Nachruf auf Tatjana PatitzEin Strand-Bild machte sie zur Ikone

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Tatjana Patitz ist Alter von 56 Jahren im US-Bundesstaat Kalifornien gestorben.

Tatjana Patitz ist Alter von 56 Jahren im US-Bundesstaat Kalifornien gestorben.

Mit Cindy Crawford und Naomi Campbell gehörte Tatjana Patitz zu den Supermodels der 80er und 90er Jahre. Jetzt ist das in Hamburg geborene Model mit 56 Jahren gestorben.

Mehr Schönheit, mehr Cool- und gleichzeitig Hotness, mehr Style –  mehr Mehr ging nicht als in diesem einen Musikvideo. Cindy Crawford war im Clip zu „Freedom ´90“ von George Michael zu sehen, Naomi Campbell, Linda Evangelista, Christy Turlington – und die damals 24 Jahre alte Tatjana Patitz. Fünf Frauen, deren Nachnamen zu Beginn der 90er-Jahre praktisch nicht mitgenannt werden mussten, weil ohnehin jeder wusste, von wem die Rede war. Fünf Frauen, in ihrer Unterschiedlichkeit alle zeitlos wunderschön. Tatjana Patitz ist jetzt im Alter von 56 Jahren in Kalifornien an Brustkrebs gestorben.

Patitz wird 1966 in Hamburg geboren. Der Vater ist Deutscher, die Mutter Estin, er schreibt Reiseführer, sie ist Tänzerin. Hamburg und Stuttgart sind Stationen der Familie, den größten Teil ihrer Kindheit aber verbringt Patitz in Schweden. „Schweden war okay, aber es war nie mein Zuhause“, sagt Patitz 2003 in einem Interview mit der „Zeit“. Sie kommt als 15-Jährige auf den dritten Platz eines Modelwettbewerbs. Der Preis: ein Sechs-Monats-Vertrag mit einer namhaften Agentur in Paris. Patitz lebt in einer WG mit fünf anderen Mädchen, so richtig will aber nichts zünden.

Tatjana Patitz galt als zu groß, zu kurvig 

Bis sie von einem deutschen Fotografen zum Casting eingeladen wird, der Peter Brodbeck heißt, aus Duisburg stammt und den heute alle nur unter dem Namen Peter Lindbergh kennen. Dieser Lindbergh bucht Patitz, die für den damaligen Mainstream-Geschmack als zu groß, zu kurvig gilt, für die französische „Vogue“. „Die Frau hat was“, sagt er und fotografiert sie, wie sie mit glühender Kippe im Mundwinkel einen Kinderwagen über den Boulevard Saint Germain schiebt - und damit geht es los.

Lindbergh ist es dann auch, der für das Foto am Strand von Malibu sorgt, für das das Wort „ikonisch“ hätte erfunden werden müssen, existierte es nicht bereits. Lindberghs Idee: Strand, sechs noch unbekannte junge Models, weiße Hemden, Schwarzweiß-Fotografie, Natürlichkeit statt heftig geschminkter Frauen. „Ich hab meine Truppe zusammengetrommelt und bin mit denen an den Strand, wir hatten nur Hemden und T-Shirts dabei. Als ich die Bilder gezeigt habe, meinten alle nur: Was ist das denn?! Die Grace lief schnaubend aus dem Zimmer, meine Fotos verschwanden in der Schublade“, zitiert die SZ den Top-Fotografen aus einem Gespräch zwei Jahre vor seinem Tod. „Die Grace“ meint Grace Mirabella, damals Chefredakteurin der US-Vogue. Vier Jahre später findet ihre Nachfolgerin Anna Wintour Lindberghs Bilder wieder - und damit geht es dann so richtig los.

350.000 Dollar für zwei Tage Haare schütteln

Patitz, die irrsinnig blau-blitzende Augen hat und während ihrer Karriere gern mal mit Huskys fotografiert wird, ist sehr plötzlich ganz oben im Model-Geschäft angekommen. „Die Menschen haben immer zu mir gesagt, dass ich speziell aussehe, dass ich nicht aussehe wie irgendjemand anderes“, sagte Patitz einmal der „Vogue“. „Und dass ich es deswegen schaffen würde.“ Und so ist es dann auch. Einmal habe sie für „zwei Tage lang Haare schütteln mal 350.000 Dollar bekommen“, heißt es. Verrückt.

Selbstverständlich ist der Erfolg für die Hamburgerin damals aber auch dann nicht, als sie eine von denen ist, die „Supermodel“ genannt wird – nie habe sie gewusst, ob es nicht am nächsten Tag schon vorbei sein würde. Doch der Erfolg hält an. Mit 19 zieht sie nach Los Angeles, wohnt monatelang im Hotel „Chateau Marmont“, kauft sich ein Pferd, ist auf vielen Partys, trinkt viel, so Patitz im „Stern“. Mit Anfang 20 ist sie Millionärin, verdient teils bis 15000 Dollar am Tag.

Das deutsche Model gilt in der Branche als leicht kompliziert, vielleicht, weil sie auch mal zu Hause bleibt, wenn sie sich nicht gut fühlt – jahrelang sei sie auf Castings teilst brutal für reine Äußerlichkeiten beurteilt worden, habe die Regeln anderer akzeptieren müssen, vielleicht sei das so etwas wie eine kleine Rache. Ihrem Erfolg schadet das offenbar nicht: Patitz erscheint auf zig Titelseiten, sie macht Werbung, ist, so heißt es, mit Promi-Männern wie Johnny Depp, Richard Gere, Seal oder Pierce Brosnan zusammen, wird von Paparazzi verfolgt – und fühlt sich zunehmend eingeengt und unter Beobachtung.

Mit 32, Patitz lebt schon eine Weile in den USA, entscheidet sie, dass Dinge sich ändern müssen. „Ich habe mich gefragt, was ich mit meinem Leben machen will. Wo gehe ich hin, was liebe ich wirklich, was brauche ich?“ 

Patitz hat einen Sohn aus einer Beziehung mit einem amerikanischen Geschäftsmann, sie nennt ihn Quelle ihres Glücks, will nicht, dass der von Nannys großgezogen wird – sie arbeitet weniger, gibt nur sehr spärlich Interviews, vertieft ihr Engagement für Tier- und Umweltschutz. „Ich bin mir eines Tages darüber klar geworden: Entweder lebst du für dich oder für andere. Ich lebe lieber für mich.“

„Tatjana war immer das europäische Symbol von schick – wie Romy Schneider-trifft-Monica Vitti“, schrieb „Vogue“-Chefin Anna Wintour am Mittwoch. Patitz sei viel weniger sichtbar gewesen als ihre Kolleginnen - „mysteriöser, erwachsener, unnahbarer – und das hatte seine eigene Anziehungskraft.“

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