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Israel-Iran-KriegWarum Israels Leid im Fokus steht – und das der Iraner oft im Dunkeln bleibt

Lesezeit 4 Minuten
Das Bild zeigt Feuerwehrleute, die einen Ort inspizieren, an dem eine iranische Rakete eingeschlagen ist und mehrere Menschen getötet hat. Foto: Ilia Yefimovich/dpa

Feuerwehrleute inspizieren den Ort, an dem eine iranische Rakete eingeschlagen ist und mehrere Menschen getötet hat.

Während israelische Schicksale in den Medien präsent sind, bleiben zivile Opfer im Iran weitgehend unsichtbar. Woran das liegt. 

In der Nahost-Berichterstattung haben während der Kriegshandlungen Schicksale aus Israel dominiert. Das Leid auf iranischer Seite ist oft unsichtbar geblieben – nicht aus Absicht, sondern aus strukturellen Gründen. „Tag für Tag berichten Sie ausführlich über das Leid der israelischen Zivilbevölkerung – ein Leid, das ohne Zweifel real und tragisch ist“, schrieb eine Leserin der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ („HAZ“). „Doch was mich tief enttäuscht, ist die völlige Ausblendung der zivilen Opfer auf iranischer Seite.“

Dass deutsche Medien das Leid im Iran ausblenden, diese Meinung teile ich nicht. Dass in der Berichterstattung ein Ungleichgewicht herrscht, sehe ich aber. Für Reporter wie mich – ich habe während des Kriegs für das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) aus Tel Aviv berichtet - ist das frustrierend. Auch das RND hat Stimmen aus dem Iran zu Wort kommen lassen, aber gezwungenermaßen aus der Ferne. Die Erklärung liegt vor allem im Zugang: Israel macht es ausländischen Journalisten leicht, zu berichten (mit einer wichtigen Ausnahme, dazu später mehr). Für den Iran gilt das nicht.

„Der direkte Zugang fehlt“

„Die größte Schwierigkeit ist natürlich der Umstand, dass wir als Korrespondenten gerade nicht im Land sind“, sagt Katharina Willinger, die das ARD-Studio in Istanbul leitet und auch für den Iran zuständig ist. „Es gibt nur wenig Akkreditierungen, man ist immer wieder von einzelnen Visa abhängig.“ Ihrer Kenntnis nach seien derzeit keine akkreditierten Korrespondenten, die für deutsche Medien berichten, im Iran. „Der direkte Zugang fehlt – damit auch die Möglichkeit, authentisch zu berichten. Im Gegensatz zu Tel Aviv, wo sehr viele Korrespondenten vor Ort sind und eben mit Augenzeugen sprechen können, selbst beschreiben können.“

Zwar hätten große Medien wie die ARD lokale Mitarbeiter, sagt Willinger. „Aber man darf sich das nicht so vorstellen, dass man mit jedem sprechen könnte. Schon in normalen Zeiten ist es schwierig. Es kommt immer wieder vor, dass Interviewpartner abspringen, weil sie Angst vor möglichen Folgen haben.“ Seit Kriegsbeginn habe sich die Lage noch verschärft.

„Das Internet war extrem gedrosselt, man konnte mit vielen Menschen gar nicht mehr in Kontakt treten“, sagt die Korrespondentin. „Menschen wurden dazu angehalten, nicht mit ausländischer Presse zu reden. Das ist ein Mechanismus, der sofort anspringt: lieber erst einmal Zensur, bevor irgendetwas öffentlich wird, was der Führung in Teheran schaden kann. Das ist auch ein Grund, warum so wenige Geschichten von Betroffenen aus dem Land gedrungen sind. Es gab ganz wenige Bilder, ganz wenige Personen, die dafür standen, dass die Angriffe der Israelis eben auch die Zivilbevölkerung im Iran schwer treffen.“

Israels hochprofessionelle Öffentlichkeitsarbeit

Während der Iran die internationale Öffentlichkeit weitestgehend ausschließt, sucht Israel sie. Staatliche Organisationen und private Initiativen bieten Journalisten Schalten mit Regierungsvertretern, Sicherheitsexperten oder Analysten an, die Israels Sicht der Dinge erklären. An den Orten iranischer Raketeneinschläge können Reporter ungehindert mit Überlebenden sprechen. Nothelfer stehen für Interviews bereit, Rettungsdienste veröffentlichen Statistiken über Tote und Verletzte, die Armee beantwortet Anfragen. Kurz: Israel leistet hochprofessionelle Pressearbeit.

Oliver Bradley vertritt in Deutschland die in Brüssel ansässige Europe Israel Press Association (EIPA) und organisiert derzeit regelmäßig Zoom-Schalten mit Sicherheitsexperten aus Israel und anderen Ländern. In Friedenszeiten bietet die Organisation Briefings in ganz Europa mit Experten sowie Israelreisen für ausländische Journalisten an, bei denen sie anbietet, die Kosten zu übernehmen. „Ich würde mich als Anwalt Israels bezeichnen“, sagt Bradley. „Ich will nicht, dass Israel freigesprochen wird, wenn es etwas Falsches macht. Aber ich will auch nicht, dass Israel von Medien, Politik und der Öffentlichkeit ohne Verständnis für die Komplexität der Lage verurteilt wird.“

Wo Israels Offenheit endet

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (ROG) liegt der Iran auf Platz 176 von 180 Staaten. Israel ist mit Rang 112 in der unteren Hälfte. Das liegt auch am Gazakrieg – denn dort endet Israels Offenheit.

ROG kritisierte kürzlich, in den vergangenen 20 Monaten seien fast 200 palästinensische Medienschaffende von der israelischen Armee getötet worden, 45 davon im Zusammenhang mit ihrer Arbeit. ROG bemängelte auch, dass Israel ausländischen Journalisten die Einreise in den Gazastreifen verwehrt. Deutsche Medien – darunter das RND – forderten bereits im vergangenen Jahr ungehinderten Zugang. Ohne Erfolg.

Während ausländische Journalisten dem Leid israelischer Zivilisten mit ihren Geschichten ein Gesicht geben, bleibt das Elend im Gazastreifen häufig hinter anonymen Opferzahlen versteckt. Dass lokale Journalisten ins Visier gerieten und ausländische Reporter nicht hineinkämen, „ist ein riesiges Problem“, sagt der Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen, Aitor Zabalgogeaskoa Llodio. Internet- und Telekommunikationsverbindungen würden systematisch unterbrochen, was die Berichterstattung weiter erschwere. „Es ist eine bewusste Strategie, die Verbreitung von Informationen aus dem Gazastreifen zu unterbinden.“


Zitat-Text:

„Das ist ein Mechanismus, der sofort anspringt: lieber erst einmal Zensur, bevor irgendetwas öffentlich wird, was der Führung in Teheran schaden kann.“

Katharina Willinger, ARD-Korrespondentin für den Iran