Scholz zögert, Masala poltert„Bullshit“ und „rote Linien“ – Streit um Taurus-Lieferung an Kiew immer hitziger

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Die Ukraine will Marschflugkörper aus Deutschland. Der Kanzler zögert – ein CDU-Politiker spricht derweil von „roten Linien“ – und erntet Kritik.

Trotz mitunter scharfer Kritik legt sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Frage der Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine weiterhin nicht fest. „So wie in der Vergangenheit werden wir jede einzelne Entscheidung immer sehr sorgfältig überprüfen, was geht, was Sinn macht, was unser Beitrag sein kann“, sagte Scholz am Sonntag im ZDF-„Sommerinterview“. Dies gelte auch für die Taurus-Lieferung.

Er wolle sich in dieser Frage nicht unter Druck setzen lassen, sagte Scholz weiter mit Blick auf Aufforderungen aus dem In- und Ausland. Er verwies auf die der Ukraine bereits gewährte militärische Unterstützung bei Artillerie, Panzern und Flugabwehr. Dafür habe sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gerade erst noch einmal bedankt.

Olaf Scholz zögert bei Taurus-Lieferung an Ukraine: „Wir werden es uns weiter schwer machen“

Vorwürfe der Zögerlichkeit wies Scholz zurück. „Wir werden es uns auch weiter schwer machen“, sagte er im ZDF. Die Bürgerinnen und Bürger fänden es mehrheitlich richtig, dass nicht jede Forderung nach Lieferungen sofort mit einem „Ja“ beantwortet werde.

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Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hob noch einmal die Bedeutung einer Lieferung der Taurus-Marschflugkörper hervor. „Die Ukraine braucht Taurus-Raketen, um mehr Leben ukrainischer Soldaten und Zivilisten zu retten und um die Befreiung ihrer Gebiete zu beschleunigen und den Krieg schneller zu beenden“, sagte Kuleba der „Bild am Sonntag“. Die Formel sei einfach: „Eine größere Reichweite der Raketen bedeutet eine kürzere Dauer des Krieges.“ Der Außenminister sicherte erneut zu, sein Land werde die Waffen „nur innerhalb unserer Grenzen“ einsetzen. 

Kritik an Olaf Scholz aus der CDU: „Die Lieferung ist moralisch und politisch dringend geboten“

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter warf Scholz unterdessen zu viel Zögerlichkeit bei der Militärhilfe für die Ukraine vor. Damit leiste der Kanzler einer langen Dauer des Krieges Vorschub. Die Ukraine habe sich bislang an alle Absprachen gehalten, betonte Kiesewetter. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen erklärte auf X (ehemals Twitter), es wäre „verantwortungslos“, wenn Scholz die Taurus-Anfrage der Ukraine ablehne. „Die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ist moralisch und politisch dringend geboten“, fügte Röttgen an.

Für die Lieferung der Marschflugkörper werben in der Ampel-Koalition auch Politikerinnen und Politiker von Grünen und FDP. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), forderte das Bundeskanzleramt auf, „nicht erneut zu zögern“. „Wir dürfen keine Zeit verlieren“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“. Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, sagte der „SZ“, auch „Verzögern und Verweigern“ könne „einen hohen Preis haben und zur Eskalation beitragen“. Unterschiedliche Stimmen kommen dazu aus der SPD.

Carlo Masala äußert sich mit klaren Worten zur Taurus-Debatte – und widerspricht Michael Kretschmer

Eindeutig positionierte sich derweil auch der Sicherheitsexperte und Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr.  Masala plädierte am Sonntag für die Lieferung der Marschflugkörper. Es sei „Bullshit“ hier vom Übertreten einer „roten Linie“ zu sprechen, schrieb Masala im sozialen Netzwerk X.

Zwar sei es nachvollziehbar, dass die Bundesregierung bezüglich der Unterstützung der Ukraine „auf Sicht gefahren“ sei. Kiew jedoch zu untersagen, militärische Ziele in Russland mit „westlichen Waffen“ anzugreifen, bedeute, die Ukraine zum Kampf „mit einer Hand auf dem Rücken“ zu zwingen, so Masala. Russland hingegen werde vom Westen keine „rote Linie“ gesetzt.

„Dies ist keine Strategie, sondern ermöglicht es Russland, seinen verbrecherischen Angriffskrieg fast jeden Tag mit einem neuen Höhepunkt an menschenverachtenden Aktionen fortzusetzen.“ Die Warnung vor dem Überschreiten einer „roten Linie“ seien „Unsinn“, erklärte Masala.

Taurus-Debatte sorgt für Wirbel: „Da fällt euch nämlich nichts zu ein“

Wer gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern sei, solle zunächst einmal ein „überzeugendes Argument“ liefern, warum Deutschland keine Marschflugkörper liefern sollte, obwohl Großbritannien und Frankreich das bereits getan hätten, und Kiew sich an die Abmachung halte, keine Ziele in Russland damit anzugreifen. „Da fällt euch nämlich nichts zu ein“, beendete Masala seine Wortmeldung.

Zuvor hatte sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der sich bereits in der Vergangenheit gegen einzelne Waffenlieferungen an die Ukraine positioniert hat, gegen Taurus-Lieferungen ausgesprochen. „Immer wieder überschreitet die Bundesregierung selbstgesetzte rote Linien. Nach Leopard-Panzern nun Marschflugkörper. Was kommt als Nächstes?“, schrieb Kretschmer am Sonntag im Stile Sahra Wagenknechts bei X und forderte „neue, intensive diplomatische Initiativen“ des Westens. Ähnliche Wortmeldungen sind von der Linken-Politikerin bekannt

Ukrainer kritisieren Michael Kretschmer scharf: „Unterlassung von Hilfe“

Für die Äußerungen erntete Kretschmer nicht nur indirekte Kritik von Sicherheitsexperte Masala, sondern auch direkten Widerspruch. So verwies der Historiker Matthäus Wehowski darauf, dass der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew betont habe, „nur durch eine Kapitulation der Ukraine“ könne es „einen Weg zum Frieden“ geben. „Wir könnten eine Mischung aus Metternich und Genscher nach Moskau schicken – es wäre sinnlos, weil Putin und Co. keine Diplomatie wollen.“

Auch die Sprecherin von Vitsche, einer Vereinigung junger Ukrainer*innen in Deutschland, meldete sich zu Wort. „Wieso hört man von Ihnen immer nur, wenn es um die Unterlassung von Hilfe für Ukraine geht, aber nie, wenn Russland Kriegsverbrechen begeht?“, fragte Krista-Marija Läbe den CDU-Politiker auf X. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, versicherte derweil: „Niemand will mit deutschen Waffen Russland angreifen.“

Frankreich und Großbritannien haben der Ukraine bereits Marschflugkörper geliefert. Im Gespräch ist auch die Lieferung von US-Kurzstreckenraketen des Typs ATACMS, die je nach Typ eine Reichweite von bis zu 300 Kilometer haben. (mit afp)

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