Zum 100. Geburtstag von Hildegard Knef erinnern diese 11 Lieder an ihre Sprache, ihren Witz und ihren schonungslosen Blick aufs Leben.
100. Geburtstag einer IkoneDiese 11 Lieder von Hildegard Knef werden bleiben

Hildegard Knef wäre am 28. Dezember 2025 100 Jahre alt geworden. (Archivbild)
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Am 28. Dezember 2025 jährt sich die Geburt einer Frau, die wie kaum eine andere zwischen Berliner Schnoddrigkeit und internationaler Eleganz stand. Hildegard Knef war weit mehr als ein Gesicht der Nachkriegszeit: Sie provozierte, widersprach, erfand sich neu. Mit ihrer unverkennbaren Stimme sang sie von Melancholie, Scheitern und dem Willen, sich selbst treu zu bleiben. Ob Broadway oder Kurfürstendamm – Knef blieb eine Suchende, die Erfolge wie Niederlagen offen verarbeitete. Zum 100. Geburtstag lohnt der Blick zurück auf ein Werk, das nichts beschönigt und gerade deshalb bis heute wirkt.
„Für mich soll's rote Rosen regnen“ (1968)
Das bekannteste Lied der Knef! Wie sie selbst sagte, ein „hochaggressives“ Lied: Wer braucht schon bescheidene Sträuße, wenn es gleich der ganze Himmel sein kann? In dieser Hymne der Unbedingtheit verlangte Hildegard Knef nichts Geringeres als das volle Leben.
Der Song feiert den Anspruch, sich nicht kleiner zu machen – erst recht nicht mit zunehmendem Alter. Leidenschaft und ein bewusster Mangel an Zurückhaltung tragen ihn bis heute. Bemerkenswert: 1968 blieb das Lied ohne Chartplatzierung, erst 1992 wurde es zum echten Hit – durch eine rockige Coverversion der Band Extrabreit, mit Hilde an ihrer Seite.
„In dieser Stadt“ (1965)
Hildegard Knef sang einige wunderbare Lieder über Berlin, darunter „Berlin, Dein Gesicht hat Sommersprossen“, „Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“, „Heimweh nach dem Kurfürstendamm“ und „Das ist Berlin“. Geboren wurde sie zwar in Ulm, doch ihre enge Verbindung zur Hauptstadt entstand erst später: Die Knef lebte zeitweise in Berlin, erlebte die Stadt prägend während des Krieges und der Nachkriegsjahre und machte sie zu einem zentralen Ort ihrer künstlerischen Identität.
„In dieser Stadt“ ist eine Art Liebesbrief an Berlin, der zugleich wie eine melancholische Abrechnung klingt. Hier wird der Beton lebendig, jede Straßenecke scheint von gestern und morgen zu erzählen. Die Knef wandelt durch die Häuserschluchten und fängt das flüchtige Gefühl von Heimat und Fremde zugleich ein. Ein Song für Nachtschwärmer, die wissen, dass Städte Seelen haben. Und die Melodie haftet an den Schuhsohlen wie der Staub der großen weiten Welt.
„17 Millimeter fehlten mir zum Glück“ (1974)
Manchmal scheitert das ganz große Schicksal an einer lächerlichen Kleinigkeit, fast so schmal wie ein Fingernagel. Mit einer Prise Selbstironie besingt die Knef hier das knappe Vorbeischrammen an der perfekten Erfüllung.
Es ist die hohe Kunst, dem Pech mit einem Augenzwinkern zu begegnen, anstatt in Tränen auszubrechen. Wer hat nicht schon einmal erlebt, dass das Ziel zum Greifen nah war und doch unsichtbar blieb? Ein wunderbar lakonischer Blick auf die Stolpersteine des Alltags und 25 Jahre später verkürzt als „17 Millimeter“ Titelsong ihres letzten Albums mit Till Brönner.
„Von nun an ging’s bergab“ (1968)
Niemand konnte das Scheitern so elegant zelebrieren wie die Frau mit der einmalig rauchigen Stimme – über die Ella Fitzgerald einmal gesagt hat, sie sei „die beste Sängerin ohne Stimme“. Der Weg nach unten wird hier nicht als Tragödie erzählt, sondern als fast befreiende Talfahrt inszeniert.
Mit Trotz und trockenem Humor blickt Hildegard Knef auf die Brüche ihrer Biografie – und nimmt dabei keine Rücksicht auf sich selbst. Sie rechnet mit der Sängerin ab, mit der Schauspielerin, mit der öffentlichen Figur, die Erwartungen nie ganz erfüllen konnte oder wollte. Wenn schon der Abgrund ruft, dann bitteschön mit Stil, Selbstironie und erhobenem Haupt.
„Ich brauch’ Tapetenwechsel“ (1970)
Mit „Knef“ veröffentlichte die Sängerin 1970 ein Album, das Kritiker bis heute zu ihren stärksten zählen und das sie jazziger zeigte als je zuvor. Beim Publikum stieß das Werk zunächst auf Zurückhaltung, viele Käufer ignorierten es. Über die Jahre entwickelte sich dieses vielschichtige Chanson-Album dennoch zu einem Klassiker.
Im darauf enthaltenen „Tapetenwechsel“ beschreibt die Knef das Gefühl, wenn die eigenen vier Wände plötzlich zu eng werden und nur noch der radikale Umbruch hilft. Das Lied wird zum Ruf nach Bewegung für alle Rastlosen, die den Staub des Gewohnten abschütteln wollen. Es geht um die Sehnsucht nach neuen Farben, anderen Gesichtern und der Freiheit jenseits des Bekannten.
