Frauke Rostalski, Jura-Professorin in Köln und Mitglied des Deutschen Ethikrats, kritisiert Pläne der Koalition, Volksverhetzern das passive Wahlrecht abzuerkennen.
Kölner Juristin RostalskiWas soll man ungestraft sagen dürfen?


Hass und Hetze ist besonders im Netz weit verbreitet. Den Vorschlag, Volksverhetzer das passive Wahlrecht abzuerkennen, kritisiert Jura-Professorin Frauke Rostalski dennoch.
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Der Kölner Verfassungsrechtler Markus Ogorek schrieb unlängst im „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass sich Meinungskorridore in der jüngeren Zeit verengt hätten. Beispiele dafür, wie richtig er mit seiner Einschätzung liegt, lassen sich viele finden. Es beginnt mit der Ausweitung von Straftatbeständen, die die freie Rede regulieren und von Strafverfolgungsbehörden mit ganz neuem Nachdruck verfolgt werden – man denke nur an die „Aktionstage gegen Hass und Hetze“. Zu nennen sind sodann sogenannte Trusted Flagger, die in sozialen Netzwerken nicht bloß unerlaubte, sondern nach dem Wunsch der Bundesnetzagentur auch erlaubte Meinungsinhalte herausfiltern und melden, bis hin zu allerlei Melde- und Beratungsstellen, die im staatlichen Auftrag den „vorstrafrechtlichen“ Bereich von Meinungsäußerungen durchleuchten und dokumentieren.
All dies führt zu Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Zum einen, weil das Grundrecht gesetzlich beschnitten wird (wie im Fall neuer Straftatbestände), zum anderen infolge von „Silencing Effects“ – einem Verstummen von Bürgerinnen und Bürgern, das deshalb eintritt, weil sie sich nicht länger sicher sein können, was sie erlaubterweise sagen dürfen und was nicht. So ist Selbstzensur die erwartbare Folge.
Pläne zur Aberkennung des passiven Wahlrechts
Ein Blick in den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD zeigt, dass in näherer Zukunft nicht mit einer Kehrtwende zu rechnen ist – im Gegenteil. Beispielhaft dafür stehen die Pläne, eine mehrfache Verurteilung wegen Volksverhetzung künftig mit der Aberkennung des passiven Wahlrechts zu ahnden. Geregelt ist diese Nebenfolge, die bei einer Verurteilung (mit-)ausgesprochen werden kann, im Paragrafen 45 des Strafgesetzbuchs (StGB). Sie kommt nur in zwei Konstellationen zur Anwendung: Entweder muss der Täter wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt werden. Oder aber er hat einen gesetzlichen Straftatbestand verwirklicht, für den ausnahmsweise vorgesehen ist, dass Paragraf 45 StGB Anwendung findet. Im zweiten Fall liegt es im Ermessen des Gerichts, die Nebenfolge anzuordnen.
Der Kreis dieser spezifischen Straftatbestände ist begrenzt auf Delikte mit klarem Bezug zu Angriffen auf den Staat und seine Einrichtungen. Beispielhaft gehören dazu die Bildung terroristischer Vereinigungen, der Subventionsbetrug oder Delikte, die von einem Amtsträger begangen wurden. Es eint sie, dass der Täter durch sein Verhalten eine Gefahr für den Staat selbst geschaffen hat – sei es durch Entziehung staatlicher Mittel, sei es durch einen Angriff auf die freiheitliche Verfasstheit des Gemeinwesens.
Rechtliche und ethische Bedenken
Im Hintergrund steht die Erwägung, dass diejenigen, die sich solcher Straftat schuldig machen, zumindest für eine gewisse Zeit ein Quantum Freiheit verwirkt haben, selbst aktiv am Verfassungsstaat teilzunehmen. Die Betreffenden haben sich durch ihr Verhalten als so wenig vertrauenswürdig erwiesen, dass es nach dem Gesetz gerechtfertigt ist, ihnen für eine bestimmte Dauer das passive Wahlrecht zu entziehen.
Der Gedanke lässt sich aber nicht auf die Volksverhetzung übertragen, deren Ahndung in Paragraf 130 StGB geregelt ist. Das liegt an der abweichenden Schutzrichtung der Vorschrift: dem öffentlichen Frieden. Es geht bei § 130 StGB nämlich darum, einen Zustand allgemeiner Rechtssicherheit zu wahren, wozu das Vertrauen der Bürger zählt, in Ruhe und Frieden leben zu können. Es kann erschüttert werden durch latente oder offene Gewalt, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung mindert.
