Bewerbungsverfahren für RichteramtOpposition wirft NRW-Landesregierung Mauschelei vor

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Benjamin Limbach (Grüne), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, spricht bei der Aktuellen Stunde am Rednerpult zu umstrittener Stellenbesetzung in der Justiz.

Benjamin Limbach (Grüne), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, spricht bei der Aktuellen Stunde zu umstrittener Stellenbesetzung in der Justiz.

Bei der Aktuellen Stunde zur gescheiterten Bewerberkür eines hohen Richterpostens gab es eine hitzige Debatte.

Transparent und fair geführt. So beschrieb NRW-Justizminister Benjamin Limbach am Freitagvormittag im Landtag das Verfahren zur Bestenauslese für den Spitzenposten am Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Zugleich betonte der Grünen-Politiker: „Es gab keine politische Einflussnahme.“

Doch so einfach wie gesagt, scheint es dann doch nicht zu sein. Bisher hatte der Minister verschwiegen, dass auch der Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU), in den Vorgang eingebunden war. Die rot-gelbe Opposition, die eine Aktuelle Stunde zur vorerst gescheiterten Bewerberkür für eines der höchsten Richterämter anberaumt hatte, wirft der Landesregierung Mauscheleien beim Auswahlverfahren für das OVG-Präsidentenamt vor. SPD-Fraktionsvize Sven Wolf sprach von „vielen Ungereimtheiten“.

Dies erschüttere „den Rechtsstaat in seinen Grundfesten“. An Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gewandt, forderte Wolf den Rücktritt des Justizministers: „Beenden Sie dieses Trauerspiel!“ FDP-Fraktionschef Henning Höne unterstellte Minister Limbach, „einen Spitzenposten in der Justiz unter persönlichen Vorlieben“ vergeben zu haben.

Limbach hatte 2022 die bereits erfolgte Kür an die OVG-Spitze gestoppt

Je länger die Debatte andauerte, desto hitziger geriet der Schlagabtausch: Der CDU-Abgeordnete Jörg Geerlings empörte sich über „den politischen Klamauk“ seitens der Opposition. Aus seiner Sicht sei alles rechtmäßig abgelaufen. Das Verhalten von Rot-Gelb bezeichnete Geerlings als „schäbig“. Ähnlich argumentierte Julia Höller vom grünen Koalitionspartner: Die Opposition versuche Vorgänge, die nach geltendem Recht abgelaufen seien, „zu skandalisieren“. Zudem habe der Minister längst alle offenen Fragen beantwortet.

Zwei Stunden lang beharkten sich die parlamentarischen Gegner. Dabei wirft die OVG-Chefnachfolge beinahe täglich neue Fragen auf. Unabhängige Kritiker wie Michael Bertrams, ehemals OVG-Präsident und Vorsitzender des Verfassungsgerichtshofs, konstatierte jüngst im Kölner Stadt-Anzeiger: „Das Bewerberverfahren ist nicht korrekt abgelaufen, und ich kann nachvollziehen, dass Herrn Limbach dafür die rote Karte gezeigt wird.“

Ein Blick in die Chronologie hilft, um die politische Aufregung zu verstehen. Kurz nach der Landtagswahl im Sommer 2022 hatte der frisch ernannte Justizminister Limbach die bereits erfolgte Kür an die OVG-Spitze durch seinen CDU-Vorgänger Peter Biesenbach gestoppt. Angeblich wollte sich der Grünen-Politiker selbst ein Bild über die drei Bewerber machen. Was dann geschah, bleibt im Dunkeln.

Duz-Bekanntschaft oder Duz-Freundin?

Im September traf sich Limbach mit der Abteilungsleiterin für Cyberkriminalität aus dem Innenministerium zum Abendessen. Die beiden kannten sich aus gemeinsamen Bonner Zeiten beim Verwaltungsgericht. Limbach spricht heute von einer Duz-Bekanntschaft ohne Nähe-Verhältnis, die SPD hingegen von einer Duz-Freundin mit besonderer Nähe. Bei dem privaten Dinner soll die Abteilungsleiterin mit CDU-Parteibuch ihren Hut für die OVG-Präsidentschaft in den Ring geworfen haben. Angeblich mit der Begründung, dass sie unter Limbachs Vorgänger keine Chancen gesehen habe.

Üblicherweise wählt die zuständige Abteilung Z im Justizministerium autark den oder die Beste aus dem Bewerberkreis aus. Dieses Mal, so der Verdacht der Opposition, soll es anders gelaufen sein. Limbach traf sich mit einem anderen Abteilungsleiter in seinem Haus, der sich ebenfalls auf das OVG-Spitzenamt beworben hatte. In dem Gespräch wies der Minister daraufhin, dass es eine weitere interessante Bewerbung gebe. Dazu befragt, bekundete der Grünen-Politiker bisher, dass die Zusammenkunft auf Wunsch des Abteilungsleiters erfolgt sei. Im Gegensatz zu früheren Aussagen musste der Minister allerdings just am Freitagmorgen in einer Mitteilung einräumen, dass besagtes Gespräch am 12. September 2022 stattgefunden haben könnte.

OVG Münster soll über Spitzenposten im eigenen Haus entscheiden

SPD und FDP fragen sich, woher der Minister von der neuen Bewerbung wusste, wenn diese doch erst am Tag danach eingegangen sei? Fakt ist, dass der Abteilungsleiter nach dem ministerialen Hinweis einen Anwalt eingeschaltet hatte. Einem anderen Konkurrenten bedeutete Limbach, dass es eine „Bessere“ gebe. Der Minister bestreitet die Aussage je getroffen zu haben.

Um so wundersamer wirkte das Eingeständnis durch Staatskanzleichef Liminski, dass er mit der Duz-Bekannten des Justizministers als auch mit einem Konkurrenten im Bewerberverfahren Gespräche und Telefonate geführt habe. Liminski stellte das Geschehen als normalen Vorgang dar. Als Regierungskoordinator sei er in alle wichtigen Vorgänge im Kabinett eingebunden. Jeweils auf Initiative zweier Bewerber „habe ich mit ihnen Gespräche geführt. Beide wussten im Übrigen selbstverständlich auch, dass das Votum für die Auswahlentscheidung im Justizministerium und nicht in der Staatskanzlei getroffen wird“, resümierte Chef der Staatskanzlei.

Im Juni 2023 fiel die Wahl auf die Nachzüglerin aus dem Innenministerium. Nach Klagen zweier Konkurrenten stoppten die Verwaltungsgerichte Münster und Düsseldorf die bereits durch die Landesregierung beschlossene Personalentscheidung. Nun soll ausgerechnet das OVG Münster in letzter Instanz über den Spitzenposten im eigenen Haus entscheiden.

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