Feindeslisten der „Querdenker“Immer mehr Corona-Leugner rufen zu Gewalt auf

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Ein Teilnehmer beim Protest einer „Querdenken“-Gruppe in Berlin

Ein Teilnehmer beim Protest einer „Querdenken“-Gruppe in Berlin

Düsseldorf – Im Zuge der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen durch Bund und Länder nehmen die Aufrufe zu Straftaten über Messenger-Dienste wie Telegram zu. Das geht aus einer geheimen Analyse des Bundeskriminalamts (BKA) von Ende November 2020 hervor, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Demnach sei bereits dafür geworben worden, die politisch Verantwortlichen für die virusbedingten Einschränkungen zu ermorden. In den Chats fanden sich sogenannte Feindeslisten mit Namen von Politikern.

Das brisante Dokument hatte die Plattform Mutigmacher.org veröffentlicht, bis das BKA deren Betreiber Henry Groeneveld aufforderte, das Geheimpapier von der Seite zu nehmen.

In dem Bericht spricht das BKA von einer Mischszene bei den Pandemie-Protesten, die nur „partiell“ eine staatsfeindliche Haltung an den Tag lege. Dabei übernimmt die „Querdenken“-Bewegung eine tragende Rolle. Die Organisatoren um den Gründer Michael Ballweg versuchten, ein breites Personenspektrum zu mobilisieren. Die Palette reiche von Verschwörungstheoretikern, Esoterikern, Impfgegnern, Kritikern der Schulmedizin bis hin zu selbstständigen Lockdown-Verlierern.

Medien als Hassobjekt

Daneben suchen rechtsradikale Parteien wie die NPD, „Die Rechte“ oder der „Der III. Weg“ verstärkt die Gesellschaft der Corona-Leugner. Laut den NRW-Verfassungsschützern kommen bis zu zehn Prozent der Teilnehmer bei Corona-Protesten aus dem rechtsextremen Lager. Die Proteste werden demnach auch genutzt, um Regierungen und Medien zum „Protest- und Hassobjekt“ zu machen. „Über die verbindende Ablehnung der Corona-Schutzmaßnahmen wird versucht, verfassungsfeindliche Themen salonfähig zu machen, als vorgeblich Verbündete von »Querdenken« die anderen Demonstrationsteilnehmer gezielt zu beeinflussen“, so das NRW-Innenministerium.

So tauchten auf großen Demos in Berlin und Leipzig Ende November etliche Neonazis neben Reichsbürgern auf. Dennoch könne „eine umfassende Beeinflussung beziehungsweise Unterwanderung durch die rechte Szene aktuell nicht konstatiert werden“, heißt es in der BKA-Analyse.

Vielmehr handelt es sich um eine äußerst diverse Gemengelage, die den staatlichen Institutionen aus den unterschiedlichsten Gründen misstraut. Zu diesem Schluss kommt Oliver Nachtwey, Soziologe der Universität Basel, in seiner Studie zu dem Thema: Charakteristisch für die Bewegung sei die Entfremdung von Institutionen des politischen Systems, etablierten Medien und den alten Volksparteien. „Es ist eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich.“

Sozialstrukturell handele es sich um eine relativ alte und relativ akademische Bewegung. „Bei der letzten Bundestagswahl“, sagte Nachtwey der „FAZ“, „haben nach unserer Befragung 21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt. Der AfD haben 14 Prozent ihre Stimme gegeben.“ Die Corona-Zeit werde sich jedoch auf die politische Präferenz auswirken: „Bei der nächsten Bundestagswahl wollen nun aber 30 Prozent der AfD ihre Stimme geben“, führt der Forscher aus.

Laut BKA suchen populäre „Galionsfiguren“ der Szene, die Stimmung anzuheizen. Dabei wird ein Wortcocktail zusammengemixt, der sich häufig aus abstrusen Anleihen der NS-Zeit speist. So verglichen Redner auf Veranstaltungen die geänderten Infektionsschutzregeln mit dem „Ermächtigungsgesetz“, das Adolf Hitler 1933 den Weg zur Diktatur ebnete. Manche Verschwörungsgläubige wähnen sich in einer Linie mit der Widerstandskämpferin Sophie Scholl, die durch NS-Schergen im Dritten Reich hingerichtet wurde. Vom „Impf-Holocaust“ ist die Rede. Eine junge Frau verglich auf einer Kundgebung in Karlsruhe ihre Lage mit jener des jüdischen Mädchens Anne Frank, das 1945 in einem deutschen Konzentrationslager starb.

