Der Ampelbruch im November 2024 stoppte den Mitgliederschwund in Parteien, besonders AfD, Grüne und Linke gewannen Mitglieder.
Trendwende nach AmpelbruchParteimitgliederzahlen steigen erstmals seit Jahrzehnten

Die Auflösung der Ampel-Koalition 2024 führte zu einem bemerkenswerten Anstieg der Parteimitgliedschaften, erstmals seit 1990.
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Jahrzehntelang galt dieser Trend als nahezu unumkehrbar: Die Zahl der Deutschen, die sich in Parteien engagieren, sinkt und sinkt und sinkt. Der Bruch der Ampel-Koalition im vorigen November änderte die Lage erstmals wieder. Das zeigen die neuen Daten, die der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer für seine umfangreiche jährliche Parteienstudie zusammengetragen hat und die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegen. Sie geben Aufschluss über Mitgliederentwicklung, regionale Verwurzelung und soziale Struktur der Parteien. Fünf wesentliche Erkenntnisse im Überblick:
1. Ampelbruch kehrte historischen Trend um
Am Abend des 6. November 2024 platzte die Ampel-Koalition, als SPD-Kanzler Olaf Scholz seinen Finanzminister Christian Lindner feuerte und Neuwahlen ankündigte. Diese Aussicht führte offenbar zu einer lange nicht mehr dagewesenen Mobilisierung: Bereits Wochen nach dem Ampel-Aus meldeten einzelne Parteien Rekorde bei den Neueintritten.
Die endgültige Statistiken zeigt: Zum Ende des Jahres 2024 waren die Mitgliederzahlen über alle Bundestagsparteien hinweg um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Klingt wenig, ist aber historisch: Einen solche Anstieg gab es seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Seit Beginn der Zählung 1990 waren die Mitgliederzahlen stetig gesunken, mit winzigen Ausnahmen in den Wahljahren 2013 und 2017. Der Wahlkampf 2021, der die Ampel an die Macht brachte, vermochte nicht einmal mehr nennenswert zu mobilisieren.
2. AfD, Grüne und Linke profitieren
Der historische Anstieg betraf aber nicht alle Parteien. Am meisten legte die AfD zu, deren Mitgliederschaft 2024 um rund 30 Prozent zunahm. Einen ähnlichen Anstieg gab es schon 2023. Offenbar profitierte die AfD von der Frustration und den Krisen der Ampel-Ära.
Auch die Grünen rekrutierten 2024 kräftig Mitglieder, mit einem Anstieg von 23 Prozent. Dieser Trend hatte 2017 begonnen, war während der Ampeljahre aber durch eine zweijährige Stagnation unterbrochen. Die Linke gewann ebenfalls Mitglieder hinzu: +17 Prozent.
Zu den Verlierern gehören die beiden anderen Ampel-Parteien SPD und FDP. Der Mitgliederschwund bei den Sozialdemokraten setzte sich in etwa gleichem Tempo wie in den Vorjahren fort und kostete sie ihre Position als mitgliederstärkste Partei. Das ist nun wieder die CDU. Saldiert verlieren jedoch beide Parteien seit Jahrzehnten Mitglieder.
Die ohnehin kleine FDP büßte 2024 rund 6 Prozent ihrer Mitglieder ein - im Gegensatz zum Wahljahr 2021, als die Liberalen um gut 17 Prozent angewachsen waren.
3. Männer überall in der Mehrheit
An der Bevölkerung stellen Frauen rund die Hälfte, in den Parteien bleiben sie unterrepräsentiert: Nirgends kommen sie auch nur annähernd auf 50 Prozent der Mitgliederschaft, allenfalls bei den Grünen, wo 45 Prozent weiblich sind. Bei der Linken sind es 40 Prozent, bei der SPD rund ein Drittel.
Die niedrigsten Frauenquoten haben AfD und FDP mit nur einem Fünftel der Mitgliedschaft. Diese Geschlechterstruktur finden sich in der Wählerschaft der Parteien wieder.
4. Parteimitglieder sind meist Ältere
Auch jüngere Menschen spielen in den Parteien eine geringere Rolle. Bei Union und SPD sind mehr als 40 Prozent älter als 65; etwa ein Zehntel unter 35 Jahre alt. Vergleichsweise jung ist die Linke (gut 40 Prozent jünger als 35), und auch die Grünen haben eine eher junge Altersstruktur mit relativ wenigen Über-65-Jährigen.
Die viele jungen Menschen in der Linken machen sie zur „jüngsten“ Partei, mit einem Durchschnittsalter von 45 Jahren. Die SPD ist mit 63 Jahren die „älteste“ Partei. Dazwischen liegen CDU und CSU mit 61 Jahren, die AfD mit 54 Jahren, die FDP mit 50 und die Grünen mit 49 Jahren.
5. Im Osten ist keine Partei verwurzelt
Über alle Parteien hinweg zeigt sich ein Ost-West-Gefälle: Auf 1000 Einwohner in Ostdeutschland kommen wesentlich weniger Parteimitglieder als im Westen.
Das gilt auch für die AfD. Gemessen an der Bevölkerung ist die Mitgliedschaft in allen östlichen Flächenländern deutlich kleiner als im Westen – obwohl sie im Osten viel höhere Stimmenanteile holt. Offensichtlich hat selbst die AfD Probleme, im Osten Personal zu rekrutieren.
Der Befund deckt sich mit einer politikwissenschaftlichen Beobachtung: Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist die Bindung an einzelne Parteien viel geringer ausgeprägt als in den alten Bundesländern – nicht nur im Wahlverhalten, sondern offenbar auch beim persönlichen Engagement in Parteien.
Sozialwissenschaftler sehen die Ursachen dafür in unterschiedlichen Demokratieerfahrungen: Die Ostdeutschen erlebten Parteien über Jahrzehnte gerade nicht als „Transmissionsriemen“ der Demokratie, sondern als Instrument einer Diktatur.
Auch ihr demokratisches Urerlebnis, die friedliche Revolution von 1989, war nicht von Parteien vermittelt. Anders als im Nachkriegswesten erfolgte die Demokratisierung nicht in einem von „Volksparteien“ getragenen Prozess. In der bleibenden Wahrnehmung vieler Ostdeutscher entstand sie aus einem Akt der Selbstermächtigung des Volkes.