Corona hinterlässt tiefe SpurenSuizidgedanken bei Kindern haben zugenommen

Lesezeit 4 Minuten
Mehrere Schüler sitzen in einer Schulklasse auf Stühlen, sie sind mit dem Rücken zur Kamera gerichtet und schauen auf eine Tafel.

Schüler sind nach Untersuchungen besonders von psychosozialen Folgen der Pandemie betroffen. (Symbolfoto)

Schulangst, Schlafstörungen und sogar Selbstmordgedanken - die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in NRW ist durch die Pandemie stark beeinträchtigt worden. Wie kann das Land die Folgen abmildern?

Die Corona-Pandemie hat die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in NRW massiv beeinträchtigt. Das ist das Ergebnis einer Expertenanhörung im Düsseldorfer Landtag. Insbesondere Angststörungen, Schulängste und Formen depressiver Erkrankungen hätten deutlich zugenommen, sagte Marcus Heidemann vom Verband der Kinder- und Jugendärzte Westfalen-Lippe.

Kaum Feststellung von Defiziten und Förderbedarf

Auch Lernstörungen seien häufiger zu beobachten. Die Lage an den Schulen werde dadurch verschärft, dass Schuluntersuchungen zur Feststellung von Defiziten und Förderbedarfen in zwei Jahrgängen oft nur bei Teilen eines Jahrgangs oder gar nicht durchgeführt worden seien.

Die SPD hatte die Anhörung beantragt, nachdem in einer Befragung zu Corona und Psyche (COPSY) der Uniklinik Hamburg Eppendorf herausgekommen war, dass sich der Anteil der Kinder, die psychisch belastet sind, während der Pandemie von 15 Prozent auf 30 Prozent verdoppelt hatte.

Schulpsychologische Dienste sollen ausgebaut werden

Die Experten empfahlen der Politik bei der Anhörung, die Schulpsychologischen Dienste in den Kommunen auszubauen. Eine Vertreterin der Stadt Dortmund erklärte, dort seien 15 Schulpsychologen für 83 Schulen zuständig. Damit könne der Beratungsbedarf aber längst nicht gedeckt werden.

Die Landeselternkonferenz NRW forderte einen deutlichen Ausbau der Schulsozialarbeit. Schulängste, Versagensängste, Schlafstörungen und Suizidgedanken hätten stark zugenommen, hieß es. Eingehende Hilferufe stellen vermutlich nur die Spitze des Eisbergs dar.

Jochen Ott steht an einem Rednerpult im NRW-Landtag.

Jochen Ott ist schulpolitischer Sprecher der SPD

Jochen Ott, schulpolitischer Sprecher der SPD, sagte, die COPSY-Studie habe belegt, dass Kinder und Jugendliche unter den Folgen der Corona-Pandemie leiden würden. „Wir müssen endlich anerkennen, dass die Pandemie seit über zweieinhalb Jahren immens zu Lasten der Kinder und Jugendlichen geht“, sagte der Politiker aus Köln. Besonders betroffen seien Kinder mit herausfordernden Familienstrukturen.

Ott schlägt vor, Lehrpläne zu entschlacken

Angesichts der alarmierenden Ergebnisse sei nun die Landesregierung gefragt. Schwarz-Grün müsse Maßnahmen ergreifen, um die psychosoziale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen langfristig zu stärken. Dabei könne eine Maßnahme sein, die Lehrpläne zu entschlacken: „Der Leistungsdruck muss nicht zu, sondern abnehmen, damit den Kindern und Jugendlichen auch mehr Zeit für das soziale Miteinander beleibt. Gerade die gemeinsame Zeit mit anderen ist während der Pandemie zu kurz gekommen.“


Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen

Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter: Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote. Telefonseelsorge – Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de Kinder- und Jugendtelefon – Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de. Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de Beratung und Hilfe für Frauen – Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen" ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen werden Betroffene aller Nationalitäten rund um die Uhr anonym und kostenfrei unterstützt. Psychische Gesundheit – Die Neurologen und Psychiater im Netz empfehlen ebenfalls, in akuten Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung sofort den Rettungsdienst unter 112 anzurufen. Darüber können sich von psychischen Krisen Betroffene unter der bundesweiten Nummer 116117 an den ärztlichen/psychiatrischen Bereitschaftsdienst wenden oder mit ihrem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Außerdem gibt es in sehr vielen deutschen Kommunen psychologische Beratungsstellen.


Arndt Klocke, Sprecher für mentale Gesundheit bei den Grünen im Landtag, will den Unterricht nutzen, um eine Offenheit für den Umgang der Schüler mit psychischen Problemen zu entwickeln. Über Projekttage und spezielle Unterrichtsinhalte könnten wichtige Aspekte und der Weg zu Hilfsangeboten vermittelt werden. „Die Pandemiezeit hat an vielen Schulen die Notwendigkeit zum offenen und tabufreien Umgang deutlich gemacht. Wir wollen die Schulen bei der Umsetzung solcher Projekte unterstützen“, sagte der Politiker aus Köln.

NRW-Schulministerium finanziert 1600 Schulsozialarbeiter

Das von der CDU-Politikerin Dorothee Feller geführte NRW-Schulministerium teilte auf Anfrage mit, die Pandemie habe bei Kindern und Jugendlichen „tiefe Spuren“ hinterlassen. Bereits in den Jahren 2020 und 2021 seien deshalb insgesamt 100 neue Stellen für die Schulpsychologie geschaffen worden. Zudem finanziere das Land aus eigenen Mitteln 1600 Schulsozialarbeiter.

Das Aktionsprogramm „Ankommen und Aufholen“ helfe Schulen dabei, individuelle Förderangebote aufzubauen, befristet zusätzliches Personal einzustellen und Kooperationen mit außerschulischen Partnern zu organisieren.

Ein Sprecher von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) betonte, das Land prüfe die Einführung von Schulgesundheitsfächern: „Das Thema wird derzeit länderübergreifend in verschiedenen Gremien diskutiert, mit dem Ziel, eine nachhaltige Finanzierung anzustoßen“, hieß es.

KStA abonnieren