„Gegenstände, die Sprengstoff ähneln“Selenskyj warnt vor russischem Anschlag auf Akw Saporischschja – Moskau kontert

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Ein russischer Soldat steht an dem besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Das Foto entstand Anfang Mai 2022 bei einem vom russischen Verteidigungsministerium organisierten Rundgang.

Ein russischer Soldat steht an dem besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Das Foto entstand Anfang Mai 2022 bei einem vom russischen Verteidigungsministerium organisierten Rundgang.

Für Selenskyj fiel die internationale Reaktion auf den Dammbruch in der Südukraine zu gering aus. Er fordert mehr beim Akw Saporischschja.

Moskau und Kiew bezichtigen sich gegenseitig eines angeblich unmittelbar bevorstehenden Anschlags auf Europas größtes Atomkraftwerk im Süden der Ukraine. „Wir haben jetzt von unserem Geheimdienst die Information, dass das russische Militär auf den Dächern mehrerer Reaktorblöcke des AKW Saporischschja Gegenstände platziert hat, die Sprengstoff ähneln“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstagabend in seiner täglichen Videoansprache.

Möglicherweise solle ein Anschlag auf das Kraftwerk simuliert und die Ukraine als Drahtzieher beschuldigt werden. Selenskyj forderte internationalen Druck auf Russland, um das zu verhindern. Aus Moskau hieß es dagegen, die ukrainischen Streitkräfte planten selbst einen Angriff auf das AKW, das nahe der Front liegt.

Selenskyj sieht neue Gefahren nach Dammbruch in der Ukraine

„Leider gab es keine rechtzeitige und breite Reaktion auf den Terroranschlag gegen das Wasserkraftwerk Kachowka. Und das kann den Kreml zu neuen Übeltaten inspirieren“, sagte der ukrainische Staatschef. Am 6. Juni hatte eine Explosion den Kachowka-Staudamm zerstört, woraufhin riesige Wassermassen aus dem angrenzenden Stausee strömten und Hunderte Ortschaften überfluteten.

Die ukrainische Seite ist überzeugt, dass Russland das für die Kühlwasser-Versorgung des AKW Saporischschja wichtige Bauwerk absichtlich sprengte. Auch viele internationale Experten halten das für wahrscheinlich, Moskau hingegen dementiert und beschuldigt seinerseits Kiew der Tat.

Ukraine-Krieg: Moskau und Kiew werfen sich geplanten Anschlag auf Atomkraftwerk vor

Schon vor Selenskyjs Videoansprache hatten sich beide Kriegsparteien am Abend mit Vorwürfen überzogen. Bereits in der Nacht zum Mittwoch würden die ukrainischen Streitkräfte versuchen, das AKW Saporischschja mit Raketen und Drohnen anzugreifen, behauptete Renat Kartschaa, Berater des Chefs der russischen Atomenergiebehörde Rosenergoatom, am Dienstag im Staatsfernsehen. Der ukrainische Generalstab wiederum schrieb in seinem täglichen Lagebericht über angebliche Sprengkörper auf dem Dach des AKW, deren Explosion den Eindruck eines Beschusses wecken solle.

Atomkraftwerk Saporischschja: Seit März 2022 haben russische Truppen das Kernkraftwerk besetzt. (Archivbild)

Atomkraftwerk Saporischschja: Seit März 2022 haben russische Truppen das Kernkraftwerk besetzt. (Archivbild)

Die Sprengsätze seien an den Dächern des dritten und vierten Reaktorblocks angebracht, sollten die Reaktoren selbst aber wohl nicht beschädigen, heißt es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs. Die Ukraine werde nicht gegen die Normen des Völkerrechts verstoßen, betonte die Militärführung in Kiew zugleich.

Genau solch einen Verstoß warf Kartschaa den Ukrainern vor. Demnach soll nicht nur das AKW beschossen werden, sondern auch zeitgleich eine mit Atomabfällen bestückte Bombe abgeworfen werden. Beweise für die Anschuldigung brachte der hochrangige Moskauer Beamte nicht vor - genauso wenig wie die ukrainische Seite. Zwar werfen sich beide Kriegsparteien immer wieder geplante Provokationen rund um das Kraftwerk vor, zuletzt wurden die Anschuldigungen aber stetig schärfer. Jüngst trainierten Rettungskräfte in den Regionen um die ukrainischen Städte Cherson, Mykolajiw, Saporischschja und Dnipro bereits für einen möglichen atomaren Notfall.

Krieg in der Ukraine: Russische Truppen halten Kraftwerk Saporischschja seit März 2022 besetzt

Russische Truppen halten das Kraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine seit März 2022 besetzt. Der riesige Komplex geriet während der Gefechte mehrfach unter Beschuss, was international Sorgen vor einer Atomkatastrophe schürte. Aus Sicherheitsgründen wurde das AKW inzwischen heruntergefahren. Eine Beobachtermission der Internationalen Atomenergiebehörde ist vor Ort.

Selenskyj bedankte sich bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für dessen Bereitschaft, sich für die Sicherheit der Nuklearanlage einzusetzen. Er habe mit Macron über das Kernkraftwerk, aber auch über Waffenlieferungen und den bevorstehenden Nato-Gipfel kommende Woche in Litauen gesprochen, sagte der ukrainische Staatschef.

Das Atomkraftwerk Saporischschja ist der größte Kernkraftwerk in ganz Europa. Es liegt im Südosten der Ukraine, direkt am Fluss Dnepr, nahr der Stand Enerhodar, die im Ukraine-Krieg viel umkämpft ist. Das Akw, das vom ukrainischen Staatsunternehmen Energoatom betrieben wird, ist essenziell für die Stromversorgung der Ukraine. (dpa)

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