immer noch eng befreundet, und am Wochenende, wenn wir gemeinsam unseren fünften Hochzeitstag feiern, werden wir sicherlich sagen: Die Rampe hat unser Leben gerettet.