Ein abgefackeltes Haus, ein toter Tatverdächtiger und eine Bombendrohung gegen die Wiesn versetzen München in Alarmbereitschaft. Die Polizei ermittelt intensiv, erst am Nachmittag gibt es Entwarnung.
Ausnahmezustand in MünchenWie eine Drohung das Oktoberfest lahmlegte

Das Münchner Oktoberfest blieb Mittwoch tagsüber wegen einer Sprengstoffdrohung geschlossen.
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Am sehr frühen Mittwochmorgen gegen 4.40 Uhr erreichen die Münchner Polizei mehrere Notrufe. Laute Explosionen waren zu hören in der Lerchenau im Norden der Stadt. Die Polizei sprach erst von einem „Zimmerbrand“, so vermeldet es der Bayerische Rundfunk (BR). Als in der Dunkelheit die Sprengkörper detonierten und das Haus brannte, wusste noch niemand, welch dramatischer Tag auf die Stadt zukommt: mit dem abgefackelten Haus, mindestens einem Toten, mit Verletzten und ausgebrannten Autos in der Umgebung.
Zudem mit einem Polizeieinsatz, den Beobachter als „unglaublich“ bezeichneten. Und mit der Bombendrohung gegen die Wiesn, der Sperrung des größten Volksfestes der Welt „womöglich den ganzen Tag lang“, der peniblen Durchsuchung des riesigen Areals auf Sprengstoff. Zeitweise haben viele Bürger das flaue Gefühl, dass die Lage in der Stadt unsicher sein könnte, dass sie vielleicht sogar sehr gefährlich ist.
Unklare Lage wurde erst zum Nachmittag deutlich
Am Nachmittag stellt sich das Geschehen – nach vielen Gerüchten und unbestätigten Behauptungen – ziemlich gesichert so dar: Die Polizei verschickte um 14.29 Uhr eine Pressemitteilung. Ein 57 Jahre alter Mann mit Wohnung in Starnberg hat sein Elternhaus in der Lerchenau – diese gehört zum Stadtbezirk Feldmoching/Hasenbergl – angezündet und zwei Autos sowie einen Kleintransporter gesprengt. Verletzt wurden seine 81 Jahre alte Mutter sowie seine 21-jährige Tochter, eine Deutsch-Brasilianerin. Sie kamen zur Behandlung in ein Krankenhaus.
Seinen Vater hatten manche Medien für tot erklärt. Am späten Nachmittag teilte die Polizei mit, eine weitere Person sei ums Leben gekommen – dabei handle es sich vermutlich um den 90 Jahre alten Hausbesitzer.
Grund für die Gewalttat soll ein Erbschaftsstreit gewesen sein. Der Verdächtige war laut BR Handwerker, er hatte danach einen Suizidversuch verübt, wurde schwerst verletzt und starb in einem Auto nahe des Hauses beim Lerchenauer See. Nachbarn hatten einen Brief von ihm entdeckt und der Polizei übergeben. In diesem war die Bombendrohung gegen das Oktoberfest.
Einsatzgebiet wird großräumig evakuiert
Bis zum Tagesbeginn wird in der Lerchenau die Umgebung 200 Meter um das Einfamilienhaus herum evakuiert. Polizei und Feuerwehr sind vorsichtig. Denn der Täter hat, so schreibt die Münchner Polizei um 9.18 Uhr auf X, Sprengfallen angebracht. Zur Entschärfung werden Spezialisten hinzugezogen. Auf den großen Straßen dort geht nichts mehr, die Autofahrer sollen die Gegend weiträumig umfahren, rät die Polizei. In zwei Schulen fällt der Unterricht aus. An zwei Stationen halten die Busse nicht.

