Isländischer Vulkan-Experte im Interview„Grindavík ist komplett zu, niemand darf dort rein“

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Dieses Bild zeigt ein brennendes Haus in Grindavik nach dem erneuten Vulkanausbruch in Island am Sonntag.

Dieses Bild zeigt ein brennendes Haus in Grindavik nach dem erneuten Vulkanausbruch in Island am Sonntag.

Warum die Situation in Grindavik heikel ist und wie das explosive Potenzial eines weiteren Vulkans zu bewerten ist, der ausbrechen könnte.

Am Sonntag ist es in Island erneut zu einem Vulkanausbruch innerhalb weniger Wochen gekommen. Die aus mehreren Spalten austretende Lava floss in die nur wenige Stunden zuvor evakuierte Stadt Grindavik und zerstörte einige Häuser. Der Geophysiker Páll Einarsson von der Universität Island, einer der renommiertesten Vulkan-Experten des Landes, berichtet im Interview, was in Island derzeit passiert und debattiert wird.

Hat es Sie der neue Ausbruch am Sonntag überrascht, nachdem derselbe Vulkan im Dezember nur wenige Tage aktiv war?

Páll Einarsson: Nein. Die Eruption am Sonntag haben wir schon seit einiger Zeit vorhergesagt. Als dann ein Erdbebenschwarm in der Nacht begann, dauerte es von da vier bis fünf Stunden bis zum Ausbruch.

Wie funktionieren Vulkan-Vorhersagen?

Wir haben Langzeit- und Kurzfrist-Vorhersagen. In Island leben wir mit 30 aktiven Vulkanen und können mit ziemlich hoher Verlässlichkeit bei einem Großteil der Vulkane ausschließen, dass sie in nächster Zeit aktiv werden. Das ist durch seismologische Forschung möglich. Wir nutzen Erdbeben gewissermaßen als Werkzeug, um die inaktiven von den aktiven Vulkanen zu unterscheiden. Fünf bis zehn Vulkane in Island könnten in näherer Zukunft ausbrechen. Bei der Kurzfrist-Vorhersage geht es dann darum, welcher Vulkan in den nächsten Wochen ausbrechen könnte. Wenn sich ein Vulkan beginnt aufzublähen, wird er höchstwahrscheinlich sehr bald aktiv sein. Erdbeben-Schwärme sagen dann meist eine sehr unmittelbare Eruption voraus. Diese können eine halbe Stunde oder mehrere Wochen andauern, bevor eine Eruption beginnt.

Grindavik wurde am 10. November evakuiert. Trotz der drohenden Gefahr durften die Einwohner im Januar zurückkehren. Wieso?

Die Situation war kompliziert. Grindavik war im November ja nicht nur wegen des drohenden Vulkanausbruchs, sondern auch wegen der großen Risse, die viele Straßen und Häuser beschädigt haben, zu einem gefährlichen Ort geworden. Nachdem der Vulkanausbruch am 18. Dezember bereits nach wenigen Tagen vorbei war, gab es zunehmend Beschwerden über die Evakuierung. Darum wurde sie Schritt für Schritt aufgehoben, die Einwohner durften auf eigenes Risiko zurückkehren. Anfangs war es nicht erlaubt, über Nacht zu bleiben, dann wurde auch dieses Verbot aufgehoben. In der Nacht auf Sonntag befanden sich rund 300 Menschen in Grindavik. Als die Erdbeben um 3 Uhr begannen, musste der Ort evakuiert werden. Zwischen vier und fünf Uhr waren alle Menschen weg. Um acht Uhr begann dann die ziemlich starke Eruption.

Vulkanausbruch in Island: Magmagang verläuft direkt unter Grindavik

Wäre es ein Problem geworden, wenn sich ein Großteil der rund 3700 Einwohner in Grindavik aufgehalten hätte?

Es wäre unmöglich gewesen, so viele Menschen so schnell zu evakuieren.

Der Magmagang des Vulkans verläuft direkt unter Grindavik. Hätte die Lava am Sonntag also auch mitten im Ort ausbrechen können?

