Kurz vor Ende der BundeswehrmissionAuf Patrouille mit deutschen Soldaten in Mali

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13.11.2018, Mali, Gao: Ein Soldat der Bundeswehr steht am Flughafen nahe dem Stützpunkt in Gao im Norden Malis.

Ein Soldat der Bundeswehr steht am Flughafen nahe dem Stützpunkt in Gao im Norden Malis. (Archivbild)

Das Ende der Bundeswehrmission in Mali ist beschlossene Sache. Doch bis Mai 2024 ist noch ein Auftrag zu erfüllen. Eine Reportage.

Es ist noch vor Sonnenaufgang, als die gepanzerten Bundeswehrfahrzeuge auf den Sammelplatz im Camp Castor im malischen Gao rollen. Die Dieselmotoren brummen, die Soldaten laden die Bordwaffen fertig, einige rauchen noch eine Zigarette. Schon bei Tageslicht wirken die Fahrzeuge vom Typ Dingo, Fuchs und Eagle martialisch, im Dunkeln gilt das noch mehr. Dann setzt sich der Konvoi in Bewegung, die deutsche Flagge und die der Vereinten Nationen flattern nebeneinander an den Funkantennen. Um Punkt 5.30 Uhr, exakt zur geplanten Zeit, rollt die Patrouille durch das Haupttor des Lagers. Kurz dahinter beginnt das Elend.

Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt. Islamistische Gruppen und kriminelle Banden terrorisieren die Bevölkerung. In der Umgebung der Stadt Gao im Nordosten Malis haben Tausende Flüchtlinge in improvisierten Camps Zuflucht gesucht. In den Lagern, an denen der Bundeswehrkonvoi vorbeifährt, haben einige der Menschen in Zelten Platz gefunden. Andere liegen auf Matten unter Planen, die bei Temperaturen von mehr als 40 Grad tagsüber zumindest Schatten bieten. Müll liegt fast überall auf dem sandigen Boden, der heiße Wind wirbelt Plastiktüten durch die Luft.

Informationen sammeln

Der Bundeswehreinsatz ist Teil der UN-Mission Minusma, die das Land stabilisieren soll – Terrorismusbekämpfung gehört nicht zum Auftrag. Und trotzdem ist es derzeit die gefährlichste Mission der Vereinten Nationen. Deutschland ist seit 2013 dabei, Auftrag der deutschen Soldaten ist unter anderem, Informationen für Minusma zu sammeln. Seit dem Abzug aus Afghanistan ist Mali der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr, derzeit sind rund 1100 deutsche Soldaten in dem westafrikanischen Land stationiert. Doch die Mission endet bald: Die Bundesregierung hat den Abzug der Truppe bis Mai kommenden Jahres beschlossen, die Zustimmung des Bundestags gilt als sicher.

Bis dahin hat die Truppe einen Auftrag zu erfüllen. Die elf Fahrzeuge des Konvois rollen über Straßen und Pisten, die die Militärs mit Namen wie Elefant, Pluto oder Romeo versehen haben. Vorbei geht es an Herden von Dromedaren, Eseln und Ziegen. Am Straßenrand verkaufen Männer Benzin aus Plastikflaschen. Lehmhütten säumen den Weg. Wenn Kinder den Konvoi sehen, rennen sie an die Straße und winken – wie zu guten Zeiten in Afghanistan. Die Soldaten winken zurück. Im Fahrerraum eines Dingos hängt eine Mausfigur aus der „Sendung mit der Maus“.

Ziel des Konvois ist der Ort Gaouna, zwölf Kilometer Luftlinie entfernt auf der anderen Seite des Niger-Flusses. Für jede Eventualität wird geplant, jedes Risiko wird miniminiert. Die Patrouille ist auf maximal sechs Stunden angelegt, vorsichtshalber sind die Soldaten so ausgestattet, dass sie 48 Stunden außerhalb des Camps durchhalten könnten. Es sind Lehren aus Afghanistan, dem verlustreichsten Einsatz der Bundeswehr. Seit Beginn des Einsatzes sind in Mali zwei Soldaten bei einem Hubschrauberabsturz gestorben, Grund war ein technischer Defekt. Tote bei Angriffen hat die Bundeswehr in dem afrikanischen Land bislang keine zu beklagen.

