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Neue Analyse in NRWDer Rhein ist voller Mikroplastik – Vier Industrie-Betriebe untersucht

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Ein Mitarbeiter des Landesamtes für Natur, Umwelt und Klima (LANUK), begutachtet auf dem Laborschiff Max Prüss eine Wasserprobe. Foto: Oliver Berg/dpa

Ein Mitarbeiter des Landesamtes für Natur, Umwelt und Klima begutachtet auf dem Laborschiff Max Prüss eine Wasserprobe. An mehreren Abwasserströmen von Chemiestandorten am Rhein ist industriell hergestelltes Mikroplastik festgestellt worden.

Erstmals wurden auch die Abwässer an vier Chemiestandorten zwischen Bad Godesberg und Duisburg untersucht. Auch sie zählen zu den Verschmutzern.

Aufgeregte Fragen wie diese hat Maren Heß schon häufig beantworten müssen. Wie viel Plastik schwimmt im Rhein? Wie gefährlich ist das für die Umwelt und für die Menschen? Kann man es noch herausfischen oder ist die Katastrophe nicht mehr abzuwenden? Genau das wird sie heute mal wieder auf sie zukommen. Doch dieser Mittwoch ist für die Wissenschaftlerin und die gesamte Crew des Landesamts für Natur, Umwelt und Klima (LANUK) an Bord der Max Prüss ein besonderer Tag.

Gleich wird die Gruppe mit dem Laborschiff vom Rhein-Kai 3 an der Theodor-Heuss-Brücke in Düsseldorf ablegen und Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) die Ergebnisse der ihrer Studie zur Frage der Belastung des Rheins mit Mikroplastik erklären.

Der Rhein hat eine durchschnittliche Belastung für ein deutsches Fließgewässer
Maren Heß, Landesamt für Natur, Umwelt und Klima

18 Monate haben sie daran gearbeitet, zwischen Bad Godesberg und Duisburg an neun sorgfältig ausgewählten Stellen und in den Einleitungen von vier Industriebetrieben immer wieder Wasserproben genommen, um zu einer Erkenntnis zu kommen, die auf den ersten Blick ernüchternd für all den Aufwand wirkt. „Der Rhein hat eine durchschnittliche Belastung für ein deutsches Fließgewässer“, sagt Maren Heß. Viel mehr könne man noch nicht sagen.

In den Gesichtern der Journalisten steht die Enttäuschung geschrieben. Was sollen sie damit anfangen? Eine Stunde später, die Max Prüss liegt jetzt auf dem Rhein in Höhe des Landtags, sieht das schon ganz anders aus. Der Kran am Bug wird ausgefahren und setzt ein Schwimmgerät aufs Wasser, das einem Manta zumindest ähnelt. Allerdings grau und aus Plastik, mit einem rechteckigen Maul, in dessen Mitte ein Fließgeschwindigkeitsmesser steckt, und einem trichterförmigen Netz mit normierter Maschengröße.

Ein Mantatrawl schwimmt neben dem Laborschiff des Landesamtes für Natur, Umwelt und Klima (LANUK), Max Prüss im Rhein. Foto: Oliver Berg/dpa

Ein Mini-Manta-Trawl schwimmt neben dem Laborschiff Max Prüss im Rhein und sammelt Proben.

Ausgesetzt auf dem Rhein wirkt der Mini-Manta-Trawl in dem mächtigen Strom wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Der Plastik-Manta hat nur eine Aufgabe. Für eine vorher festgelegte Zeitspanne muss alles schlucken, was ihm auf der Oberfläche des Rhein ins Maul schwimmt. In diesem Fall sind das 150 Kubikmeter. Das Wasser fließt durch, der Rest bleibt hängen. Neben Stöckchen, Blättern und Sand auch das, was man mit bloßem Auge kaum erkennen kann und allgemein als Mikroplastik bezeichnet wird.

Die Wissenschaft unterscheidet zwischen primärem Mikroplastik – industriell hergestellten Partikeln wie Rohpellets und Beads – und sekundärem Mikroplastik, das durch den Zerfall größerer Kunststoffteile entsteht, etwa durch UV-Strahlung, Abrieb oder Witterungseinflüsse. Auch synthetische Fasern aus Kleidungsstücken und technischen Textilien zählen dazu.

Eine halbe Stunde später ist der Fang gesichert und wandert zur ersten Analyse ins schiffseigene Labor. Spätestens beim Blick unters Mikroskop, das die winzig kleinen Partikel sichtbar macht, weicht die Enttäuschung einer gewissen Faszination. Aus diesen Mini-Plastikteilchen, von denen Hunderte in ein Labor-Röhrchen passen, Rückschlüsse auf die Plastikbelastung des Rheins zu schließen, verbietet sich von selbst. „Wir haben die mal gezählt. Mit der Pinzette“, sagt Juliane Schrader, die für die Auswertung zuständig ist. „Das kann man keine acht Stunden durchhalten.“

Aber woran misst sich dann der Erfolg der Mission? Wie geht’s dem Rhein wirklich? „Wir haben erstmals erfolgreich direkt in den Abwasserströmen von Industriestandorten Proben auf Beads und Pellets genommen. Das war technisch eine große Herausforderung. Gleichzeitig ist es ein wichtiger Schritt für unsere Grundlagen und Ursachenforschung“, sagt LANUK-Präsidentin Elke Reichert.

