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Tödliche Messerstiche von Brokstedt„Ibrahim hatte mit dem Islam nichts am Hut“

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Kerzen und Blumen stehen und liegen im Bahnhof Brokstedt in einem Wartehäuschen. Bei einer Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg waren am 25.01.2023 in Brokstedt zwei junge Menschen getötet und fünf verletzt worden.

Bei der Messerattacke eines 33-Jährigen Mannes sind im Regionalzug von Kiel nach Hamburg ein 17 Jahre altes Mädchen und ein 19 Jahre alter Junge getötet worden.

Der Bonner Strafverteidiger Seelbach spricht über seinen Klienten, der im Verdacht steht, in einem Regionalzug in Brokstedt ein Blutbad angerichtet zu haben.

Zwei Tage nach dem Amoklauf in einem Zug nach Kiel sucht sein Bonner Verteidiger Björn Seelbach, der den Mandanten bereits aus anderen Zivil- und Strafverfahren kennt, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ immer noch nach einer Erklärung: „Möglichweise spielten Frust über seinen Absturz in die Obdachlosigkeit, übermäßiger Drogenkonsum oder auch eine psychische Erkrankung eine Rolle, ein islamistisches Motiv schließe ich aus. Ibrahim hatte mit dem Islam nichts am Hut“. Sprechen konnte der Anwalt bislang nur kurz mit Ibrahim A.

Das letzte Urteil gegen den mutmaßlichen Täter sprach das Hamburger Amtsgericht St. Georg am 18. August 2022 wegen einer Messerattacke aus. Demnach soll A. bei der Essensausgabe vor der Obdachlosen-Einrichtung „Herz Ass“ zwei Männer angesprochen haben. Bei einem vor ihnen erkundigte er sich, ob dieser Afghane sei. Als dieser verneinte und angab, Kurde zu sein, rastete A. laut Urteil aus, sprang dem Freund des Befragten ins Kreuz. Dann schlug er ihm gegen das Kinn, griff zu seinem Klappmesser und stach mehrfach auf sein Opfer ein. Ein Gutachter kam zu dem Schluss, dass die Attacke das Leben des Mannes gefährdet habe.

Tat unter Drogeneinfluss, ungünstige Sozialprognose

Ibrahim A. widersprach in der Hauptverhandlung den Vorwürfen. Vielmehr stellte er den Messerangriff als Notwehr dar, weil einer der beiden Widersacher als erster zu einem Messer gegriffen habe. Dafür fanden sich aber keine Beweise. Ferner behauptete der Angeklagte, dass er zum Tatzeitpunkt unter Drogeneinfluss stand. Er habe „25 Bubbles“ Koks und zwei Flaschen Whiskey konsumiert. Zwar bezweifelte eine Gutachterin das Ausmaß des Drogenkonsums. Im Urteil aber kam A. dennoch zu Gute, die Tat unter Drogeneinfluss begangen zu haben.

Allerdings hielt ihn der Richter für voll schuldfähig, zudem sprach eine ungünstige Sozialprognose gegen eine vorzeitige Freilassung. Ibrahim A. verfüge weder über einen Beruf noch über ein „tragfähiges soziales Netz“.

Verteidiger wollte Betreuung für A. finden

Der Schuldspruch ist noch nicht rechtskräftig, da der Angeklagte sowie sein Anwalt Berufung beim Landgericht eingelegt hatten. Da es bislang nicht zu einem Prozess kam, ließ die Vorsitzende Richterin, den Delinquenten eine Woche vor seiner verbüßten Gefängnisstrafe am 19. Januar 2023 frei.

Verteidiger Seelbach hatte noch darum gebeten, mit seinem Mandanten vorher sprechen zu dürfen, um eine Betreuung für ihn zu finden. „Als ich die Nachricht über seine Entlassung erhielt, war Ibrahim A. schon auf freiem Fuß und nicht mehr erreichbar.“ Erst am 25. Januar hörte der Anwalt wieder von seinem Klienten. Da hatte Ibrahim A. ein 17-jähriges Mädchen und ihren 19-jährigen Bekannten auf der Fahrt nach Kiel erstochen. Die beiden Opfer kannten sich aus der Berufsschule.

A. gibt selbst an, gefoltert worden zu sein

Heiligabend 2014 war der Tatverdächtige nach Deutschland eingereist.  Zuvor lebte er im nördlichen Teil des Gazastreifens. Im Prozess berichtete der Angeklagte, dass seine Familie im Krieg zwischen die Fronten der palästinensischen Terror-Organisation und Israel geraten war. Sein Onkel sei durch die Islamisten getötet worden. Er selbst wurde nach eigenen Angaben gefoltert. Zum Beweis zeigte er seine Brandmale und Schnittwunden am Körper. Nachdem Mutter und Vater gestorben waren, ließ A. seine sechs Geschwister hinter sich und flüchtete nach Deutschland. Hier habe er versucht, Jobs zu finde. Etwa auf Baustellen oder als Paketzulieferer. 2015 zog der Zuwanderer nach Bad Münstereifel.

Immer wieder wurde er bei der Polizei aktenkundig, doch die meisten Verfahren wurden eingestellt. 2016 kassierte A. ein Jahr auf Bewährung, weil er seinen Widersacher schlug und mit einem Messer im Gesicht verletzte. Im Jahr darauf wechselte der Verurteilte nach Euskirchen. Im Februar 2018 erwischte ihn die Polizei mit einem Gramm Kokain. 1350 Euro Geldstrafe waren die Folge. Nach gescheiterten Jobs in Dortmund ging A. nach Kiel. Ende 2021 driftete er ins Hamburger Drogen- und Obdachlosenmilieu ab.