Ja,  und das wäre ja beinahe auch passiert. Der Ausbruch war auf jeden Fall sehr dicht dran an Grindavik.

Könnte das in den kommenden Tagen noch passieren?

Das ist auf jeden Fall möglich.

Ist Grindavik derzeit gesperrt?

Ja, Grindavik ist komplett zu. Niemand darf dort rein.

Haben die eigens zum Schutz vor der Lava gebauten Wälle Schlimmeres verhindert?

Die Schutzwälle waren noch nicht ganz fertig gebaut, als die Eruption begann. Aber wir sehen jetzt, dass sie sehr nützlich waren. Die Schutzwälle haben einiges an Lava aufgehalten und abgelenkt. Ohne sie wären vermutlich etliche weitere Häuser zerstört worden.

Rauch und fließende Lava: Das Naturschauspiel sieht spektakulär aus, ist für den Fischerort Grindavik aber äußerst gefährlich.

Rauch und fließende Lava: Das Naturschauspiel sieht spektakulär aus, ist für den Fischerort Grindavik aber äußerst gefährlich.

In Grindavik gibt es jetzt noch viel mehr Risse als zuvor. Wie stehen die Chancen, dass die Einwohner in absehbarer Zeit zurückkehren können?

Jeder akzeptiert, dass dort in den nächsten Wochen und Monate niemand leben kann. Wir werden sehen müssen, wie sich die vulkanischen Aktivitäten entwickeln. Noch sind wir wirklich mittendrin.

Bei früheren Vulkanausbrüchen gab es immer wieder Berichte über leichtsinnige Menschen, darunter auch Touristen, die sich in Gefahr brachten, um den Vulkan zu fotografieren. Wie ist das in diesem Fall?

Das Areal ist sehr schwierig, gerade im Winter. Das hilft enorm, um Menschen abzuhalten. Das Wetter ist schlecht und man muss lange wandern, um zu dem Gebiet zu kommen. Das nimmt kaum einer auf sich.

Vulkanausbruch in Island: Gefährliche Rettungs-Aktion von Baufahrzeugen

Im Internet kursieren Videos von Bauarbeitern, die schwere Baufahrzeuge, die sehr dicht an den Lavafeldern standen, gerettet haben. Das sieht sehr gefährlich aus.

Ja, sie haben die Arbeitsgeräte buchstäblich in letzter Sekunde rausgeholt.

Der Präsident hat am Sonntagabend eine Ansprache an die Nation gehalten. Das passiert nicht sehr oft. Was hat er gesagt?

Er hat vor allem die Einwohner von Grindavik adressiert, die von den Ereignissen traumatisiert sind. Sie haben schwierige Zeiten hinter sich. Sie mussten ihren Heimatort verlassen, eine neue Heimat, auch neue Schulen für ihre Kinder finden. Die Ansprache war dazu gedacht, die Menschen zu ermutigen.

Wie sieht Ihre Arbeit gerade konkret aus?

Mein Forschungsgebiet ist die Seismologie, also Erdbeben. Ich sitze vor dem Computer und beobachte die Messwerte. Wir haben Messstationen da draußen, die uns sehr komfortabel Werte in unsere Büros liefern. Die meisten Forscher arbeiten mit Daten. Natürlich gibt es auch Kollegen, die Proben von Gestein oder von Gasen nehmen müssen, aber das ist derzeit sehr schwer. Die Wintertage sind kurz, es gibt sehr wenig Licht.

Am Montag (15. Januar) floss aus einer Spalte in der Nähe von Grindavik noch Lava, die kleinere Spalte direkt neben dem Ort kühlte sich dagegen ab. Was erwarten Sie für die nächsten Tage?

Ich kann auf den Seismographen sehen, dass die Unruhe im Boden schwächer wird. Allerdings könnte sich das in den kommenden Tagen auch wieder ändern. Es könnten sich neue Risse auftun, aus denen Lava tritt, auch im Ort selbst. Die vulkanische Aktivität in dieser Region ist sicher nicht für immer vorbei.