„Eins und eins, das macht zwei“ (1963)
Mathe war selten so treffsicher und zugleich so ernüchternd wie in diesem ausladenden Walzer, der der damaligen Schlagerästhetik wohl am nächsten kam. Die Logik der Liebe folgt eben nicht immer den Regeln der Schulbank, selbst wenn die Rechnung denkbar einfach scheint. Es swingt und tänzelt durch die Gehörgänge, während die Knef die Welt der Gefühle lakonisch kommentiert.
Spätestens bei der Zeile „Der Mensch an sich ist feige“ ist die heile Schlagerwelt dann schnell vorbei. Dennoch bleibt es ein überraschend leichtfüßiger Moment, der zeigt, dass Hildegard Knef ihren Humor nie verlor. Mit Platz 27 wurde der Song zudem ihr größter kommerzieller Erfolg in den deutschen Single-Charts. Sehr schön ist auch die Version mit Bert Kaempfert.
„Schmelzen Butterblumen?“ (1971)
Die Knef bewegt sich hier in einer dichten Welt aus Bildern und Metaphern, die stellenweise fast surreal wirkt. Alles grünt und blüht, während die äußere Realität in den Hintergrund rückt. Der Song zeigt ihre Fähigkeit für leise, schwebende Zwischentöne, fern jeder Zuspitzung.
Die Natur erscheint als Spiegel innerer Zustände – zart, flüchtig, dem Vergehen unterworfen. Am besten entfaltet sich dieses akustische Gemälde mit geschlossenen Augen. Es passt ideal zu dem vom Soul und Gospel geprägten Album „Worum geht’s hier eigentlich?“, das sie gemeinsam mit den Les Humphries Singers aufnahm.
„Aber schön war es doch“ (1962)
Schon das Intro trifft mit voller Bläser-Wucht: ein dramatischer Auftakt, der sofort klarmacht, dass hier kein Platz für Sentimentalität ist. Es ist ein Blick in den Rückspiegel des Lebens, bei dem man die Tränen wegblinzelt, um weitermachen zu können. Auch wenn am Ende Scherben liegen, überwiegt in diesem Klassiker die Dankbarkeit für das Erlebte.
Hildegard Knef zeigt, wie man Vergangenes loslässt, ohne zu verbittern oder es zu verleugnen. Das Chanson wird zur Hymne der Versöhnung mit eigenen Fehlern und verpassten Chancen. Ein höchst bemerkenswertes Sujet, denn „Aber schön war es doch“ entstand in einer Phase des musikalischen Neustarts. Mit Platz 47 wurde der Titel zugleich ihr erster Hit in den deutschen Single-Charts.
„Im 80. Stockwerk“ (1970)
Hier geht es hoch hinaus, mitten hinein in die Einsamkeit der modernen Wolkenkratzer. Über den Dingen stehen und trotzdem den Boden unter den Füßen vermissen – diese Ambivalenz fängt Hildegard Knef hier meisterhaft ein. Die Welt da unten wirkt klein und unbedeutend, während man oben mit den eigenen Gedanken allein bleibt.
Es ist ein kühler, fast futuristischer Trip durch die menschliche Isolation. Ein weiterer großer Song aus dem einst verkannten Album „Knef“, der perfekt zum Tempo und zur Härte einer Metropole passt. Daran kamen nicht einmal die Fantastischen Vier vorbei, die das Stück 1999 für ihren Song „Die Stadt, die es nicht gibt“ sampelten.
„Mein Zeitbegriff“ (1970)
Wir müssen noch ein oft übersehenes Highlight aus dem kleinen Meisterwerk „Knef“ mit einer traumhaften Melodie hervorheben. Zeit tickt für jeden anders – und für Hildegard Knef ohnehin nach ganz eigenen Regeln. In „Mein Zeitbegriff“ stellt sie den nüchternen, vermessenen Zeitbegriff der Erwachsenen einer anderen, unmittelbaren Wahrnehmung gegenüber.
Zeit ist hier keine Abfolge von Stunden und Jahren, sondern ein innerer Zustand, der sich nicht zählen lässt. Was bedeutet schon „fast ein Jahr“, wenn Nähe, Staunen und Empfinden jenseits von Zahlen existieren? Knef verbindet diese Perspektive mit einer leisen, aber scharfen Kritik an einer Welt, die alles vergleicht, benennt und damit oft entleert – selbst Liebe und Glück.
„Das Glück kennt nur Minuten“ (1967)
Zum Abschluss unserer Erinnerungen an die große Hildegard Knef steht eine leise Mahnung: Große Gefühle sind keine Dauerzustände. Wer auf die Ewigkeit hofft, übersieht womöglich den schönsten Augenblick des Tages.
Mit ihrer typischen Direktheit erinnert Knef daran, wie kurz selbst die intensivsten Momente sind. Es geht um das Jetzt, um das bewusste Zugreifen, bevor es sich wieder im Alltag verliert. Ein wahrhaftiges Chanson, das dazu auffordert, die kleinen Zeitfenster des Lächelns weit zu öffnen.
Besonders berührend ist eine Fassung, in der Knefs gealterte Stimme in den letzten Sekunden sagt: „Man kann sich für das Glück vorbereiten, aber ich glaube, man kann nichts dafür tun ... Das ist Schicksal.“