Denkt dran, wir sind hier zu Besuch, wir sind Gäste und benehmen uns.
Hauptmann Dima, Zugführer

Stabsgefreite Laura – die meisten Soldatinnen und Soldaten dürften nur mit Dienstgrad und Vornamen genannt werden – ist Richtschützin in einem der Dingos, auch hier sieht man, was sich seit Afghanistan getan hat. Hatten die Soldaten dort noch geklagt, dass sie die Bordkanone im Dingo manuell mit Kurbeln bewegen mussten, ruht Lauras rechte Hand auf einer Art Joystick. Weil sich die Kanonen auf den Fahrzeugen automatisch bewegen, sprechen die Malier von Roboterwaffen. In Gaouna bilden die Fahrzeuge am Rande des Niger-Flusses eine Wagenburg.

Ein Teil der Soldaten sichert die Umgebung, ein anderer Teil macht sich auf den Weg ins Dorf. „Denkt dran, wir sind hier zu Besuch, wir sind Gäste und benehmen uns“, sagt der Zugführer, Hauptmann Dima. Wer Sonnenbrillen mit dunklen Gläsern trägt, nimmt sie ab – ein Zeichen des Respekts gegenüber der Bevölkerung. Die Malier sollen den Soldaten in die Augen schauen können.

Auf der Suche nach dem Dorfältesten kommen die Soldaten an einem Brunnen vorbei, die Frauen dort grüßen freundlich – und sie klagen, dass sie einen Wasserturm und eine Brunnenabdeckung brauchten. Major Chris sagt, was er an diesem Vormittag mehrfach wiederholen wird: „Ich bin für die Sicherheit hier. Ich kann nichts versprechen. Ich werde es an meine Vorgesetzten weitergeben.“ Die Frauen weisen den Weg zum Dorfältesten, der auf einem Sandhügel wohnt. Die Soldaten tragen 25 Kilogramm Kampfausrüstung am Körper, die Steigung wird zum Kraftakt. Zierliche Frauen in bunten Gewändern gehen an ihnen vorbei, auf dem Kopf 20-Liter-Eimer mit Wasser.

Der Dorfälteste Seydou Djibila rollt Plastikmatten vor seiner kargen Lehmhütte aus und heißt die Soldaten willkommen. Die Sprachbarrieren sind hoch: Der malische Übersetzer spricht in der lokalen Sprache Songhai mit Djibila und übersetzt ins Englische, was weder für ihn noch für die deutschen Offiziere Muttersprache ist. Manche Aussagen Djibilas fallen im Original deutlich länger aus als in der Übersetzung.

Angst vor Vergeltung

Djibila dankt den Deutschen dafür, dass sie da sind, und beklagt sich zugleich über die Sicherheitslage. Banditen würden Kühe und Ziegen stehlen. In einem Ort zwischen Gao und Gaouna wurden Anfang März sieben Zivilisten bei einem Überfall getötet, was Schockwellen in der Region auslöste. Major Chris sagt: „Ich kann nichts versprechen. Ich habe keine Erlaubnis, diese Typen zur Strecke zu bringen.“ Djibila sagt, er befürchte, dass Spione Banditen oder Terroristen melden würden, dass er mit den Deutschen gesprochen habe – und dass ihm deswegen Vergeltung drohe.

Hauptmann Dima fragt Djibila noch nach Schulen und Moscheen in dem 130-Seelen-Ort, später lässt er sich die Nummer des Dorfältesten geben. Die Suche nach den beiden Imamen von Gaouna verläuft erfolglos, immerhin findet sich die Frau eines der Geistlichen. „Die Kinder hier sind immer krank“, klagt sie. „Die Kinder haben großen Hunger, es gibt kein Essen.“

Eigentlich wollen die Soldaten noch zu Fuß zu einem Markt, der in der Nähe sein soll, diese Information stellt sich aber als falsch heraus. Sie kehren um Richtung Fahrzeuge.