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Eine große Gefahr geht dem BKA-Report zufolge von Einzelpersonen aus, die – „unabhängig von einer politischen Orientierung … dem Staat feindselig gegenüberstehen“. So registrierten die Staatsschützer bei der Versammlung vor dem Reichstag am 18. November Verschwörungstheoretiker der „QAnon-Bewegung“, die vor allem in den USA populär ist. Deren Anhänger gehen davon aus, dass demokratische Politiker wie Barack Obama oder Hillary Clinton einem Netzwerk von Satanisten und Kinderschändern angehören, das sich gegen die Vereinigten Staaten verschworen habe. Ex-US-Präsident Donald Trump gilt in ihren Augen als Held, weil er den geheimen Kampf gegen den „tiefen Staat“ führte. Zahlreiche QAnon-Sympathisanten hatten sich am Sturm auf das Kapitol im Januar beteiligt.

Übergriffe häufen sich

Bei großen Demonstrationen gehen die Staatsschützer des BKA von einem erhöhten „Eskalationspotenzial“ aus. Die Polizei gilt als Gegner, Hygiene- und Abstandsregeln werden nicht befolgt. Teils legen die Teilnehmer falsche ärztliche Atteste vor, um keine Maske tragen zu müssen. Übergriffe gegen Polizisten und Medienvertreter häufen sich. Zuletzt machten gewaltsame Ausschreitungen nach Großkundgebungen Schlagzeilen. Etwa in Leipzig Anfang November 2020, als ein Mob nach der aufgelösten Demonstration durch die Innenstadt zog. Fußball-Hooligans waren mit von der Partie, Raketen und Böller wurden gezündet, Ordnungshüter und Journalisten attackiert. Am 6. Dezember mischten sich auch in Düsseldorf gewaltbereite Hooligans unter die friedlichen Demonstranten. Auf Bitten des Veranstalters kesselte die Polizei die 80 Störer ein und begleitete sie zur Straßenbahn.

Widerstand in der linken Szene

In NRW kommen die „Corona-Rebellen“ Düsseldorf mit rund 3000 Mitglieder hinzu. Laut Innenministerium sind die Akteure immer wieder auch bei Veranstaltungen von „Querdenken“ zu sehen. Nach eigenen Angaben unterhält die Bewegung in NRW 21 Initiativen mit rund 45 Telegram-Gruppen und -Kanälen. Den Gruppen gehören etwa 7000 Nutzer an, die Kanäle zählen knapp 3000 Abonnenten.

Gegen die Virus-Leugner formiert sich in der linksextremistischen Szene zunehmend gewaltsamer Widerstand. In Frankfurt musste die Polizei einen Wasserwerfer einsetzen, um die Blockade von 100 Gegendemonstranten aufzulösen.

Attacken aus dem linksautonomen Block

Die BKA-Analyse warnt daher auch vor Attacken aus dem linksautonomen Block. „Mit antifaschistischen Interventionen in Form von schweren Gewalttaten und Blockadeaktionen“ müsse künftig gerechnet werden. Dabei könne es auch Demonstranten treffen, die nicht zur rechten Szene gehören. Als Beispiel führen die Staatsschützer einen Fall in Leipzig am 21. November 2020 an. Eine Gruppe vermummter Linksextremisten prügelte auf zwei Querdenker-Protestler in einer Imbissbude ein.

Fazit: Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass die Proteste nebst Straftaten von links außen und rechts außen zunehmen werden. Zugleich befürchten die Analytiker Anschläge auf Impfzentren oder andere Institutionen des Gesundheitssektors sowie auf „für die Corona-Schutzmaßnahmen mitverantwortliche Personen“.

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