Damit ist der öffentliche Frieden als Schutzgut des Volksverhetzungsverbots nicht identisch mit dem freiheitlich verfassten Gemeinwesen. Volksverhetzungen richten sich nicht gegen die Grundfesten des Verfassungsstaates wie etwa gegen die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie. Vielmehr verläuft der Paragraf 130 StGB auf einer Ebene darunter, die zwar das gesellschaftliche Miteinander tangiert – aber auf dem Boden des freiheitlichen Rechtsstaats, der selbst nicht vom Täter angegriffen wird. Verkürzt: Wer gegen das Verbot der Volksverhetzung verstößt, greift das friedliche Miteinander an, wendet sich aber nicht von Grund auf gegen den Verfassungsstaat.
Tiefe Einschnitte in die Meinungsfreiheit
Vor diesem Hintergrund passen die Pläne der Koalitionäre zur Aberkennung des Wahlrechts bei Volksverhetzung nicht in die bisherige Systematik des Paragrafen 45 StGB. Sie erscheinen auch aus anderen Gründen problematisch: Der Volksverhetzungs-Paragraf gehört als Teil des politischen Strafrechts zu einer der besonders umstrittenen Vorschriften im Strafgesetzbuch. Die Kritik macht sich vor allem an der Offenheit des Tatbestands fest, die seine Anwendung für den Einzelnen nicht selten geradezu unvorhersehbar macht. Als Problem werden zudem die tiefen Eingriffe in die Meinungsfreiheit gesehen, die mit der Regelung einhergehen.
Aber auch der Paragraf 45 ist massiver Kritik ausgesetzt: Die Aberkennung des passiven Wahlrechts erinnere an eine „Ehrenstrafe“, sei daher „vormodern“ und „stigmatisierend“. Außerdem lasse sie sich nicht mit dem Gedanken der Resozialisierung in Einklang bringen, zumal in ihrer Anwendung eine eklatante Bevormundung der Wählerinnen und Wähler liege, denen nicht länger die freie Entscheidung überlassen wird, ob sie einer vorbestraften Person ihre Stimme geben möchten.
Ein „Feindstrafrecht gegen rechts“
In der Kombination summieren sich die Einwände beide Paragrafen in einer rechtsstaatlich mehr als bedenklichen Weise. Auch rechtspolitisch ist zweifelhaft, ob die Koalitionäre ihr Vorhaben wirklich umsetzen sollten. Für jeden ersichtlich richten sich die Pläne zur Aberkennung des passiven Wahlrechts bei Volksverhetzung gegen eine bestimmte politische Richtung. Ein Kollege aus der Strafrechtswissenschaft nannte sie folgerichtig ein „Feindstrafrecht gegen rechts“.
Das ist nicht ungefährlich. Nicht nur, weil sich Machtverhältnisse ändern können, Gesetze jedoch für alle gleichermaßen gelten. Sondern auch und vor allem deshalb, weil der Eindruck entstehen kann, die Mächtigen könnten sich der Andersdenkenden bloß noch durch Verbote und das Strafrecht erwehren – anstatt an der Wahlurne zu obsiegen. Absehbar nährt dies auch Opfernarrative, fördert Trotzreaktionen und wirkt sich negativ auf das Vertrauen in die Demokratie aus. Eine resiliente Demokratie setzt auf Meinungsfreiheit und die Freiheit der Wahlen, nicht auf immer mehr Verbote und sonstige Beschneidungen der Freiheit.
Zur Person – Gespräch auf der phil.Cologne
Frauke Rostalski, geb. 1985, ist geschäftsführende Direktorin des Instituts für Straf- und Strafprozessrecht der Universität zu Köln. Die Juristin und Philosophin ist Mitglied im Deutschen Ethikrat.
Auf dem Philosophiefestival phil.Cologne diskutiert Frauke Rostalski mit Rolf Mützenich, dem Kölner SPD-Politiker und früheren Fraktionschef im Bundestag, über gesellschaftliche Diskursräume und politische Grenzen.
Brauchen wir eine Brandmauer? 27. Juni um 19 Uhr in der Comedia, Vondelstraße 4-8, 50677 Köln. Tickets gibt es hier.