Diese Freundlichkeit, diese Freude, uns zu sehen, das gibt einem schon ein tolles Gefühl.
Matze, Stabsfeldwebel

Stabsfeldwebel Matze hat Wache an der Wagenburg gehalten, um die herum sich Kinder versammelt haben. „Das ist echt Wahnsinn“, sagt der 41-Jährige. „Als Kommandant vom Spitzenfahrzeug fahre ich grundsätzlich immer als Erstes in die Ortschaften rein. Sobald uns ein Kind erspäht, verbreitet sich das wie ein Lauffeuer. Wenn wir dann irgendwo zum Stehen kommen, ist da wirklich so eine kleine Kinderhorde, und das ist für uns selbst irgendwie ein Stück Sicherheit.“ Matze ist Vater eines Sohnes in Deutschland, er sagt: „Diese Freundlichkeit, diese Freude, uns zu sehen, das gibt einem schon ein tolles Gefühl.“ Viermal war der Unteroffizier im Einsatz in Afghanistan – das sei ganz anders gewesen, sagt er: „Diese unterschwellige Angst, dass gleich etwas passiert, wie ich es in Afghanistan zuhauf erlebt habe, die habe ich hier nicht.“

Die Soldaten treten schließlich die Rückfahrt an. Um 11 Uhr sind sie wieder im Camp, fünfeinhalb Stunden nach Abfahrt. Ihr Auftrag ist gewesen, Informationen in Gaouna zu sammeln, Hauptmann Dima hält ihn für erfüllt. „Viele Fragen wurden beantwortet“, sagt der 33-Jährige. „Grundsätzlich dienen wir als Sensoren von diesem Kontingent, indem wir in Ortschaften fahren, Informationen sammeln und das in einem Bericht wiedergeben.“

Was Minusma am Ende mit solchen Berichten macht, weiß er nicht. Das zu wissen ist allerdings auch nicht seine Aufgabe.

Immenser Aufwand

Aus ziviler Sicht ist der Aufwand, der zur Informationsgewinnung betrieben wird, immens. Auch das ist keine Entscheidung der Soldaten. Sie sollen Präsenz in der Fläche zeigen, potenzielle Schlagkraft demonstrieren, mehr nicht.

Dass die Truppe ihren Auftrag in Mali insgesamt nur noch eingeschränkt erfüllen kann, liegt an der dortigen Militärregierung. Eigentlich soll die Bundeswehr mit ihren Drohnen auch aus der Luft aufklären. Seit dem 23. Dezember hat die Regierung aber jede Starterlaubnis verweigert. Die deutschen Drohnenoperateure sind im Camp, dürfen aber nicht fliegen.

Ziel der Minusma-Mission ist die Sicherung des Friedens in Mali – dieser aber ist brüchig. Die Militärregierung arbeitet mit den Russen zusammen, die sie bei der Bekämpfung von islamistischen Terrorgruppen unterstützen. Russische Kräfte, unter denen auch die berüchtigte Wagner-Miliz sein soll, sind nur zweieinhalb Kilometer von Camp Castor stationiert. Die Franzosen – die einstige Kolonialmacht – haben ihre Soldaten auf Druck der malischen Regierung im vergangenen Jahr abgezogen.

Auch zwischen der Militärjunta in Mali und der Bundesregierung hat es mehrfach Verstimmungen gegeben. Dass die Drohnen nicht mehr starten dürfen, trägt dazu bei, dass Deutschland die Mission auslaufen lässt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte kürzlich bei einem Besuch in Gao, er bedauere, dass der Einsatz für die Bundeswehr nun so ende. „Aber das heißt nicht, dass der Einsatz gescheitert ist oder dass die Soldatinnen und Soldaten gescheitert sind, sondern (dass) es an den Bedingungen scheitert.“ Stabsfeldwebel Matze hält den Auftrag trotzdem für „absolut sinnvoll“, wie er sagt. Im Einsatzgebiet sei es aufgrund der Bundeswehrpräsenz relativ ruhig. Hauptmann Dima sieht das ähnlich. „Da, wo wir sind, haben die Menschen auf jeden Fall mindestens in dieser Zeit Ruhe“, sagt er. „Was danach ist, wenn wir nicht mehr da sind, das kann halt keiner mehr garantieren.“ (RND)

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