Vor Ort in FreudenbergLuise und mutmaßliche Täterinnen sollen beste Freundinnen gewesen sein

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Der Tatort in Freudenberg am Dienstag

Am Tatort in Freudenberg haben Freunde und Bekannte des Opfers Blumen und Kerzen in den Schnee gelegt.

Einen Tag nachdem klar wurde, dass zwei Mädchen unter Verdacht stehen, die zwölf Jahre alte Luise aus Freudenberg getötet zu haben, steht eine ganze Kleinstadt unter Schock. Misstrauen macht sich breit.

Ein Buch in einer kleinen Nische der evangelischen Kirche in Freudenberg öffnet den Blick in die Seelen einer entsetzten Gemeinde. Nach dem Tod der zwölfjährigen Luise haben die Bürger auf zahlreichen Seiten ihre Anteilnahme verfasst. „Fassungslos, sprachlos, hilflos, wütend“, heißt es im Kondolenzbuch. „Wir haben keine Worte.“

Daneben steht eine Vase mit weißen Rosen, Kerzen brennen. Auf Stehtischen liegen Zettel mit der Nummer der Telefonseelsorge. Der Pfarrer sagt, dass er keine Auskünfte erteilen möchte, nicht einmal darüber, wie es seiner Gemeinde in diesen schweren Tagen geht. Welche Anliegen die Menschen haben, welche Antworten sie suchen.

In Freudenberg spricht man von Entsetzen, Bedrücktheit, einem schwarzen Schleier

Freudenberg, 18.000 Einwohner, bürgerliches Idyll aus Fachwerk und Schiefer, seit dem Wochenende Ort eines Kapitalverbrechens, das ein ganzes Land beschäftigt, weil Kinder mutmaßlich ein Kind getötet haben, scheint sich zur Verschwiegenheit entschlossen zu haben. Die Wenigen, die in den fast menschenleeren Straßen und Gassen anzutreffen sind, sagen nicht viel, sprechen von Entsetzen, Bedrücktheit, einem schwarzen Schleier, der sich über den Ort gelegt hat. Aber eben auch von Pietät und Zurückhaltung. „Für uns alle ist das ein Schock, den wir zu verarbeiten haben“, sagt ein Mann im Wirtshaus. „Alles ist schlimm genug, wir wollen uns keinen Spekulationen hingeben.“

Doch die Fragen nach dem warum, sie werden drängender. Denn wie sich nun herausstellt, waren die im Ort bekannte Luise und die beiden mutmaßlichen Täterinnen, 12 und 13 Jahre alt, beste Freundinnen. Strahlend seien sie gewesen, voller Leben und Glück, zusammen und jede für sich, erzählt eine ältere Schülerin jener Gesamtschule, die auch die drei Mädchen besucht haben. Die Tat habe auch in ihrem Freundeskreis Spuren hinterlassen, sagt sie, ein ungewolltes Misstrauen sei entstanden. Freundinnen, die einander töten - müsse nicht eigentlich nun jeder auf der Hut sein?

Freudenberg: Zwei Mädchen haben gestanden, Luise mit einem Messer getötet zu haben

Luise war am Samstagabend als vermisst gemeldet worden, nachdem sie sich angeblich vom Haus ihrer Freundin im Ortsteil Hohenhain durch den Wald auf den Heimweg gemacht hatte. Eine große Suchaktion der Polizei begann, Hundertschaften, Hubschrauber, Hundestaffeln. Ein Tag später wird ihre Leiche gefunden, in einem Waldstück ganz in der Nähe des Hauses der Freundin, wenige Meter hinter der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Am Dienstag geben Polizei und Staatsanwaltschaft bekannt, dass zwei Mädchen gestanden hätten, Luise mit einem Messer getötet zu haben. Viel mehr sagen die Ermittler mit Verweis auf den Jugendschutz nicht. Die beiden Mädchen sind aufgrund ihres Alters strafunmündig. Sie wurden der Obhut des Jugendamts übergeben.

Nachbarn erzählen, dass die drei Freundinnen zusammen den Samstagnachmittag in Hohenhain verbracht hätten. Es habe einen Streit gegeben. Worum es dabei ging, ist nicht bekannt. Die Ermittler wollen sich dazu nicht äußern. „Was für Kinder möglicherweise ein Motiv ist für eine Tat, würde sich einem Erwachsenen möglicherweise nicht erschließen“, sagte der leitende Staatsanwalt am Dienstag.

Auch was dann passiert ist, bleibt unklar.

Nach der Tat noch mit den Eltern des Opfers telefoniert

Offenbar aber verließen sie zu dritt das Haus, gingen zusammen in den Wald, nur zwei von ihnen kamen zurück. Einer der beiden soll dann laut „Bild“-Zeitung Luises Eltern angerufen und ihnen erzählt haben, dass sich das Mädchen um 17:30 Uhr auf den etwa drei Kilometer langen Heimweg gemacht habe. Um 19:45 Uhr verständigten die besorgten Eltern die Polizei. In den Vernehmungen haben sich die beiden Freundinnen nach Angaben der Ermittler schließlich in Widersprüche verstrickt und die Tat schließlich gestanden.

Die Stadt trägt auch am Mittwoch Trauer, die Flaggen wehen auf Halbmast. In der betroffenen Schule werden Gespräche mit Psychologen angeboten. Am Mittwochnachmittag verschickt SPD-Bürgermeisterin Nicole Reschke eine Stellungnahme. Die Menschen würden „nach Erklärungen für das Unerklärliche“ suchen. Für die Bewohner sei es nun wichtig, „nicht allein mit seinen Gefühlen und Gedanken zu hadern“, sondern den Austausch zu suchen.

Ob der Ort diese Tat ohne soziale Bruchstellen überstehen wird, bleibt abzuwarten. Gerade der Umgang mit den Familien der mutmaßlichen Täterinnen könne zur Herausforderung für die Dorfgemeinschaft werden, sagt der Mann im Wirtshaus. Eine Stigmatisierung sei nahezu unvermeidlich. Ob man dann zurück in die Gemeinschaft wird ziehen können, werde sich zeigen.

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