Taurus-Lieferung„Nur noch Kopfschütteln“ in der Ukraine über Deutschlands erneutes Zögern

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ARCHIV - 28.03.2017, Südafrika, Bredasdorp: HANDOUT - Die von der Bundeswehr herausgegebene Aufnahme zeigt einen Kampfjet Tornado IDS ASSTA 3.0, bestückt mit dem Lenkflugkörper Taurus, der im Rahmen der Übung «Two Oceans» über See fliegt. (zu dpa «Baerbock: Bei Taurus-Marschflugkörpern liegt Teufel im Detail») Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Die von der Bundeswehr herausgegebene Aufnahme zeigt einen Kampfjet Tornado IDS ASSTA 3.0, bestückt mit dem Lenkflugkörper Taurus.

Die Ukraine sieht 300 Taurus-Marschflugkörper einsatzbereit und zweifelt an Deutschland, sagt CDU-Politiker Roderich Kiesewetter.

„Ein aufrichtiges Dankeschön dem Bundeskanzler und unseren Freunden in Deutschland“, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende Januar, nachdem die Bundesregierung der Ukraine Leopard-Kampfpanzer nach langem Ringen zusagte. Mehr als ein halbes Jahr später scheint sich das Ringen um deutsche Waffen zu wiederholen.

Kiew bittet seit Wochen um Taurus-Marschflugkörper, doch vergeblich. „In der Ukraine löst die bisherige Ablehnung der Taurus-Lieferung durch das Kanzleramt nur noch Kopfschütteln aus“, sagte Oberst a.D. Roderich Kiesewetter, Sprecher der Union für Krisenprävention. „In Kiew wächst der Eindruck, dass die Bundesregierung der Ukraine nicht mehr vertraut“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) nach einem dreitägigen Besuch in der Ukraine. Das betreffe auch die Frage, ob die Reichweite der Waffe eingeschränkt werden soll.

Taurus hat eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern. Mehrere führende Politikerinnen und Politiker hatten eine Begrenzung erwogen, aus Sorge, Kiew könnte Moskau unter Beschuss nehmen. „Die Begrenzung der Taurus-Reichweite wird in Kiew als Vertrauensbruch gewertet“, berichtet Kiesewetter nun aus der Ukraine. Dort hoffe man auf keine Limitierung der Reichweite.

Kiesewetter: 300 Taurus einsatzbereit

Anders als bisher angenommen, werden nicht 150, sondern inzwischen 300 der insgesamt 600 Taurus-Marschflugkörper aus Bundeswehrbeständen als einsatzbereit angesehen, so Kiesewetter nach Gesprächen in Kiew. Hersteller MBDA wollte auf RND-Anfrage die Zahlen nicht kommentieren. Dass man in der Ukraine von einer größeren Zahl Taurus ausgeht, könnte laut Fachleuten mit Garantie und Wartung zusammenhängen.

„Bei einem großen Teil der Taurus-Marschflugkörper hängt die Einsatzbereitschaft wohl nur an der Zertifizierung“, sagt Fabian Hoffmann, Experte für Raketentechnologie an der Universität Oslo. Das bedeutet vereinfacht, der Hersteller übernimmt keine Garantie. „Aber rein praktisch können die Marschflugkörper verwendet werden.“

Die Taurus wären hier kein Einzelfall: Die Panzerhaubitze 2000 hat zum Beispiel ein Herstellerzertifikat, dass eine bestimmte Anzahl an Schüssen möglich ist, ehe das Rohr der Kanone gewechselt werden muss. Die ukrainische Armee gibt nach eigenen Angaben aber viel mehr Schüsse ab, ohne dass es größere Probleme gibt. Beim Taurus seien Zündsystem und andere Subkomponenten sehr komplex, so Hoffmann, und müssten regelmäßig gewartet werden. Aber: „In Friedenszeiten kann man sich kleinere Wartungsintervalle leisten, in Kriegszeiten nicht.“

Taurus könnten für F-16 oder Su-24 angepasst werden

Die Bundesregierung prüft die Lieferung von Taurus, ließ eine Entscheidung aber bisher offen. Kiesewetter fordert, 150 aus Gründen der Verteidigungsfähigkeit zu behalten und die übrigen 300 umgehend instand zu setzen und für den Einsatz in der Ukraine vorzubereiten. „Sie könnten für die F-16, aber auch für ukrainische Flugzeuge vom Typ Su-24 angepasst werden“, sagte der CDU-Politiker.

Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow hatte sich am Wochenende in der „Bild“ zuversichtlich gezeigt: „Ich bin wirklich optimistisch und sehe in der Zukunft, dass wir auch Taurus aus Deutschland bekommen werden.“ Deutschland könne sich einer Koalition anderer Staaten anschließen, die bereits ähnliche Waffen geliefert haben, darunter Frankreich mit SCALP-Marschflugkörpern.

Schriftliche Zusagen für Taurus-Einsatz möglich

Mehrere Länder, darunter die USA und Frankreich, haben sich in der Vergangenheit schriftliche Zusagen aus Kiew für den Einsatz bestimmter Waffen geben lassen. Ausgeschlossen ist etwa der Einsatz von Streumunition auf russischem Gebiet. Kiesewetter fordert die Bundesregierung ebenfalls zu einem Vertrag über den Taurus-Einsatz auf, damit die Lieferung so schnell wie möglich beginnen könne. „Kiew ist bereit, in einem Vertrag Bedingungen für den Einsatz von Taurus zu unterzeichnen, ähnlich wie schon Abkommen mit anderen Staaten“, sagt er dem RND.

In einem solchen Vertrag könnte sich Deutschland garantieren lassen, dass Taurus nicht gegen Ziele auf russischem Boden eingesetzt werden. Technisch sei das möglich, meint Experte Hoffmann. „Wenn GPS-Koordinaten eingegeben werden, die in russischem Territorium liegen, kommt es zu einer Fehlermeldung.“

Ukraine will Waffenproduktion maximieren

Für Verstimmungen sorgt in Kiew, dass viele angekündigte schwere Waffen bisher nicht geliefert wurden. Selenskyj kündigte nach einem Treffen mit dem zuständigen Ministerium, dem Rüstungskonzern Ukroboronprom und einzelnen Produktionsstätten an, die Waffenproduktion im ganzen Land auf Volllast hochzufahren. „Wir maximieren die Produktionskapazität“, sagte er in seiner täglichen Videoansprache am Montagabend. Dies betreffe Drohnen, Raketen, Artillerie und gepanzerte Fahrzeuge – und Munition. Bereits vor dem Krieg war die Ukraine einer der größten Waffenproduzenten in Europa. Mehr als 100 Fabrikanlagen sind im Krieg jedoch zerstört worden. Russlands Angriffe auf die Energieversorgung hatten die Waffenproduktion ebenfalls massiv eingeschränkt.

Die ukrainische Rüstungsindustrie ist unter dem Dach von Ukroboronprom organisiert. Dort steht seit wenigen Wochen der 31-jährige Herman Smetanin an der Spitze. Zuvor leitete er unter anderem eine wichtige Panzerfabrik in der Ukraine. Die Munitionsproduktion wurde hochgefahren, Eigenentwicklungen erfolgreich an der Front erprobt. Die selbst entwickelte Anti-Schiffs-Rakete R-360 Neptun versenkte etwa den russischen Kreuzer „Moskwa“.

„Das ukrainische Militär braucht ständig Ersatzteile, und wir müssen neue Verfahren wie den 3D-Druck in der Ukraine etablieren“, sagt Kiesewetter dem RND. Der Vorteil: Die Daten können per Satellit an einen 3D-Drucker in der Ukraine übermittelt werden, ohne dass Lizenzen vergeben oder Bauanleitungen weitergereicht werden müssen.

Kooperationen zur Waffenproduktion

Zum Ausbau der Produktion schließt die Ukraine immer mehr Verteidigungskooperationen ab. Der türkische Hersteller von Bayraktar TB2-Kampfdrohnen baut eine Drohnenfabrik in der Ukraine, im Ausland lässt man Panzermunition herstellen. Zusammen mit Rheinmetall will man schon bald Panzer in einem gemeinsamen Werk in der Ukraine bauen. Bis zu 400 Kampfpanzer vom Typ Panther sollen dort jedes Jahr produziert werden. Eine erste Werkstatt soll noch bis Jahresende öffnen, in der ukrainisches Personal den Transportpanzer Fuchs baut und repariert.

In der Vergangenheit hatte Ukroboronprom noch Rüstungsgüter exportiert, auch nach den russischen Angriffen auf die Krim und den Donbass 2014. Durchbrüche bei der Entwicklung innovativer Waffensysteme und die Erprobung unter Realbedingungen könnten zu einer hohen Nachfrage nach ukrainischen Waffen nach dem Krieg führen. Beobachter gehen davon aus, dass die Ukraine nach dem Krieg erneut zu den größten Waffenexporteuren der Welt zählen wird.

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