Hochrangige Wirtschaftsexperten prophezeien Russland beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok einen Konjunktureinbruch. Präsident Wladimir Putin wischt die Sorgen bei seinem Auftritt vom Tisch.
Krieg noch finanzierbar?Wie Putin Russlands Wirtschaftskrise vom Tisch wischt

Russlands Präsident Wladimir Putin beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok. . Contributor
Copyright: Getty Images
German Gref ist ein langjähriger Bekannter Wladimir Putins. Der Präsident schätzt die Wirtschaftsexpertise des 61-Jährigen. Zwischen den Jahren 2000 und 2007 war Gref Wirtschaftsminister der Russischen Föderation, bevor er zum Vorstandsvorsitzenden der Sberbank ernannt wurde – dem größten Geldhaus des Landes.
Insofern haben Grefs Worte Gewicht und umso mehr müsste das, was er beim „Östlichen Wirtschaftsforum“ in Wladiwostok zum Zustand der russischen Wirtschaft am Donnerstag sagte, die Alarm-Glocken im Kreml klingen lassen: „Das zweite Quartal kann praktisch als technische Stagnation betrachtet werden. Juli und August zeigen ganz offensichtliche Anzeichen dafür, dass wir uns der Nullmarke (des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts, Anm. d. Red.) nähern.“
Es ist eine freundliche Formulierung für eine Krise: Der Begriff „technische Stagnation“ ist in der Expertensprache eine Umschreibung für eine Rezession, also nicht nur für Null-Wachstum, wofür die Bezeichnung „Stagnation“ steht, sondern für einen Rückgang der Wirtschaftsaktivitäten.
Russisches Wirtschaftswachstum bricht ein
In Russland ist tatsächlich ein immer deutlicherer Trend zu beobachten: Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verlangsamte sich im zweiten Quartal auf 1,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr, nachdem es im ersten Quartal noch bei 1,4 Prozent gelegen hatte. Zum Vergleich: In den ersten beiden Quartalen 2024 betrug das Wachstum 5,4 beziehungsweise 4,3 Prozent – auch hier im Vergleich zum Vorjahr.
Das also meint Gref mit der „technischen Stagnation“, die er in Russland sieht. Die Gründe dafür sind kein Geheimnis: Der Effekt der Kriegswirtschaft, der einzelne Branchen stimuliert und zum Motor des rasanten Wachstums der letzten Jahre wurde, schwächt sich ab. Dies macht sich insbesondere in zivilen Industriezweigen bemerkbar, die nicht durch staatliche Subventionen unterstützt, stattdessen aber durch den hohen Leitzins der Zentralbank ausgebremst werden. So ist in der Automobilindustrie und bei der Produktion von Baustoffen seit mehreren Quartalen ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen.
Als Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag bei einer Podiumsdiskussion des Wirtschaftsforums Stellung zur Lage der russischen Wirtschaft nahm, moderierte er die Sorgen seines alten Bekannten Gref mit einem Lächeln im Gesicht ab. Er bestritt die Rezessionsgefahr und sprach lieber von einer „weichen Landung“, vor der die überhitzte russische Wirtschaft stehe.
Budgetdefizit schon jetzt höher, als es im Gesamtjahr sein sollte
Es sei richtig, dass die Zentralbank mit dem hohen Leitzins von derzeit 18 Prozent versuche, die hohe Teuerung von 8,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu bekämpfen: „Jeder versteht, dass nichts Gutes dabei herauskommt, wenn die Inflation die Wirtschaft überkommt“, sagte Putin. „Denn dann kann man nicht mal mehr etwas für die nächsten 10 Tage vorhersagen, geschweige denn für die nächsten Jahre.“
Er sei sich aber sicher, dass die Probleme mit der Geldentwertung am Ende gelöst würden und die russische Wirtschaft zu „maximalem Wachstum“ bei einem bestimmten „Mindestniveau der Inflation“ bei vier bis fünf Prozent zurückfinden werde.
Der Kremlchef äußerte sich auch zum hohen Budgetdefizit, das laut Meldungen der vergangenen Tage derzeit bei 2,2 Prozent des BIP liegt. Damit übersteigt es die Prognose von 1,7 Prozent für das Gesamtjahr bereits deutlich: „Das macht mir keine Angst“, versicherte Putin, „denn unsere Staatsschulden sind im internationalen Vergleich sehr niedrig.“
Langfristig droht hohe Inflation
Tatsächlich liegt die russische Staatsverschuldung mit einem Wert von 21,9 Prozent des BIP deutlich unter den entsprechenden Zahlen für Deutschland (63,8 Prozent), Frankreich (110 Prozent) oder Italien (145 Prozent). Allerdings fällt es Russland im Vergleich zu westlichen Ländern schwer, sich über die Ausgabe von Staatsanleihen weiter zu verschulden. Denn der Zugang zu den großen internationalen Kapitalmärkten ist Moskau seit Kriegsbeginn in der Ukraine verschlossen.
Sollten also die Kosten für den Krieg Russlands Einnahmen aus Öl- und Gasverkäufen nicht nur wie derzeit, sondern dauerhaft übersteigen, wäre Moskau womöglich gezwungen, den Feldzug gegen die Ukraine durch das Anwerfen der Geldpresse zu finanzieren. Das hätte unweigerlich hohe Inflationsraten zur Folge.
Putin: Westliche Soldaten in der Ukraine als legitime Kriegsziele
Bei seinem Auftritt in Wladiwostok äußerte Putin sich dann auch konkret zum Krieg in der Ukraine und sagte, dass Russland westliche Soldaten auf dem Gebiet des angegriffenen Landes als legitime Kriegsziele betrachten würde. Die Aussage kann als direkte Reaktion auf das Treffen der Ukraine-Unterstützerländer im Format „Koalition der Willigen“ am Donnerstag in Paris verstanden werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im Anschluss von 26 Verbündeten der Ukraine gesprochen, die zugesagt hätten, Truppen zur Absicherung eines Friedensschlusses entsenden zu können. Für Moskau ist das inakzeptabel und nicht verhandelbar, wie Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow in den vergangenen Tagen betonte.