Kölner Grüner verlangt mehr Therapieplätze„Depressionen sind oft das Karriere-Ende“

Arndt Klocke
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Köln – Arndt Klocke ist direkt gewählter Landtagsabgeordneter der Grünen aus Köln. Der 51-Jährige war von 2006 bis 2010 Parteichef der NRW-Grünen und von 2017 bis 2020 Fraktionschef seiner Partei im Landtag.Herr Klocke, der Grüne Vize-Kanzler ist nach seinen Äußerungen über eine drohende Insolvenzwelle im Winter in die Kritik geraten. Sinkt der Stern von Robert Habeck?
Arndt Klocke: Das sehe ich nicht. Der Druck auf die Entscheider ist in der aktuellen Lage enorm hoch. Es ist nur menschlich, dass auch ein Robert Habeck argumentativ mal kurz den Faden verlieren kann. Ihm deswegen die Befähigung für das Amt abzusprechen, ist völlig überzogen.
Die energiepolitischen Entscheidungen, für die Habeck verantwortlich zeichnet, stellen jetzt die Weichen dafür, wie die Menschen in Deutschland über den Winter kommen. Geht der Unmut über hohe Preise mit den Grünen nach Hause?
Das kommt darauf an, ob die Kampagnen der Boulevardpresse und jetzt auch der Union gegen Habeck verfangen. Wir stehen wegen des Kriegs in der Ukraine und der sich vor unser aller Augen zuspitzenden Klimakrise vor Disruptionen, die unser aller Leben verändern werden. Das muss man den Menschen sagen. Nur mit einer offenen Kommunikation können wir breite Akzeptanz für harte Entscheidungen schaffen. Da müssen so manche ihre Komfortzone verlassen.
Worauf spielen Sie an?
Es sind harte Zeiten. Die letzten zwei Jahre haben uns alle verändert. Menschen erwarten von der Politik zurecht verlässliche Entscheidungen und Ernsthaftigkeit. Das übliche Parteiengezänk hilft niemandem weiter, höchstens dem rechten Rand.
Sie sind jetzt Sprecher für mentale Gesundheit in der Landtagsfraktion. Was haben Sie sich vorgenommen?
Die Zahl der Menschen, die Probleme mit ihrer mentalen Gesundheit haben, hat stark zugenommen. Diese Zunahme findet sich insbesondere bei Jugendlichen. Während man über „normale“ Krankheiten wie Krebs schon lange offener spricht, werden psychische Probleme oft von den Betroffenen und ihrem Umfeld unter der Decke gehalten. Niemand möchte, dass hinter dem Rücken über einen geredet wird. Dass mir unsere neue Fraktion die Möglichkeit gibt, meine Arbeit in der Enquetekommission „Einsamkeit - Bekämpfung sozialer Isolation" der letzten Legislatur fortzusetzen, freut mich. Die Bedarfe sind riesig, dass zeigt schon die Nachfrage in den ersten Wochen.
Sie haben 2019 auch eine dreimonatige Auszeit wegen einer Depression genommen. Jetzt sind Sie nicht, wie von vielen erwartet, zum Verkehrsminister berufen geworden. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
Die Entscheidung habe ich akzeptiert. Woran es lag, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist: In vielen Berufen endet heutzutage die Karriere, wenn bekannt wird, dass ein Arbeitnehmer unter Depressionen oder einer anderen psychischen Erkrankung leidet. Ich habe in NRW Führungsverantwortung übernommen, als die grüne Karre vor die Wand gefahren war und habe meinen Beitrag geleistet, dass wir stark aus dieser Wahl hervorgehen.
Der NRW-Koalitionsvertrag trägt eine grüne Handschrift, nicht zuletzt beim Verkehr. Damit ist eine Mission, an der ich jahrelang mitgearbeitet habe, erfüllt. Ich werde mich voll auf meine neuen Aufgaben konzentrieren. Dabei gibt mir mein starkes Ergebnis im gewonnenen Wahlkreis Rückenwind.
Wie kann man ein stärkeres Bewusstsein dafür schaffen, dass die Menschen mehr auf ihre mentale Gesundheit achten?
Das muss schon in der Schule und Jugendarbeit anfangen. Bereits im damaligen grünen NRW-Gesundheitsministerium wurden Konzepte erarbeitet, die noch auf Umsetzung warten. Es gibt Schulsozialarbeit und Beratungslehrer. Ich finde es wichtig, dass man im Unterricht darüber spricht, wie man mentale Probleme erkennt. Kinder gehen mit dem Schulabschluss nach viel Sportunterricht und mit den kompliziertesten Chemie-Formeln ins Leben, wissen aber nicht, wie sie sich Hilfe holen können, wenn es ihnen mental schlecht geht.
Wenn es denn Hilfe gibt…
Ja, das ist bislang das zentrale Problem. Menschen, die akut in eine mentale Notlage geraten, haben heute oft große Schwierigkeiten, sofort Unterstützung zu bekommen. Gerade im ambulanten Bereich ist die Versorgungssituation fast überall im Land unzureichend. Ich werde mich dafür einsetzen, dass Land und Bund den Weg dafür frei macht, dass sich mehr ambulante Therapeuten niederlassen dürfen. Das würde auch die Hemmschwellen, sich Hilfe zu holen, enorm senken.
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Wie meinen Sie das?
Viele Menschen, die in eine depressive Phase geraten, fühlen sich in einem klinischen Umfeld nicht gut aufgehoben. Dort sind ja vielfach Menschen untergebracht, die unter schwersten Psychosen leiden und zum Teil Wahnvorstellungen haben. Das Gefühl, dass alle Patienten vom gleichen Umfeld behandelt werden, trägt nach meiner Erfahrung nicht dazu bei, dass es Menschen mit depressiven Verstimmungen wieder besser geht. Deswegen sollten Klinikaufenthalte möglichst vermieden werden. Unser Ziel muss es sein, in den nächsten fünf Jahren effektive ambulante Hilfestrukturen zur Behandlung mentaler Probleme in Tageskliniken aufzubauen. Dafür braucht es ausreichend Plätze in Tageskliniken, die gesetzlich Versicherten offenstehen und die nicht nur für Privatpatienten zugänglich sind.