Der Streit um die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf fürs Bundesverfassungsgericht ist durch den Rückzug der Juristin vom Tisch.
Brosius-GersdorfDer gesamte Vorgang ist ein Debakel und löst nicht Merz' Problem


Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf hat wegen des Widerstands der Union ihre Kandidatur für das Verfassungsgericht zurückgezogen. Wie überzeugt Kanzler Friedrich Merz nun SPD-Chef Lars Klingbeil von der Verlässlichkeit der Unions-Zusagen?. Patricia
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Nun ist also der erste Riesenstreit dieser noch jungen Regierung gelöst – allerdings nicht von den Koalitionspartnern, sondern von der Frau, die zu seinem Mittelpunkt wurde. Nach wochenlangem Gerangel hinter den Kulissen hat die Potsdamer Juristin Frauke Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurückgezogen, weil sie keine Aussicht mehr dafür sah, noch die Zustimmung der Union zu bekommen.
Angesichts der Bewegungsunfähigkeit der Union ist dies ein nachvollziehbarer Schritt. Und er erspart der Koalition weitere Wochen einer zermürbenden Auseinandersetzung. Ein Debakel ist der gesamte Vorgang dennoch.
Denn in Frage stehen die Verlässlichkeit der Union als Koalitionspartner und damit die Stabilität der Koalition. Und es ist ein schlechtes Zeichen, wenn rechtspopulistische Kampagnen bei Regierungsparteien verfangen, wenn also Lautstärke, Verleumdungen und Verkürzungen eine sachliche Debatte zunichte machen.
CDU-Chef und Bundeskanzler Friedrich Merz wie Unions-Fraktionschef Jens Spahn versagten bei der Einschätzung der Bedeutung der Richterwahl, der Stimmung unter ihren Bundestagsabgeordneten und bei der Bewältigung der Krise. Merz räumte zwar organisatorische Fehler ein, Konsequenzen daraus sind allerdings bis heute nicht erkennbar. Brosius-Gersdorfs juristische Position zum Schwangerschaftsabbruch wurde unter dem Schlagwort „Menschenwürde“ als für die Union untragbar abgekanzelt, damit hatte es sich. Aber Sturheit ist ja etwas anderes als Prinzipienfestigkeit.
Der Bamberger Bischof Herwig Gössl hat seine scharfe Kritik an Brosius-Gersdorf, die einen ähnlichen Tenor hatte, nach einem Gespräch mit ihr zurückgenommen. Er räumte ein, verkürzten Darstellungen aufgesessen zu sein, von denen es ja genug gab, befeuert von rechtspopulistischen Portalen und sozialen Netzwerken.
Der Chaosfaktor der Union
Bei der Union verhallte sowohl dieser Hinweis als auch das Gesprächsangebot der angefeindeten Juristin. Die Bereitschaft, die Fähigkeit und die Stärke, die eigene Position zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern, war in der Union offenkundig nicht vorhanden. Die Zusage der Fraktionsführung, das Votum der Wahlkommission des Bundestags – all das hat die Union einfach vom Tisch gewischt.
Es ist schwer vorstellbar, wie eine Koalition auf dieser Basis weiter miteinander arbeiten kann. Wie soll die SPD sicher sein, dass Zusagen künftig eingehalten werden? Es gibt ja noch deutlich kontroversere Vorhaben, die sich die Regierung vorgenommen hat, von Sozialreformen bis zur Änderung der Schuldenbremse.
Merz hat die Sache nicht erleichtert, indem er sämtliche Entscheidungen von Abgeordneten zur Gewissensfrage erklärte. Nehmen ihn seine Parteikollegen beim Wort, ist eines garantiert: Chaos.
Denn auch bei anderen Themen wird es Kampagnen geben, möglicherweise als erstes bei den nächsten Richterkandidaten. Es hat ja nun schon einmal ganz gut geklappt.
Dagegen gilt es sich zu wappnen, nicht nur als Partei, sondern jeder Abgeordnete für sich. Und auch jeder Bürger und jede Bürgerin.
Verantwortung für Deutschland
Denn der Furor sozialer Netzwerke, den Extremisten mit solcher Inbrunst und mit viel Geschick antreiben, und die Klickmaschinerie des Internets, die vor allem belohnt, was nur laut genug „Skandal“ schreit, schaden der Gesellschaft. Sie entziehen der Demokratie und dem fairen Meinungsaustausch die Grundlage.
Zur „Verantwortung für Deutschland“, wie die Regierung ihren Koalitionsvertrag überschrieben hat, gehört es, sich davon nicht mitziehen zu lassen. Brosius-Gersdorf hat zurückgezogen. Aber für Kanzler Friedrich Merz gibt es sehr Grundsätzliches zu klären.