Vulkanausbruch in Island: Arbeiter spurlos verschwunden

Wie lange dauert es, bis Lava abkühlt?

Das kommt auf die Wetterverhältnisse an. Wenn es auf die Lava viel regnet oder schneit, kühlt sie schneller aus. Und es kommt natürlich auf ihre Dicke an. Wenn sie zwei oder drei Meter hoch ist so wie die, die jetzt in Grindavik die Häuser zerstört hat, wird sie sich in ein paar Tagen abkühlen. Wenn die Lava sehr dick ist, weil sich ein Lavastrom in ein Tal ergossen hat, kann es Wochen, Monate oder sogar Jahre dauern, bis sie erkaltet.

Am Mittwoch (10. Januar) ist ein Arbeiter in eine Erdspalte gefallen und spurlos verschwunden. Was können Sie uns über die Gefährlichkeit der Spalten sagen?

Erdspalten kommen sehr häufig vor in Island. Das Land dehnt sich ständig aus, weil es sich zwischen zwei Kontinentalplatten befindet, die auseinanderdriften. Diese Risse befinden sich nur an der Oberfläche. In Grindavik sind die Spalten mit Seewasser gefüllt, weil wir uns in Küstennähe befinden. Vermutlich ist der Mann in die Spalte gefallen und unten im Seewasser ertrunken. Genau wissen wir das aber nicht, weil er nicht gefunden wurde. Die Rettungsaktion wurde zu gefährlich, darum haben sie die Suche abgeblasen.

Der Arbeiter war dabei, die Erdspalte zu verfüllen. Mit was werden diese Risse verfüllt?

Mit Steinen und Geröll. Wir machen uns allerdings gerade Gedanken darüber, ob das der richtige Weg ist, die Spalten zu sichern. Denn wenn unten Wasser fließt, kann das Füllmaterial weggewaschen werden. Dann wären die Spalten noch deutlich gefährlicher, weil sie oben gefüllt, aber unten ausgehöhlt sind. Möglicherweise hat das auch zu dem Unfall geführt. Ich denke, wir sollten eher Brücken bauen über die Risse, sofern sie über Straßen führen und sie ansonsten einzäunen. Das wäre vermutlich die sicherste Art.

Das klingt alles sehr teuer: die Schutzwälle, die Evakuierungen und Messungen. Wird in Island über diese Kosten debattiert?

Ja, aber die meisten Isländer wissen, dass das der Preis dafür ist, in einem vulkanisch aktiven Land zu leben. Andere Länder haben andere Gefahren, mit denen sie umgehen müssen. Wir haben Erdbeben und Vulkane.

Ein weiterer Vulkan könnte in Kürze ausbrechen, der Vulkan Grimsvötn im Süden des Landes. Der ist 2011 schon einmal ausgebrochen, nur ein Jahr nach dem berüchtigten Eyjafjallajökull.

Letzte Woche sah es so aus, als ob er ausbrechen könnte. Wir gingen also bis vor einigen Tagen noch davon aus, dass wir zwei Ausbrüche zur gleichen Zeit haben könnten, den bei Grindavik und Grimsvötn. Letzterer ist gerade in einer kritischen Phase, es ist zu einer Flutwelle gekommen, weil sehr viel Gletscherwasser geschmolzen ist.

Könnte es hier zu einem starken Ascheflug kommen wie beim Eyjafjallajökull, der 2010 wochenlang den Flugverkehr lahmlegte?

Ja. Der Grimsvötn ist ein Gletschervulkan mit viel explosiver Aktivität. Anstelle von Lava produziert er viel Asche. Als er 2011 ausbrach, war die Aschewolke rund 20 Kilometer hoch. Allerdings war dieser Ausbruch schnell wieder vorbei.

Gibt es Evakuierungspläne?

In dem Gebiet selbst lebt kein einziger Mensch. Trotzdem kann der Ausbruch sehr gefährlich werden, wenn giftige Asche woanders runterkommt.

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