Russische KriegsdienstverweigererDie EU steht vor einer neuen Herausforderung

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Einzug russischer Soldaten

Russische Wehrpflichtig in Jakutsk (Russland) auf dem Weg zum östlichen Militärbezirk. Eingezogen werden sollen 300.000 Reservisten.

Berlin/Brüssel – Dass nach der von Russlands Präsidenten Wladimir Putin verkündeten Teilmobilmachung viele Männer das Weite suchen, ist aus Sicht der Bundesregierung erst einmal eine positive Nachricht. Inwiefern EU-Staaten denjenigen, die nicht in der Ukraine kämpfen wollen, Hilfe anbieten soll, ist aber umstritten. Im Kern geht es darum, ob den Kriegsdienstverweigerern lediglich der Weg über das Asylverfahren offenstehen soll oder ob es eine spezielle Regelung geben sollte, die ihre Einreise in die Europäische Union erleichtert.

Die Bundesregierung wolle auf europäischer Ebene in den nächsten Wochen eine gemeinsame Linie zum Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigern erreichen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin. Es sei „ein gutes Zeichen“, dass nach der am Mittwoch verkündeten Teilmobilmachung viele russische Männer versuchten, sich dem Kriegsdienst zu entziehen.

„Beweggründe jedes Kriegsdienstverweigerers müssen überprüft werden"

Jetzt gehe es darum, gemeinsam mit den anderen EU-Staaten „eine tragfähige Lösung“ zu finden. In dieser besonderen Situation nur darauf zu verweisen, dass jeder, der es schafft einzureisen, einen Asylantrag stellen könne, sei nicht ausreichend. Der Regierungssprecher verwies allerdings darauf, dass aus Sicherheitsgründen in jedem einzelnen Fall die Beweggründe des mutmaßlichen Kriegsdienstverweigerers geprüft werden müssten.

Denn es müsse sichergestellt werden, dass derjenige, der aufgenommen werde, niemand sei, der sich im Auftrag der russischen Staatsmacht nach Europa bewege. Die Bundesregierung hatte im April 40 Mitglieder des diplomatischen Personals der russischen Botschaft ausgewiesen, bei denen die hiesigen Behörden von einer Zugehörigkeit zu russischen Nachrichtendiensten ausgingen.

Krisensitzung der EU-Botschafter am Montag

Die Sicherheitsbehörden bemühen sich seither, zu verhindern, dass neue Agenten eingeschleust werden. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte, man verfolge die Situation sehr genau. Die Behörde verweist darauf, dass die Betroffenen ein Recht darauf hätten, einen Asylantrag zu stellen. In dieser beispiellosen Situation müssten auch geopolitische Bedenken und Sicherheitsrisiken berücksichtigt werden.

Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft setzte derweil für kommenden Monat eine Krisensitzung der 27 EU-Botschafter zu dem Thema an. Dies zeige, „wie ernst wir die aktuellen Entwicklungen in Russland und der Ukraine nehmen und wie entschlossen wir sind, eine wirksame Reaktion zu koordinieren“, teilte eine Sprecherin mit.

Knapp 6000 Russen kamen an einem Tag in Finnland an

Russischen Touristen ist es bislang möglich, per Bus oder Auto über die finnische Grenze in den Schengenraum einzureisen. Knapp 6000 Russen kamen am Donnerstag an Grenzübergängen im Südosten Finnlands an, was mehr als einer Verdopplung im Vergleich zum Donnerstag vor einer Woche darstellte. Außenminister Pekka Haavisto kündigte an, Finnland werde eine eigene Lösung finden. Man wolle kein Transitland für Schengen-Visa werden, die andere Länder erteilt haben. Die Grenze zu Russland solle aber nicht komplett geschlossen werden.

„Ich habe großes Verständnis für junge Russen die sich nicht in einem völkerrechtswidrigen Krieg verheizen lassen wollen“, sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU). Deshalb müsse jedes Gesuch auf Schutz im Rahmen der geltenden Gesetze ernsthaft geprüft werden, wenn die Kriegsdienstverweigerer in Europa ankämen.

Linken-Politikerin fordert humanitäre Visa

Bedrohte Russinnen und Russen erhielten nach einer Einzelfall-Prüfung in der Regel internationalen Schutz, sagte Sebastian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Die Sicherheitsüberprüfung sei zudem notwendig, „wenn wir Menschen aufnehmen, die an den Waffen ausgebildet sind“.

Clara Bünger (Linke) sagt: „Es darf nicht bei netten Appellen oder dem Hinweis bleiben, es stehe russischen Deserteuren frei, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.“ Nötig seien vielmehr humanitäre Visa - „denn wie sollen die Betroffenen sonst die hochgerüsteten Außengrenzen der EU überwinden?“

Kriegsdienstverweigerung im Regelfall ein Schutzgrund

Pläne für ein Sonderaufnahmeprogramm für russische Kriegsdienstverweigerer gibt es bislang aber weder in Deutschland noch auf EU-Ebene. Über ein Programm, das besonders gefährdeten Dissidenten, Journalisten und Wissenschaftlerinnen Schutz bieten soll, hat Deutschland laut Bundesinnenministerium bisher 438 Menschen aus Russland aufgenommen.

Die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für Asylbewerber aus Russland war laut Ministerium bereits im April so geändert worden, „dass im Regelfall die Kriegsdienstverweigerung ein Schutzgrund ist“.

Polen und Tschechien mit ablehnender Haltung

Polen vergibt nach Angaben des Außenministeriums in Warschau seit Kriegsbeginn am 24. Februar keine Touristen-Visa mehr an russische Staatsbürger. Das Land hat sich auch für eine Ausweitung dieser Regelung auf andere Visa-Typen ausgesprochen. Zur Frage der Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern hat sich die polnische Regierung noch nicht geäußert.

Da das Land 1,3 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat und insgesamt eine ablehnende Stimmung gegenüber Russland dominiert, ist es unwahrscheinlich, dass es dazu kommt. Tschechien steht der Aufnahme von russischen Deserteuren ablehnend gegenüber.

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„Diejenigen, die aus ihrem Land flüchten, weil sie den Pflichten gegenüber ihrem eigenen Staat nicht nachkommen wollen, erfüllen damit nicht die Bedingungen für die Erteilung eines humanitären Visums“, betonte Außenminister Jan Lipavsky. Später räumte indes Ministerpräsident Petr Fiala ein, dass niemandem das Recht auf ein Asylverfahren abgesprochen werde. Auch Tschechien vergibt bis auf wenige Ausnahmen keine Visa mehr an Russen.  (dpa)

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