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Margot Käßmann zum FriedensmanifestKrieg in der Ukraine: „Keine Legitimation für Gewalt aus dem Evangelium“

Lesezeit 5 Minuten
Margot Käßmann

Margot Käßmann verurteilt die militaristische Logik im Ukraine-Krieg.

Die frühere Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann erklärt im Interview, warum sie das Friedensmanifest von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht unterstützt. Am Samstag, 25. Februar, spricht die Theologin auch auf einer Kundgebung in Köln

Frau Käßmann, warum haben Sie ein Manifest unterschrieben, das in seinem Blick auf den Ukraine-Krieg den Unterschied von Angriff und Verteidigung verwischt?

Margot Käßmann: Ich lese das Manifest nicht so. Es steht da ganz klar: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.“ Ich weiß nicht, was andere da hineininterpretieren. Für mich ist dieser Satz selbstredend.

Ich weiß, dass ich mit meiner Position auch schuldig werden kann.
Margot Käßmann

Alle reden von Solidarität mit der Ukraine. Sie sagen: Aber nicht mit Waffen.

Ich unterstütze das Manifest, weil der öffentliche Diskurs bisher nicht widerspiegelt, dass die Hälfte der Menschen in Deutschland die Waffenlieferungen kritisch sieht. Aber diese Haltung wird in der Debatte gnadenlos niedergemacht. Das ist gefährlich für die Demokratie. Ich respektiere, wenn in diesen Fragen jemand anderer Meinung ist als ich, und ich weiß auch, dass ich mit meiner Position schuldig werden kann. Genau diese Selbstdistanz nehme ich umgekehrt überhaupt nicht mehr wahr.

Aber selbst dann stellt sich doch die Frage: Was würde passieren, wenn der Westen morgen keine Munition und keine Waffen mehr liefern würde? Das müsste das Manifest doch einmal zu Ende denken.

Man muss auch zu Ende denken, was passiert, wenn der Westen weiter Waffen liefert. Dann ist er, wie Jürgen Habermas jetzt gesagt hat, mitverantwortlich für Hunderttausende Tote. Es ist eben nicht nur so, wie Außenministerin Annalena Baerbock behauptet, dass „unsere Waffen Leben schützen“. Diese Waffen töten auch.

Die Frage war: Was wären die Folgen, wenn die Forderung des Manifests nach einem Ende der Waffenlieferungen erfüllt würde?

Dann würde man massiv internationale Bemühungen um Verhandlungen stützen. Das wäre Deutschlands Rolle.

Es geht nicht um den Sieg, sondern um einen Waffenstillstand als vordringliches Ziel.
Margot Käßmann

Warum sollte sich Putin, der jetzt schon nicht verhandelt, auf Verhandlungen einlassen, wenn die Ukraine wehrlos dastünde?

Die Kritiker gehen immer davon aus, dass der „Sieg“ der Ukraine mit der Tapferkeit der ukrainischen Helden und einem immer höheren „Blutzoll“ – ein furchtbares Wort! – Voraussetzung für eine gute Verhandlungsposition sei. Mir widerstrebt diese militaristische Logik. Es geht nicht um den Sieg, sondern um einen Waffenstillstand als vordringliches Ziel.

Und wie gelangt man dahin?

Gegenfrage: Will man das überhaupt? Ich höre öffentlich nichts davon. Diskutiert wird ausschließlich über Waffen, Waffensysteme und noch mehr Waffen.

Wenn es allein um das Völkerrecht ginge, müssten wir sehr viele Gruppierungen auf dieser Welt bewaffnen.
Margot Käßmann

Aber doch mit dem Nachsatz „… damit Putin nicht gewinnt“. Und gewinnen dürfe er nicht, weil sein Krieg nicht nur der Ukraine gilt, sondern auch der Freiheit des Westens, der Demokratie und dem Völkerrecht. Davon ist im Manifest überhaupt keine Rede.

Der Verweis auf das Völkerrecht ist zwar triftig. Aber wenn es allein darum ginge, müssten wir sehr viele Gruppierungen auf dieser Welt bewaffnen. Nehmen wir die Rohingya in Myanmar oder die von Erdogan bedrohten Kurden. Nehmen wir den Jemen und Syrien, wo das Völkerrecht seit Jahren mit Füßen getreten wird.