Ein ausgebrannter Transporter wird nach einem Brand in einem Einfamilienhaus im Münchner Stadtteil Lerchenau abtransportiert.
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Im Rathaus am Marienplatz tagt der Stadtrat in einer regulären Vollversammlung. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) verlässt den Sitzungssaal kurz und verkündet dann, dass das Oktoberfest nicht wie gewohnt um 10 Uhr öffnet, sondern wegen einer Bombendrohung gesperrt ist. Bis 17 Uhr, wenn nötig auch länger. Daraufhin spricht er auf Instagram zur Bevölkerung: Die Wiesn sei „bedroht“, deshalb könne man nicht das Risiko eingehen, „Menschen aufs Oktoberfest zu lassen“. Weiter sagt er: „Es tut mir leid, anders geht’s nicht. Sicherheit geht vor.“ In einem späteren Beitrag präzisiert der OB: Es sei nur die Wiesn bedroht, alle anderen Veranstaltungen in München könnten stattfinden.
Antifa-Bekennerbrief stellt sich als Fälschung heraus
Am Nachmittag veröffentlicht Dieter Reiter dann erneut eine Videobotschaft. Es gebe keinen Fund auf dem Festgelände, die Wiesn könne weitergehen. Ab 17.30 Uhr öffnen die Tore wieder.
Am späteren Vormittag kommt die Vermutung auf, die linke Antifa könnte hinter den Explosionen stecken. Auf deren Website Indymedia hieß es unter der Überschrift „Antifa heißt Angriff“, dass man im Münchner Norden „einige Luxuskarren abgefackelt und Hausbesuche abgestattet“ habe. „Zudem ging für einen Fascho sein Morgenspaziergang nicht besonders gut aus.“ Später war die Nachricht von der Plattform gelöscht. Die Polizei stellt fest, dass ein Zusammenhang mit den Brandstiftungen „aktuell nicht gegeben“ ist. Wenn das also ein Scherz gewesen sein soll, dann war es ein ganz schlechter.
Leere U-Bahnen, wo sonst Scharen Richtung Oktoberfest fahren
München ist, wie jedes Jahr um diese Zeit, ganz auf Oktoberfest getrimmt. Eigentlich fahren schon am Vormittag Heerscharen von Menschen, viele in Tracht, mit der U-Bahn Richtung Fest. An diesem Mittwoch sieht man kaum jemanden. An der U-Bahn-Tafel läuft das Band: „Das Oktoberfest bleibt vorerst geschlossen.“ Und auf Englisch: „Oktoberfest will remain closed for now.“
Auf Werbetafeln in den Stationen preisen die sechs Wiesn-Brauereien das „Zeltkulturerbe“ an. Kioske vor dem Gelände machen Umsätze mit günstigem Bier zum „Vorglühen“. Einer in der Herzog-Heinrich-Straße hat einen Aufsteller auf der Straße: „Bier 2,50 Euro“. Sowie „4 + 1“.

Besucher gehen nach dem Einlass wieder auf das Gelände des Oktoberfests. Nach der Schließung wegen einer Bombendrohung ist das Münchner Oktoberfest wieder geöffnet worden.
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Eine Gruppe aus Nordrhein-Westfalen hat es nicht mitbekommen. Drei junge Männer und zwei Frauen in Tracht kommen enttäuscht von der abgesperrten Wiesn zur U-Bahn Goetheplatz. „Übel“, sagen sie. „Was machen wir jetzt?“
Am Eingang am Bavariaring auf die Matthias-Pschorr-Straße in der Wiesn ist alles abgesperrt. Dutzende, ja Hunderte verschiedene Ordnungskräfte sind unterwegs. Am Morgen musste das ganze Wiesn-Personal, das schon auf dem Gelände war, rausgehen. Eine Security-Mitarbeiterin sagt: „Ich bin seit sechs Uhr im Einsatz, und um neun Uhr kam die Meldung.“ Wiesn-Besucher muss sie abweisen und empfiehlt manchmal als Alternative ein bekanntes Hendl-Restaurant in der nahen Lindwurmstraße. Wer Tische oder die teureren Boxen reserviert hat, wird von den Festwirten kontaktiert, so versprechen diese es. Die Zelte haben unterschiedliche Richtlinien für Rückerstattungen bei behördlichen Sperrungen.
25 Sprengstoffhunde durchsuchen Areal
Das Areal wird mit 25 Sprengstoffspürhunden durchkämmt. Und zwar alles. Das Oktoberfest ist 42 Hektar groß, das sind knapp 59 Fußballfelder. Außen ist es gespenstisch still. Das Riesenrad verharrt, der Skyfall-Turm steht regungslos da. Aus den Zelten ertönt keine Musik der Wiesn-Kapellen. Der übliche weit nach draußen dringende Lärm fehlt, ebenso der typische Wiesn-Geruch – etwas zwischen Bier, Gebratenem und gebrannten Mandeln.
Familie G. aus Memmingen steht auch enttäuscht am Eingang – Vater Stefan, Mutter Julia, ein kleiner Sohn und eine Tochter im Buggy. „Um zwanzig nach zehn haben wir im Auto davon gehört“, sagt die Mutter, die ein Dirndl trägt. „Da dachten wir: Egal, wir fahren trotzdem hin.“ Einmal pro Wiesn reisen sie gern die 120 Kilometer aus dem Allgäu an. Sie nehmen es gefasst an diesem sonnigen Tag: „Wir gehen in die Stadt und schauen mal, was wir machen.“
Am Samstagnachmittag erst kam es zur kurzfristigen Schließung des Geländes für eine Stunde – wegen Überfüllung. Es drohte eine Massenpanik, die Gefahr bestand, dass sich die vielen Menschen zerquetschten.