NRW-Reaktionen auf die Türkei-Wahl„Ein Stützpfeiler für Erdogans Macht“

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Wählerinnen und Wähler geben im Türkischen Generalkonsulat in Hürth ihre Stimme für die Parlaments- und Präsidentenwahl ab.

Wählerinnen und Wähler geben im Türkischen Generalkonsulat in Hürth ihre Stimme für die Parlaments- und Präsidentenwahl ab.

Warum hat der türkische Staatspräsident Recep Tayip Erdogan unter den Deutsch-Türken in NRW so viele Anhänger? Darüber diskutiert die Landespolitik nach dem ersten Wahlgang in der Türkei mit wachsender Sorge.

Der Ausgang der Türkei-Wahl sorgt in NRW für viel Gesprächsstoff. Auch die Landtagsabgeordneten sehen die Entwicklung in Ankara mit Sorge. 732.000 der in Deutschland registrierten 1,5 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, die meisten davon in NRW. Die FDP-Fraktion kritisiert, die Landesregierung habe gegen AKP-Politiker, die in NRW „mit übelster Hetze“ Wahlkampf für Erdogan machten, nichts unternommen.

Eine weitere deutliche Verschiebung nach rechts
Berivan Aymaz, Landtagsabgeordnete der Grünen

„Der denkbar knappe Wahlausgang hat noch keinen Sieger im Rennen um das Präsidentenamt hervorgebracht. Einen entscheidenden Beitrag dazu, dass Amtsinhaber Erdoğan nun in eine Stichwahl mit seinem Herausforderer Kılıçdaroğlu gehen muss, haben insbesondere die kurdischen Wählerinnen und Wähler mit der Yeşil Sol Parti geleistet“, sagt die grüne Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz. „Aber gleichzeitig gibt es die bittere Erkenntnis: der autoritär-nationalistische Kurs und Diffamierungskampagnen des AKP-Regimes gegen demokratische Kräfte zeigen Wirkung. Sie haben für eine weitere deutliche Verschiebung nach rechts in der politischen Landschaft der Türkei gesorgt.“

Der rechtsextreme Kandidat Sinan Oğan könne diese Entwicklung weiter befeuern, denn auf seine Stimmen sei der nächste Präsident angewiesen. „Die Zeitspanne bis zur Stichwahl am 28. Mai wird für die Menschen in der Türkei eine große Herausforderung. Jetzt muss sich die demokratische Opposition insbesondere gegen die Zermürbungstaktiken des AKP-Regimes stellen. Ich hoffe sehr, dass es in der Türkei friedlich bleibt und zumindest die Grundprinzipien der Demokratie eingehalten werden“, sagte Aymaz.

Einen entscheidenden Beitrag dazu hätten die kurdischen Wählerinnen und Wähler mit der Yeşil Sol Parti geleistet. Trotz massiver Repressionen und Verhaftungswellen habe die neue Partei 8,8 Prozent erzielen. Die Zeit bis zur Stichwahl werde für die Menschen in der Türkei herausfordernd sein, so Aymaz. „Jetzt muss es darum gehen, dass es friedlich bleibt, alle Vorwürfe der Manipulation lückenlos aufgeklärt und im Wahlkampf die Grundprinzipien der Demokratie eingehalten werden.“

Dass die Türken hier oft Erdogan wählen, wundert mich selbst manchmal
Volker Baran, Landtagsabgeordneter der SPD

Volker Baran, integrationspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, spricht von einem Erfolg der Opposition. „Die Wahl stand in einem anderen Licht als in den vergangenen Jahren. Erdogan ist nicht durchgekommen. Die Opposition hatte einen starken Herausforderer und hat die regierende Partei zum ersten Mal seit 20 Jahren in eine Stichwahl gezwungen.“ Das Ergebnis zeige aber auch die tiefe Spaltung in der Türkei und bei den Deutschtürken.

„Dass die Türken hier oft Erdogan wählen, wundert mich selbst manchmal. Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum Menschen die Freiheit, die sie hier erleben, nicht den Menschen in der Türkei zubilligen. Das Rennen in der Stichwahl halte ich weiter für offen. Das eine oder andere kann sich noch in Richtung Opposition verändern. Denn die Unzufriedenheit bei vielen ist groß.“

Wer sich vor der Türkei-Wahl wegduckt, darf jetzt nicht das Ergebnis beweinen
Marc Lürbke, Landtagsabgeordneter der FDP

Für Marc Lürbke, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion, zeigt das Wahlergebnis, „dass NRW leider ein wichtiger Stützpfeiler für Erdogans Macht ist“. Aus seiner Sicht ist es „schwer verständlich, wenn Menschen hier in NRW die Vorzüge eines freiheitlichen Rechtsstaats genießen und dann mit großer Mehrheit in der Türkei dagegen wählen. Trotz vieler positiver Integrationsbiografien türkischer Menschen darf Politik nicht einfach ausblenden, dass offenbar viele Türken in NRW selbst in dritter oder vierter Generation die Freiheiten unserer Gesellschaft abzulehnen scheinen. Statt ideologischer Scheuklappen sollten die Wahlergebnisse deshalb ein dringender Weckruf für eine ehrliche Diskussion über Parallelgesellschaften, bessere Integration und Wertevermittlung sein.“

Der FDP-Politiker kritisiert, dass türkische Politiker der AKP in NRW  Wahlkampf für Erdogan machen, sie bedienten sich teils übelster Hetze wie in einer Moschee in Neuss. „Statt hier konsequent einen Riegel vorzuschieben, bleiben CDU und Grüne aus falscher Rücksichtnahme aber nur im Beobachtermodus.“ Die FDP habe Innenminister Herbert Reul mehrfach vergeblich zum Handeln aufgefordert. „Wer sich vor der Türkei-Wahl einfach wegduckt, darf jetzt jedoch nicht das Ergebnis beweinen.“

NRW darf kein Platz für türkischen Wahlkampf werden
Romina Plonsker, Landtagsabgeordnete der CDU

„Die Wahl in der Türkei ist für viele Menschen auch in Deutschland, vor allem in NRW, von großer Bedeutung“, sagt die CDU-Landtagsabgeordnete, Romina Plonsker. „Die hohe Anzahl an Menschen mit türkischem Pass, die bei uns leben, darf nicht dazu führen, dass NRW ein Platz für türkischen Wahlkampf wird. Das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hat öffentlich gemacht, dass die türkische Regierung versucht hat, auf Politiker in Deutschland Einfluss zu nehmen. Das dürfen wir nicht zulassen.“

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