Gewalt gegen Lehrer„Schreien, Schlagen, Treten und Spucken sind an Förderschulen alltäglich“

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Die Arbeit an einer Förderschule ist für viele Lehrer in NRW extrem belastend. Eine Silhouette ist vor einem Rollo zu sehen: Eine Frau stützt erschöpft ihren Kopf in die Hand.

Die Arbeit an einer Förderschule ist für viele Lehrer in NRW extrem belastend. (Illustration)

An den Förderschulen von NRW gibt es ein massives Gewalt-Problem, das bringt jetzt eine Umfrage der GEW ans Licht. Lässt das Land die Lehrer im Stich?

Lehrer an Förderschulen in NRW sind regelmäßig Opfer von körperlicher und psychischer Gewalt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der Bildungsgewerkschaft GEW. „Schreien, Schlagen, Treten, Spucken sind Bestandteil des Alltags vieler Beschäftigter an den Förderschulen“, sagte die GEW-Vorsitzende Ayla Çelik. 94 Prozent der Befragten gaben an, in den letzten fünf Jahren körperliche Gewalt erfahren zu haben.

Die GEW hatte nach den Sommerferien 2023 rund 3000 Lehrkräfte, Schulleitungen und weitere pädagogische Fachkräfte befragt. Danach berichten zehn Prozent der Teilnehmer sogar von täglichen Gewalterfahrungen. Über psychische Gewalt klagten 93 Prozent der Befragten. 14 Prozent erklärten, sie seien ihr täglich ausgesetzt.

Tägliche Angst vor dem Schulalltag

In NRW gibt es rund 500 Förderschulen. Dort werden Kinder mit besonderem Förderbedarf oder mit Behinderungen unterrichtet. Die Ergebnisse der Umfrage seien „alarmierend“, sagte Çelik. „Hier sind schnelle politische Maßnahmen notwendig, die Abhilfe verschaffen.“ Das Land NRW habe eine Fürsorgepflicht für die Beschäftigten: „Es kann doch nicht sein, dass die Beschäftigten jeden Tag ihr Bestes für die Bildung der nachfolgenden Generationen geben, aber morgens befürchten müssen, Gewalt am Arbeitsplatz zu erfahren. Da darf die Politik keinen Moment mehr zuschauen“, so die Gewerkschaftschefin.

Ayla Çelik, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Nordrhein-Westfalen, spricht auf einer Pressekonferenz im Landtag. Çelik äußerte sich zum zum Start des Kita- und Schuljahres in der kommenden Woche. Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ayla Çelik, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Nordrhein-Westfalen, hat eine Studie zur Gewalterfahrung von Lehrkräften vorgestellt - mit beklemmendem Ergebnis.

Was sind die Ursachen für das Gewaltproblem an den Förderschulen? „In Zeiten des Lehrkräftemangels ist Gewaltprävention häufig schwierig“, heißt es bei der GEW. Hinzukomme, dass die psychosozialen Belastungen bei Kindern während der Pandemie zugenommen hätten und mehr Aufmerksamkeit erhalten müssten. Viele Beschäftigte seien in den Gewaltsituationen häufig alleine, weil zusätzliches Personal fehle. „Ziel muss es sein, genügend Beschäftigte zu haben, um Gewalt präventiv zu vermeiden“, sagte Çelik.

SPD verlangt Zulage für Lehrer

Franziska Müller-Rech, schulpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion NRW, sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“,  Bildungseinrichtungen müssten sichere Orte sein, an denen Lehrkräfte und Schüler ohne Angst vor Gewalt lernen und arbeiten können.

„Eine gravierende Ursache für das Gewalt-Problem an den Förderschulen liegt im erheblichen Personalmangel“, erklärte die Politikerin aus Bonn. „Zu oft findet verkürzter Unterricht statt, es fehlen Unterstützungskräfte im Unterricht und die Nerven liegen bei Lehrern, Eltern und Schülern blank. Unsere Förderschulen drohen, zu Ministerin Fellers Stiefkind zu werden“, so Müller-Rech. Die Umfrage müsse „ein Weckruf“ für Schwarz-Grün sein. „Nur achselzuckend zuzuschauen, ist keine Lösung!“

Deli Engin, Schulexpertin der SPD im Landtag, nannte das Ergebnis der GEW-Umfrage „besorgniserregend“. Schulen und Familien müssten enger zusammenarbeiten, um den Ursachen von Gewaltproblemen frühzeitig auf den Grund gehen zu können. „Die Methode, den Kopf in den zu Sand stecken, reicht nicht mehr“, sagte Engin. Die Lehrkräfte an den Förderschulen müssten durch multiprofessionelle Teams unterstützt und entlastet werden: „Und nicht zuletzt brauchen wir eine spürbare Attraktivierung des Lehramtsberufes, u.a. durch eine bessere Vergütung, insbesondere für Lehrkräfte an sozialen Brennpunkt- und Förderschulen.“

Die Landesregierung plant, den Lehrkräften die Teilnahme an Deeskalations- und Sicherheitstrainings kostenlos zu ermöglichen. Ein Sprecher von NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) erklärte, die Landesregierung nehme ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Lehrkräften „sehr ernst“. Um die Kolleginnen und Kollegen gerade an Förderschulen gezielt zu unterstützen, habe die Landesregierung im vergangenen Jahr die Möglichkeit geschaffen, auf freien Lehrerstellen Alltagshelferinnen und Alltagshelfer einzusetzen. „Mit Stand vom 2. Januar 2024 haben bereits die ersten mehr als 140 dieser Alltagshelferinnen und Alltagshelfer ihre Tätigkeit an einer Förderschule aufgenommen. Durch ihre Unterstützung können sich die Lehrkräfte wieder stärker ihren pädagogischen Aufgaben widmen“, hieß es.

Wichtige Hinweise, wie Gewalt möglichst zu verhindern und wie nötigenfalls einzugreifen sei, gebe auch der „Notfallordner – Hinsehen und Handeln“, hieß es. Er wurde im vergangenen Jahr aktualisiert und allen Schulen zur Verfügung gestellt. Allen Lehrkräften stehe zudem rund um die Uhr ein kostenloses Beratungstelefon zur Verfügung.

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