Einen Sieg Putins verhindern wollen Sie nicht?

Dieses Reden von Sieg bringt keine Perspektiven. Die westlichen Bündnispartner müssen der Ukraine sagen, was ihre Ziele sind. Wie lang soll der Krieg dauern? Was soll das Ende sein, an dem dann Verhandlungen beginnen müssen? Ich sage: Das Ende muss schnellstmöglich kommen.

Da sind sich doch alle einig.

Soll ich mich freuen über jeden toten Ukrainer und auch Russen, der noch dazukommt?
Margot Käßmann

Eben nicht. Wenn ich höre, dass jetzt „erst einmal“ 24 Leopard-Panzer geliefert sollen, die weiteren dann „später“, dann heißt das doch: Da wird auf lange, lange Sicht geplant. Schon jetzt sind geschätzt 250.000 Tote zu beklagen. Soll ich mich freuen über jeden toten Ukrainer und auch Russen, der noch hinzukommt?

Nein. Aber einen Vorschlag machen, der Putin dazu bringen könnte, jetzt schnell in Verhandlungen einzusteigen und das Töten zu beenden.

Es käme darauf an, Länder wie China in eine große Allianz für den Frieden einzubinden. Angesichts von zehntausenden toten Soldaten gärt es längst auch in der russischen Gesellschaft. Das merkt doch auch Putin. So sehr er ein Kriegsverbrecher ist, so wenig ist er nur irre. Und verhandelt wird ja offensichtlich im Hintergrund, etwa über Getreidelieferungen und Gefangenenaustausch. Es gibt also Kanäle.

Dass so wenig über Diplomatie geredet wird, liegt womöglich daran, dass alle diplomatischen Vorstöße gescheitert sind, Putin an den Verhandlungstisch zu bringen. Darum noch einmal die Frage: Was hätten Sie anzubieten?

Ich war einmal an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea, wo beide Seiten ihren Waffenstillstand ausgehandelt haben. Da stehen noch die Gebäude, sie konnten von beiden Seiten betreten werden. Jede Konfliktpartei konnte sich zwei Mächte ihres Vertrauens aussuchen, die dann für sie mitverhandelt haben. So wurde ein Waffenstillstand erreicht – kein Friedensvertrag, aber immerhin ein Ende des Sterbens auf beiden Seiten. Darum müsste es auch jetzt gehen – um der Menschen in der Ukraine willen. Wenn ein Vertreter der Ukraine wie Andrii Melnyk mich wegen solcher Überlegungen als „Pastorin der Schande“ bezeichnet, dann frage ich mich, ob er auch nur die geringste Ahnung vom Neuen Testament und seiner Botschaft vom Frieden für die Menschen hat.

Herr Kyrill mit seiner Kriegspropaganda ist für mich ein Verräter an christlichen Grundüberzeugungen.
Margot Käßmann

Die EKD-Vertreterin in Berlin, Prälatin Anne Gidion, hat uns im Interview gesagt: „Man wird Putin besiegen müssen“, und zwar mit Verweis auf die Menschen, die „hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“, einem Zitat aus der Bergpredigt. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill dagegen erklärt Putins Krieg zu einem metaphysischen Kampf für das Gute. Offenbar ist die christliche Botschaft nicht so eindeutig – eher eine Art Gemischtwarenladen, aus dem man sich nach Belieben bedienen kann.

Ich bin davon überzeugt, dass sich aus dem Evangelium keine Legitimation für Gewalt ableiten lässt. Die Kirchen sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Waffen gesegnet haben. Und Herr Kyrill mit seiner Kriegspropaganda ist für mich ein Verräter an christlichen Grundüberzeugungen.

Kundgebung in Köln mit Margot Käßmann

Zum Jahrestag des Beginns des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ruft das Kölner Friedensforum zu einer Kundgebung unter dem Motto „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“ auf.

Auf der Veranstaltung, die um 17 Uhr auf dem Alter Markt beginnt, sprechen unter anderem Margot Käßmann und die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linkspartei). 

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