An Weihnachten getürmtNRW-Justizministerium wusste nichts von Flucht von Euskirchener Häftling

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11.11.2021 Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Euskirchen.

Einfahrt der JVA Euskirchen (Archivbild)

Der Häftling war vom Weihnachtsausgang nicht zurückgekehrt. Einen Bericht der JVA an die Landesregierung gab es bislang nicht.

Wieder ist ein Häftling aus dem Offenen Vollzug der JVA Euskirchen verschwunden. Wie die Leiterin der JVA Euskirchen dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Freitag bestätigte, kehrte der 31-Jährige am 26. Dezember nicht von seinem Weihnachtsausgang zurück. Laut „Bild“ ist der Flüchtige ein Kumpel des Ex-Bandidos-Chefs Aykut Ö. – der vor einem Jahr aus dem Euskirchener Knast getürmt war. Das Justizministerium erfuhr erst durch die Presse von der aktuellen Flucht. Die FDP fordert Aufklärung im Rechtsausschuss des Landtags.

JVA war nicht in der Pflicht, die Flucht zu melden

„Es ist empörend, dass der Rechtsausschuss erneut erst aus der Presse von wichtigen Vorkommnissen aus dem Strafvollzug erfährt“, sagte Werner Pfeil, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. Kommende Woche soll die Regierung im Rechtsausschuss Rede und Antwort stehen.

Laut einem Ministeriumssprecher ist es normal, dass die JVA Euskirchen nicht Bescheid gesagt hatte: „Entweichungen aus dem Verantwortungsbereich des Offenen Vollzugs“ würden „grundsätzlich auf Anstaltsebene behandelt“. Die JVA war also formal nicht in der Pflicht, die Flucht in Düsseldorf zu melden. „Die nunmehr erfolgte Presseberichterstattung haben wir zum Anlass genommen, einen förmlichen Bericht von der JVA Euskirchen anzufordern. Dieser liegt hier bisher noch nicht vor“, so das Justizministerium.

Entlassung wäre in einem Jahr in Betracht gekommen

JVA-Leiterin Jennifer Rybarczyk sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass der Mann seit etwa einem Jahr bei ihr in Haft saß. Er habe „zum Zweck der Wiedereingliederung unter anderem Langzeitausgänge erhalten.“ Und: „Bei positiver Sozialprognose wäre eine Entlassung in etwa einem Jahr in Betracht gekommen.“ Nun wird nach dem Mann gefahndet.

Tatsächlich hat die neuerliche Flucht aus dem Offenen Vollzug Brisanz – vor allem durch die Verbindung zu Aykut Ö., der sich nach einem positiven Drogentest im Dezember 2022 durch das Fenster seiner Zelle aus dem Staub gemacht. Dabei habe er „ein erhebliches Verletzungsrisiko in Kauf genommen“, hieß es jüngst in dem Papier der Regierung für den Landtag.

Sein Kumpel hatte es da einfacher. Der 31-Jährige saß wegen Drogendelikten im Knast. Laut Justizkreisen hatte er zuletzt Lockerungen bekommen, zu denen auch ein mehrtägiger Ausgang über Weihnachten gehörte. Normalerweise dürfen Häftlinge im Offenen Vollzug nur tagsüber raus und müssen jeden Abend wieder in der Zelle sein.

Aykut Ö. sitzt in Auslieferungshaft

Laut „Bild“ soll sich der Häftling in die Türkei abgesetzt haben. Er ist zur Fahndung ausgeschrieben. Der erste Geflohene Aykut Ö. sitzt seit wenigen Wochen in Spanien in Auslieferungshaft. Er war von den spanischen Behörden für die deutschen Kollegen in Malaga festgenommen worden.

Schon als Aykut Ö. stiften ging, kam das erst durch Medienberichte raus. Diesmal wieder. Schon damals witterte die Opposition Vertuschung. Diesmal sagt FDP-Rechtspolitiker Pfeil: „Diese desaströse Kommunikation reiht sich ein in eine mittlerweile lange Liste von Fehlentscheidungen, Falschinformationen, Unterlassungen sowie pauschaler Untätigkeit des NRW-Justizministers und seines Ministeriums. Der Vertrauensverlust im Parlament, aber auch in der gesamten Bevölkerung ist immens und schadet dem Ansehen des Ministeramts.“

Auch die SPD hat sich auf Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) eingeschossen: „Minister Limbach ist nichts daran gelegen, das Parlament hinreichend und zuverlässig über die Vorkommnisse seines Ressorts zu informieren“, sagte Sonja Bongers, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag: „Das ist abermals ein Fauxpas, nicht zuletzt, weil es sich hierbei um ein Ereignis mit gesteigertem öffentlichen Interesse handelt.“ Trotz mehrfacher Aufforderungen verschiedener Abgeordneten des Rechtsausschusses gelinge es ihm nicht, seiner Informationspflicht nachzukommen.

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