Wir müssen Messmethoden entwickeln und untersuchen, wie die Industrie in den Rhein einleitet
Oliver Krischer, NRW-Umweltminister

An allen neun Messstellen wurde demnach Mikroplastik in Form sogenannter Beads gefunden. Die Spanne erstreckte sich von 0,95 Beads bis zu 2.571 Beads pro Kubikmeter Wasser. Der Ausreißer bedeute aber nicht automatisch, dass es sich dabei um einen Umweltskandal handele. Dazu seien die Messmethoden viel zu ungenau und von Zufällen abhängig, so Umweltminister Krischer. Man habe man auch darauf verzichtet, die Namen der Unternehmen zu nennen. „Wir haben schon Gespräche mit der Industrie geführt. Sie hat keinerlei Interesse daran, dass die sogenannten primären Partikel aus Mikroplastik in die Umwelt gelangen. Das passiert in der Regel unabsichtlich beim Abfüllen und Beladen. Jetzt müssen wir Messmethoden entwickeln, verfeinern und untersuchen, wie die Industrie in den Rhein einleitet.“

13.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Das Laborschiff des Landesamtes für Natur, Umwelt und Klima (LANUK), Max Prüss, liegt in Düsseldorf am Rheinufer. Foto: Oliver Berg/dpa

Das Laborschiff des Landesamtes für Natur, Umwelt und Klima (LANUK), Max Prüss, liegt in Düsseldorf am Rheinufer.

Man habe erste Gespräche mit den Behörden geführt, um das möglichst zu verhindern. „Der größte Teil der Verschmutzung entsteht sekundär“, so der Minister. „Vor allem durch den Reifenabrieb, aber auch durch Farben, Lacke und Kunststoffe in der Kleidung.“

Trotz aller dieser Erkenntnisse stehe man mit der Forschung noch ganz am Anfang. Die Umweltorganisation Greenpeace hat im vergangenen Jahr auf dem Rheinabschnitt Monheim-Dormagen mit vergleichbaren Verfahren Wasserproben entnommen und sei zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, so der Umweltminister.

Fehlende Normen sind das Problem

Das größte Problem sei die fehlende Standardisierung bei den Messverfahren und der Probeentnahme. Es gebe keine Normen für das technische Gerät, das eingesetzt wird. Deshalb könne man aus den verschiedenen Studien auch keine Rückschlüsse ziehen. „Nur gleiche Verfahren führen zu vergleichbaren Ergebnissen“, ergänzt die LANUK-Präsidentin.

Die Max Prüss hat die Anlegestelle wieder erreicht – aber eine Frage ist noch offen. Wie gefährlich ist Mikroplastik für die Menschen? Maren Heß antwortet mit einem Vergleich: „Wenn man Bilder sieht von Fischen, die Plastikteile verschluckt haben, sieht das zwar schockierend aus, aber das Plastik bleibt ja im Fisch, auch wenn das schlimm ist.“

Für den Menschen sei es gefährlicher, wenn sich das Mikroplastik schon Gewebe des Fischs befinden und über die Nahrungskette an den Menschen gelangen. „Je kleiner die Partikel sind, desto mehr Barrieren können sie im menschlichen Körper überwinden.“ Der Begriff Mikroplastik sei viel zu allgemein. „Da könnten Sie genauso nach der allgemeinen Wirkung von Arzneistoffen fragen. Da hat auch jedes Mittel eine spezifische Wirkung.“


Proben auch an schwer zugänglichen Stellen

Bereits 2015 beteiligte sich das Land NRW an einer länderübergreifenden Untersuchung von Mikroplastik in Binnengewässern – gemeinsam mit Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz sowie bei wissenschaftlicher Begleitung durch die Universität Bayreuth.

Damals wurden Mikroplastikpartikel an allen Probeentnahmestellen nachgewiesen, über 19.000 Objekte untersucht und mehr als 4.300 Kunststoffteilchen bestimmt. Mithilfe des Laborschiffs Max Prüss entstand in der Folge zusammen mit den anderen Bundesländern einer der damals weltweit größten, wissenschaftlich einheitlich erfassten Datensätze zur Belastung mit Mikroplastikpartikeln von Flüssen. Mikroplastik, also Kunststoffpartikel mit einem Durchmesser unter fünf Millimetern, ist längst ein allgegenwärtiges Umweltproblem.

Ein zentrales Werkzeug für diese wissenschaftlichen Fortschritte ist das Laborschiff Max Prüss, das bis zu 220 Tage im Jahr auf den schiffbaren Gewässern in NRW unterwegs ist. Es erlaubt qualitätsgesicherte Probenahmen auch an schwer zugänglichen Stellen – wie zum Beispiel im Umfeld von Industriestandorten, Schleusen, Häfen oder an Flussmündungen. Die Wasserproben werden an Bord mit moderner Sensorik zum Beispiel für pH-Wert, Trübung und Sauerstoffgehalt grob erfasst. Eine detaillierte Analyse auf einzelne Mikroplastikpartikel erfolgt anschließend in den Laboren des LANUK an Land.