Ein Arzt im Klinikum Bethel betäubte und vergewaltigte über Jahre dutzende Patientinnen. Nun wurde Anklage gegen drei leitende Mitarbeiter erhoben.
BethelStaatsanwaltschaft klagt nach Vergewaltigungsserie drei leitende Klinik-Mitarbeiter an

Das Klinikum Bethel in Bielefeld
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Fünf Jahre dauerten die Ermittlungen, vier Jahre davon lagen sie bei der Staatsanwaltschaft Duisburg. Vergangene Woche erhob sie Anklage gegen einen Chefarzt, einen ehemaligen Oberarzt und einen Pflegedienstleiter des Klinikums Bethel in Bielefeld. Ihnen wird fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen vorgeworfen.
Die leitenden Mitarbeiter sollen deutliche Hinweise gehabt haben, dass der Assistenzarzt Philipp G. ohne medizinische Indikation Patientinnen mit dem Narkosemittel Propofol betäubte. Philipp G. hatte zwischen 2018 und 2020 mindestens 34 Patientinnen im Klinikum Bethel teils mehrfach betäubt, vergewaltigt und dabei gefilmt.
Im September 2019 erhob eine Patientin erstmals Vorwürfe gegen Philipp G. gegenüber seinen Vorgesetzten. Bereits bei einem früheren Krankenhausaufenthalt war sie auf einem Fläschchen des Betäubungsmittels Propofol aufgewacht, nachdem G. nachts ihr Zimmer betreten hatte. Sie erstattete Anzeige. In den kommenden Monaten mehrten sich Hinweise gegen G., sowohl von Patientinnen als auch von Pflegekräften. Bis die Polizei im Frühjahr 2020 seinen Spind durchsuchte, arbeitete er weiter als Arzt in der Neurologie.
Bei der Razzia beschlagnahmte die Polizei eine Festplatte, auf der G. die Videos der Vergewaltigungen verschlüsselt gespeichert hatte. Nach seiner Verhaftung im September 2020 beging G. Suizid. Dutzende Betroffene erstatteten nach seinem Tod Strafanzeigen gegen Philipp G.s Vorgesetzte.
Eingreifen der Vorgesetzten hätte womöglich neun Frauen geschützt
Die Ermittler vernahmen mehr als 100 Zeugen, holten zwei Gutachten von Sachverständigen ein und werteten 15 Terabyte Daten aus. 25 Patientinnen vergewaltige G. bereits bis Ende 2019 – ihre Fälle werden nicht vor Gericht verhandelt. Spätestens seit Herbst 2019 hätten Chefarzt, Oberarzt und Pflegedienstleiter jedoch deutliche Hinweise gehabt, dass G. ohne medizinische Indikation Patientinnen Zugänge legte und sedierende Medikamente verabreichte, schreibt die Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung.
Die drei Beschuldigten hätten G.s auffälliges Verhalten erkennen, zusammentragen und bewerten müssen. Anschließend hätten sie Maßnahmen gegen Philipp G. ergreifen und Kontrollen einführen müssen. Neun Frauen hätte man dadurch womöglich vor den Vergewaltigungen geschützt. Alle Angeklagten leiteten laut Staatsanwaltschaft wichtige Informationen nicht an die Geschäftsführung weiter.
Dass die Beschuldigten von den sexuellen Übergriffen wussten, ließ sich nicht nachweisen. Die Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zur Vergewaltigung durch Unterlassen wurden bereits im Frühjahr 2024 eingestellt.
Anwältin: „Meine Mandantinnen fühlen sich endlich gesehen“
Anwältin Stefanie Höke, die zwölf betroffene Frauen vertritt, zeigt sich erleichtert. Auch, wenn nur die Fälle von acht ihrer Mandantinnen vor Gericht verhandelt werden: Das „beharrliche Dranbleiben“ habe sich gelohnt. „Meine Mandantinnen fühlen sich endlich gesehen“, sagt sie. Einige von ihnen hätten wiederholt auf medizinisch nicht notwendige Zugänge aufmerksam gemacht, die G. ihnen legte, und sie hätten geschildert, wie er nachts in ihre Zimmer kam. „Sie wurden von dem Chefarzt und dem Oberarzt nicht ernst genommen. Teilweise wurden sie behandelt, als ob sie sich das alles einbildeten.“
Keine der Frauen erwarte nun drakonische Strafen für die Vorgesetzten von Philipp G., sagt Höke. „Aber dieses rechtswidrige Handeln muss Konsequenzen haben.“ Auch Mandantinnen, deren Fälle nicht zur Anklage kommen, wollen aus Solidarität an der Verhandlung teilnehmen. „Ich hoffe, dass wir ein Zeichen setzen können und dass solche Anschuldigungen in Kliniken künftig nicht mehr abgetan werden.“
Der Fall Philipp G. lag ursprünglich bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld und der Generalstaatsanwaltschaft Hamm. Beide stellten nach G.s Suizid die Ermittlungen ein, ohne die Frauen über die Vergewaltigungen zu informieren, obwohl eine Obduktion Geschlechtskrankheiten bei G. feststellte. Das Justizministerium schaltete sich ein und übertrug den Fall der Staatsanwaltschaft Duisburg. Erst im Januar 2022, eineinhalb Jahre nach G.s Tod, wurden die betroffenen Patientinnen informiert.