Zehn Jahre nach der terroristischen Attacke von Paris erinnert sich unser Autor. Er war damals als Sportreporter in der französischen Hauptstadt.
Gefangen im Stade de FranceWie ein Reporter des „Stadt-Anzeiger“ die Anschläge von Paris erlebte

Zuschauer versammeln sich auf dem Spielfeld des Stade de France nach dem Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland in Paris am 13. November 2015. Außerhalb des Stadions war es zu terroristischen Attacken gekommen.
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Am 13. November 2015 verübten Extremisten eine Reihe von Anschlägen auf die Konzerthalle Bataclan, das Stade de France sowie auf Bars und Restaurants und töteten 130 Menschen. Christian Löer erlebte die traumatische Attacke als Sportreporter und blickt zurück.
Es war mehr als eine Ahnung: „Das war kein Böller“, sagte ich zum Kollegen auf der Pressetribüne des Stade de France, 17. Minute im Spiel Deutschland gegen Frankreich. Eine Detonation hatte die Ränge vibrieren lassen, ein dumpfer Knall. Es gibt Böller im Stadion, die einen erschrecken lassen. Dieser Donner dagegen brachte uns zum Nachdenken. Die 80.000 im Stadion ebenso wie die Millionen an den Fernsehgeräten.
An diesem Abend hatte ich zwei Texte vom Spiel zu liefern, fertig mit Schlusspfiff. Mir fehlte also die Zeit, über den Knall nachzudenken. Doch drei Minuten später erzitterte die Tribüne erneut. Das Stadion in der Pariser Vorstadt liegt nahe der Autobahn – vielleicht ein Unfall, ein Tanklaster? Oder eine Gasflasche an einer Imbissbude? An Terror dachte ich nicht.
Die Menschen in Paris liefen um ihr Leben
Die sozialen Medien blieben still – später wurde klar, warum: Wer einen Selbstmordattentäter sieht, greift nicht zum Handy. Der läuft um sein Leben. Tatsächlich hatten Attentäter versucht, ins ausverkaufte Stadion zu kommen, um vor einem Millionenpublikum so viele Menschen wie möglich mit in den Tod zu nehmen.

13.11.2015, Paris: Rettungskräfte versorgen die Opfer vor einem Café im 10. Bezirk.
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Wir Reporter wussten zunächst nichts von alledem. Auch nicht, dass in der Innenstadt der Terror wütete. Unter uns wurden Hollande und Steinmeier informiert. Man entschied, weiterzuspielen. Ich schrieb zu Ende. Erst gegen Spielende drangen Meldungen durch: In der Pariser Innenstadt hatten Islamisten Dutzende Menschen getötet.
Nach dem Schlusspfiff ging ich aus dem Block zum Pressesaal, weil ich glaubte, dort Chancen auf Informationen zu haben. Doch es war zu früh für eine Pressekonferenz. Dann hieß es, Bewaffnete seien im Stadion. Im Pressesaal fühlte ich mich wie in der Falle – würden die Schützen kommen, hätten wir keine Chance. Ich stellte mich in den Umlauf des gewaltigen Baus, wo es Säulen gibt, die Deckung versprachen. Angst spürte ich keine – anders als meine Frau, die in Köln hochschwanger vor dem Fernseher saß. Ich versuchte, die Situation zu analysieren, keine Fehler zu machen.
Dunkler Eiffelturm, Paris ist still und leer nach den Anschlägen
Als ich in den Block zurückkehrte, war ich überrascht, Tausende Menschen auf dem Rasen zu sehen. Langsam wurde das Ausmaß greifbar. Bis tief in die Nacht harrten wir aus. Zwischendurch ging das Gerücht um, auf dem Gelände seien Giftgascontainer gefunden worden. Das war der Moment, in dem ich die Möglichkeit in Betracht zog, dass auch mir etwas passieren könnte. Erst Stunden später durften wir gehen. Der Eiffelturm war dunkel, Paris erschreckend still und leer.
Am Morgen danach war ich unter den ersten Reportern vor Ort: zerschossene Scheiben, überall Blut, Patronenhülsen; auf den Tischen der Cafés standen noch die halbleeren Gläser. Anwohner erzählten vom Tod in ihren Straßen. Bürgermeisterin Hidalgo kam – sprachlos. Mein Block füllte sich schnell.
In einem Café schrieb ich meinen Bericht. Als ich mich ans Fenster setzte, fragte ich mich, ob das klug sei – womöglich würden wieder Männer mit automatischen Waffen kommen und schießen.
Ein halbes Jahr später kehrte ich zurück, die Europameisterschaft fand wie geplant in Frankreich statt – in Paris. Die Erinnerung an die Schreckensnacht war noch da, aber in einer Weise, mit der ich umgehen konnte. Böller im Stadion ärgern mich zwar noch heute. Aber sie lösen nichts aus in mir. Der Knall damals im Stade de France. Das war etwas anderes.

