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Transportgewerbe
Die Unsichtbaren auf der Autobahn – Wie Europas Preiskampf Trucker ins Elend treibt

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Der Kampf um einen Lkw-Parkplatz an einer Autobahn-Raststätte wie in an der A57 in Krefeld wird immer härter.

Der Kampf um einen Lkw-Parkplatz an einer Autobahn-Raststätte wie in an der A57 in Krefeld wird immer härter. 

Der Preiskampf der europäischen Spediteure wird auf den Autobahnen des Transitlands Deutschland ausgetragen. Seriöse Unternehmen haben es immer schwerer, sich zu behaupten.

Sie sind die Unsichtbaren, die Autobahn-Nomaden, das Fernfahrer-Prekariat. Sie stammen aus Russland und der Ukraine, aus Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Georgien, aus der Türkei, Rumänien und Bulgarien. Vereinzelt trifft man auf Trucker aus Afghanistan, auf Inder, Pakistaner, auf Fahrer aus dem Kongo, von den Philippinen. Was sie eint: Sie alle sind gestrandet im Transitland Deutschland. Ihr Betriebshof ist der Rastplatz, der Lkw ihre Wohnung. Viele von sehen ihre Familien vielleicht zweimal pro Jahr.

Täglich fahren wir an ihren Lkw-Wänden vorbei, sobald wir einen der überfüllten Parkplätze ansteuern oder verlassen und finden es vielleicht sogar romantisch, wenn ihre Dosensuppen auf Gaskochern dampfen. Sie sind so unsichtbar, dass sie nicht einmal Erwähnung finden, wenn der ADAC wie in dieser Woche mal wieder anprangert, dass in Deutschland trotz aller Anstrengungen des Bundes weiterhin 20.000 Lkw-Stellplätze fehlen, 3600 davon in NRW.

Billiglöhne auf Rädern: Der wahre Preis unserer vollen Regale

Das ist der Alltag auf den Autobahnen im Transitland Deutschland. Die Arbeitsbedingungen im Transportgewerbe in Europa sind mit dem Begriff frühkapitalistisch nur unzureichend umschrieben. Seriöse Spediteure haben es immer schwerer, sich auf diesem Markt zu behaupten. Die Tariflöhne zahlen, sich an alle Arbeitszeitregeln halten und dennoch kein Personal finden.

Wie auch, wenn es in Europa Fahrer gibt, die sich zu Tagessätzen von 70 Euro ausbeuten lassen? Aber nur, wenn sie unterwegs sind. Das Rastplatz-Wochenende ist schließlich Freizeit. Auf einem Markt, den Online-Versandriesen wie Amazon mit einer eigenen Plattform diktieren, die ausschließlich Speditionen zugänglich ist, auf der jeder Fahrauftrag wie an der Börse verkauft wird.

Raststätten werden als Betriebshöfe für Lkw genutzt

Der halbherzige Versuch der EU aus dem Jahr 2020, mit einem Mobilitätspaket, das Schutzvorschriften wie Ruhezeiten, die regelmäßige Rückkehrpflicht des Lkw zur Spedition und damit einen Heimaufenthalt für die Fahrer vorschreibt, die Dinge zum Besseren zu wenden, ist trotz mehrfacher Nachbesserungsversuche gescheitert.

Fünf Jahre ist das jetzt her. Doch wer will die Einhaltung der eh schon viel zu laxen Vorschriften kontrollieren? Bei den Dimensionen. In der EU sind mehr als sechs Millionen Lkw zugelassen. Sie transportieren 70 Prozent aller Waren, pro Jahr mehr als 13 Milliarden Tonnen. Die größten Speditionen haben ihren Sitz in Osteuropa. Wie viele davon ausschließlich Raststätten an den Autobahnen und Parkplätze in Gewerbegebieten in Deutschland als ihre Wochenend-Betriebshöfe nutzen, kann niemand sagen.

Bußgelder lassen sich nur schwer durchsetzen

Allein ein Viertel aller Lkw-Fahrer in der EU sind in Polen registriert und 700.000 Lkw dort angemeldet. Deren Interesse an einer Regulierung hält sich in Grenzen. Es gibt für die deutschen Behörden faktisch keine Handhabe, Bußgeld bei Verstößen zum Beispiel gegen die Wochenruhezeit durchzusetzen.

Durchs Transitland Deutschland rollen täglich Tausende Lkw mit Billig-Fahrern, die ständig am Limit sind und zur Not in ihrem Fahrzeug selbst auf dem Seitenstreifen schlafen, bevor gar nichts mehr geht.

Am Donnerstag wird NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) der Düsseldorfer Polizei auf einer Autobahn-Raststätte eines von 14 neuen Geräten übergeben, mit denen Lkw-Fahrtenschreiber im Vorbeifahren ausgelesen werden. Damit soll man Manipulationen erkennen, ohne den Lastwagen stoppen zu müssen. Das kommt den Fahrern bei der abendlichen Rastplatzsuche sicher entgegen.